CIO-Interview: «Ich gewinne nichts, wenn ich Server ­betreibe»

Stefan Graf treibt als Head of IT bei Edelweiss die Digitalisierung bei der Schweizer Airline voran. Die Pandemie allerdings hat dafür gesorgt, dass das Projektportfolio zumindest temporär massiv geschrumpft ist.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2021/05

     

Swiss IT Magazine: Können Sie zum Einstieg ein wenig ausführen, welches Spektrum des Airline-Geschäfts die IT von Edelweiss abdeckt? Reicht das von der Buchungsplattform bis hinein in die Systeme der Maschinen?
Stefan Graf:
Auf der einen Seite des Spektrums ja – die Verkaufsplattform von Edelweiss ist in der Tat unser Hoheitsgebiet. Auf der anderen Seite aber sind die Grenzen enger. Wenn es um die Systeme des Flugzeugs geht, ist die Edelweiss-IT bis auf wenige Ausnahmen – das Entertainment-System der Kurzflotte zum Beispiel – nicht involviert. Das macht der Flugzeughersteller selbst, allein schon aus Sicherheitsgründen. Alles, was technologisch dazwischen liegt, betreibt unser Team, bestehend aus 15 Mitarbeitenden, im Wesentlichen selbst.

Edelweiss ist Teil der Lufthansa und ein Schwesterunternehmen der Swiss. Welchen Einfluss hat die Konzernzugehörigkeit auf die IT? Wo können Sie profitieren, und wo ist der Konzern eher hinderlich?
Beim Einkauf können wir sicherlich profitieren, indem wir an den Enterprise-­Agreements der Lufthansa partizipieren können. Müssten wir als Edelweiss ­allein einkaufen, kämen wir niemals auf ein ähnliches Preisniveau. Ansonsten bedienen wir uns dann am Portfolio der Lufthansa, wenn es im Konzern Lösungen gibt, die uns einen Mehrwert bringen. Das ist beispielsweise bezüglich Regulatorien und Vorgaben rund um ­Security oder Audits der Fall. Zudem ist unsere IT relativ eng mit derjenigen der Swiss verknüpft, und die Swiss vertritt unsere Anliegen auch in den jeweiligen Gremien der Lufthansa. Gleichzeitig muss man festhalten, dass Edelweiss zwar ein wichtiger Player im Konzern, aber die kleinste Airline im Lufthansa-­Universum ist mit oft anderen Bedürfnissen und Voraussetzungen. Unser Vorteil am Markt ist die Agilität, und dazu brauchen wir technisch auch die passenden Lösungen.


Sie haben vorhin gesagt, dass Sie die Verkaufsplattform selbst verantworten. Weshalb nutzen Sie nicht die Systeme von Lufthansa oder Swiss?
Das Thema Vertrieb – die Art und Weise, wie wir unsere Flüge verkaufen – ist die Kernkompetenz von Edelweiss. Die geben wir nicht aus der Hand und beziehen wir nicht von extern. Bei der Buchhaltung beispielsweise ist das anders – hier können wir uns nicht abheben, also haben wir wie der Konzern auch auf SAP migriert. Beim Buchungssystem aber, wo der Konzern auf den Branchenprimus Amadeus setzt, arbeiten wir lieber mit kleinen, lokalen Partnern und Lösungsprovidern zusammen, denn mit diesen Partnern können wir disruptive Ideen agil umsetzen, was mit einem riesigen System wie Amadeus für einen kleinen Fisch wie Edelweiss unmöglich wäre.


Wenn Edelweiss innovative Lösungen entwickelt, werden diese dann auch von anderen Airlines aus dem Konzern implementiert?
Sicher wird geschaut, was wir machen, aber es ist nicht so, dass wir als Innovationstreiber der Lufthansa agieren. Das ist eigentlich schade, denn meine Vision wäre, dass Innovationen zuerst bei den kleinen Konzern-Airlines getestet werden, bevor sie bei den grossen Gesellschaften ausgerollt werden.

Nichtsdestotrotz können Sie aber Innovationen oder zumindest die Techno­logie-Adaption vorantreiben?
Natürlich. Beispielseise habe ich bereits bei meinem Start bei Edelweiss vor vier Jahren ein Digital-Workplace-Programm gestartet, in dessen Rahmen wir die Arbeitsplätze komplett modernisiert haben. Wir setzen zudem breit auf Azure und haben dafür gemeinsam mit unserem Partner auch schon Preise für unsere Lösungen gewonnen. Inzwischen beziehen wir bereits die Hälfte aller benötigten Ressourcen dynamisch aus der Azure Cloud. On-Premise-Ressourcen betreiben wir nur noch dort, wo es nicht anders geht – etwa weil die Geschäftspartner noch nicht soweit sind. Ebenfalls im Fokus ist bei uns die Cyber-Sicherheit. Vor zwei Jahren haben wir ein entsprechendes Programm gestartet und seit damals beispielsweise das Tier-Modell von Microsoft eingeführt oder Thycotic für das Passwort-Management und die Zwei-Faktor-Authentifizierung. Inzwischen sind wir hier – auch dank unserer Partner wie Upgreat oder Softwareone – auf Top-Niveau. Und wir haben den Anspruch, die schnittstellenfähigste Airline im Konzern zu sein. Das äussert sich beispielsweise darin, dass man Edelweiss-Flüge auch über die Swiss-Website buchen kann, weil wir die entsprechenden Schnittstellen bieten und anschlussfähig sind.


Wie gross ist denn der Einfluss der Technologie und damit von Ihnen und Ihrem Team auf den Erfolg von Edelweiss?
Gross, denn wenn wir keine Tickets mehr verkaufen können, weil unsere Systeme nicht sauber funktionieren, dann bringt das massive Kollateralschäden mit sich – und unser ganzer Ticketverkauf passiert online, ohne IT geht hier also nichts mehr. Allerdings hat das System inzwischen eine Maturität erreicht, dass praktisch keine Ausfälle mehr verzeichnet werden. Technologie ist zudem elementar für das angenehme Kundenerlebnis und für uns eine Möglichkeit, uns von den Mitbewerbern abzuheben. So sieht der Kunde als Beispiel bei der Buchung auf flyedelweiss.com auf einen Blick, an welchen Tagen ein Flug am günstigsten ist. Das bieten im direkten Umfeld nur wir, und solche Funktionen grenzen uns zu anderen Airlines ab.

Wie würden Sie denn die technologische Maturität der Airline-Branche als Ganzes beschreiben?
Was mir im Airline-Geschäft allgemein ein wenig fehlt, ist die Rolle, die die Fintechs im Finanzwesen wahrnehmen. Es gibt kaum grosse, disruptive Projekte. Nehmen wir das Ticketing als Beispiel. Es gäbe nichts Naheliegenderes, als für ein Airline-Ticket Blockchain-Technologie einzusetzen. Die Technologie wäre bereit, doch bis so etwas ausgerollt wird, bin ich wohl pensioniert. Denn das Problem der Branche ist, dass ein solches Projekt weltweit eingeführt und umgesetzt werden muss, und dass sich in der Airline-Industrie an allen Ecken und Enden noch uralte Legacy-Systeme aus den 80er-Jahren finden. Das zeigt sich in ganz vielen Aspekten. Ich gebe Ihnen ein einfaches Beispiel: Passagierlisten müssen weltweit ausgedruckt werden können. Auf den Seychellen passiert das nun mal auf einem Matrixdrucker. Da nützt es nichts, wenn wir in Europa hochdigitalisiert unterwegs sind, wir müssen sicherstellen, dass unsere Passagierlisten auch auf dem Matrixdrucker auf den Seychellen ausgedruckt werden können. Nichtsdestotrotz versuchen wir die Digitalisierung voranzutreiben.

Können Sie ein Beispiel machen?
Für das Crew-Briefing setzen wir heute beispielsweise iPads ein. Jeder Mitarbeitende auf unseren Flugzeugen besitzt heute ein Tablet mit integrierter SIM-Karte, auf dem er unter anderem Passagierlisten oder Crew-Kompositionen abrufen kann. Das passierte zuvor alles per Papier. Wenn man bedenkt, dass knapp 1000 Mitarbeitende von Edelweiss nicht physisch in unseren Büros sind, sondern remote auf den Fliegern arbeiten, dann sieht man auch, warum die Digitalisierung so wichtig für uns ist. Denn dank der Digitalisierung können wir diese Mitarbeitenden erreichen, etwa indem wir heute Webcasts auf Knopfdruck machen können. Viele unserer Mitarbeitenden sind ausserdem Digital Natives, die einen gewissen Digitalisierungsgrad erwarten.


Dank der SIM-Karte können die Mitarbeitenden mit den iPads weltweit online gehen?
Das wäre die Vision, aktuell sind die SIM-Karten aber nur in der Schweiz nutzbar. Im Ausland müssen die Mitarbeitenden sich die Informationen noch via WLAN, beispielsweise im Hotel, aufs iPad holen. Gleichzeitig planen wir, die Flugzeuge nachhaltig mit WLAN für die Crew auszurüsten – allerdings gehört dieses Projekt zu denen, die im Zuge der Pandemie nach hinten geschoben wurden.


Welchen Impact hatte Corona grundsätzlich auf die Edelweiss-IT? Das Airline-Geschäft ist ja wie kaum ein anderes von der Pandemie betroffen?
Die Krise hat sich natürlich auch auf die IT von Edelweiss ausgewirkt – zu Beginn insofern, als dass wir sicherstellen mussten, dass unsere Mitarbeiter aus dem Home Office arbeiten konnten. Das ging relativ reibungslos, weil wir Ende 2019 komplett auf Office 365 – heute Microsoft 365 – migrierten, was uns bei der Remote-Arbeit natürlich zugutekam. Im Zuge der Pandemie wurde dann wie angesprochen das Projektportfolio massiv zusammengestrichen und die ganze Priorität auf mögliche zukünftige Verkäufe gelegt – will heissen: Wir treiben ausschliesslich noch Projekte voran, die verkaufsstrategisch relevant sind respektive einen Return on Investment versprechen. Das bedeutet gleichzeitig, dass die Zeiterfassung bei Edelweiss nach wie vor via Excel geschieht, auch wenn wir das eigentlich nur zu gerne digitalisieren würden – doch das liegt im Moment einfach nicht drin. So ist aus einem Portfolio, das 52 Projekte umfasste, eines mit zehn Projekten geworden.

Welche Projekte gehören zu denen, die weiterlaufen?
Den höchsten Fokus hat bei uns aktuell das NDC-Programm. NDC steht für New Distribution Capability, es geht dabei um die Kooperationsmöglichkeiten mit Reiseveranstaltern und anderen Airlines. Das Projekt umfasst im Wesentlichen die Adaption eines neuen, XML-basieren Datenübermittlungsstandards – es geht also primär um Schnittstellen. Ebenfalls ein spannendes Vertriebsprojekt, das in diesem Jahr läuft, ist die Erweiterung unserer Buchungsplattform. Bei der Swiss ist es als Passagier ja heute schon möglich, seine Buchung über das Webportal selbst zu verwalten – etwa einen Sitzplatz zu reservieren oder Zusatzgepäck dazu zu kaufen. Geplant ist, dass wir im Laufe des Herbstes diese Funktionalitäten auf flyedelweiss.com ebenfalls einführen.


Infrastrukturprojekte laufen somit aktuell keine mehr?
Wie gesagt, der Fokus liegt auf kunden- und verkaufsgetriebenen Projekten. Ein grösseres Infrastrukturprojekt konnten wir unmittelbar vor Corona noch beenden – wir haben per Ende 2019 unsere Client-Infrastruktur auf den neuesten Stand gebracht. So arbeitet nun jeder Boden-Mitarbeitende mit einem Notebook, zudem wurden alle Clients auf Windows 10 migriert, es wurden neue Anwendungen wie Onedrive eingeführt und es mussten auch zahlreiche Legacy-Anwendungen in das neue System überführt werden. Das Projekt umgesetzt hat Upgreat, unser Outsourcing-Partner im Client-Bereich, der uns schon seit Jahren betreut.

Unser Magazin hat Sie vor gut zehn Jahren bereits einmal interviewt – damals waren Sie CIO bei Mövenpick und haben konsequent auf Outsourcing gesetzt mit der Begründung, dass die Kernkompetenz von Mövenpick in der Gastronomie und nicht im Betreiben von Servern liegt. Wie ist das heute bei Edelweiss?
Ähnlich – meine Philosophie hat sich kaum geändert: Ich gewinne nichts für Edelweiss, wenn ich Server betreibe. Mein Anspruch ist es, die digitale Transformation im Fokus zu haben und die Verkaufsthematik technologisch voranzutreiben, um Edelweiss einen Vorsprung gegenüber den anderen Airlines zu verschaffen. Business drives IT, und nicht umgekehrt – das galt schon damals und gilt auch heute.

Gleichzeitig haben Sie vorhin erwähnt, dass Sie Industrie-bedingt noch ganz viele Legacy-Systeme unterstützen müssen. Wird es so nicht schwierig, die Digitale Transformation voranzutreiben?
Mein Fokus ist der, dass ich die Business-Logik in die Azure Cloud verschiebe und die Legacy-Systeme über Schnittstellen ansteuere. Das haben wir bereits weitgehend so umgesetzt. Ich zapfe heute jedes Legacy-System via Azure Expressroute an und orchestriere die Schnittstellen zunehmend nur noch über das Azure API Management. Damit haben wir quasi die alte und die neue Welt verheiratet, und wenn ein Legacy-System durch eine modernere Technologie abgelöst wird, kann ich einfach den Stecker umstecken, weil eben: Die Business-Logik ist schon in der Cloud.


Und diese Schnittstellen von Azure zu den Legacy-Systemen gibt es?
Zum Teil, und zum Teil haben wir sie selbst entwickelt respektive durch unsere Partner entwickeln lassen. Dabei setze ich auf Entwicklungsboutiquen, eher kleine, agile Firmen, die nah bei uns sind und das komplexe Airline-Geschäft verstehen.

Und wie setzt sich Ihr 15-köpfiges Team zusammen? Beschäftigen Sie da auch noch interne Entwickler?
Vom internen Team sind rund die Hälfte der Mitarbeitenden für den Betrieb, die andere Hälfte für den Change zuständig – Run the Business und Change the Business. Früher haben wir noch Entwickler selbst beschäftigt, heute nicht mehr – denn meine Devise lautet, dass man etwas entweder richtig oder gar nicht machen soll, und Software-Entwicklung richtig zu machen ist kein Zucker­schlecken, weshalb wir diese extern einkaufen. So beschäftigen wir heute Mitarbeitende, die eine Doppelrolle als ­Projektleiter und Business Analyst einnehmen, genauso wie Mitarbeitende mit hoher Spezialisierung, im Bereich Data Warehousing beispielsweise, sowie Leute im Betrieb, die gleichzeitig Airline-Know-how mitbringen. Unterstellt ist die IT direkt unserem CEO Bernd Bauer, denn IT ist für Edelweiss strategisch. Er ist ebenfalls ein Digitalisierungsmotor und unterstützt uns wenn immer möglich in unseren Bestrebungen.


Sie setzten wie erwähnt seit jeher stark auf Partner. Mit Ihrer Erfahrung: Wie lautet Ihr Rezept für erfolgreiches Outsourcing?
Mit vielen der Partner, mit denen ich bei Edelweiss zusammenarbeite, habe ich schon bei Mövenpick gearbeitet – kenne sie also schon lange. Ich versuche Partner auszuwählen, mit denen ich mich als Firma auf Augenhöhe treffen kann. Nehmen wir unseren Client-Out­sourcing-­Partner Upgreat – wie wir ein KMU. Natürlich könnte ich auch ein Unternehmen wie Swisscom mit dem Client-Outsourcing betrauen, und das würde sicherlich funktionieren – trotzdem denke ich nicht, dass die Partnerschaft so reibungslos wäre, eben weil man sich nicht auf Augenhöhe begegnet. Speziell für Edelweiss gilt, dass zahlreiche unserer Partner vom Airline-Virus gepackt sind. Eine Airline ist letztlich einfach spannend und interessant für eine Zusammenarbeit. Ich versuche zudem Partner auszuwählen, die physisch nah bei uns sind – ich bin Fan von Partnern aus der Schweiz, die Zusammenarbeit mit einem lokalen Provider ist am Ende des Tages einfacher, egal wie man es dreht und wendet. Last but not least sehen wir jedes Unternehmen, mit dem wir zusammenarbeiten, nicht einfach als Lieferanten, sondern als Geschäftspartner.

Stefan Graf

Stefan Graf war abgesehen von einem zweijährigen Gastspiel beim später von Hewlett-­Packard aufgekauften Outsourcer EDS von 1993 bis 2014 für die Mövenpick Holding tätig – die letzten acht Jahre davon als CIO. Danach wechselte der heute 48-Jährige zu Adnovum Informatik als Head of Business IT Consulting, bevor er Anfang 2017 die Position als Head of IT bei der der Lufthansa-Tochter Edelweiss übernahm.

Zum Unternehmen


Die Fluggesellschaft Edelweiss wurde 1995 unter Federführung des Reisekonzerns Kuoni gegründet und nahm Anfang 1996 den Flugbetrieb auf. 2008 folgte der Zusammenschluss mit der Swiss, wobei Edelweiss bis heute als eigenständiges Unternehmen unter dem Dach der Lufthansa Group weitergeführt wird. Die Flotte von Edelweiss besteht aktuell aus 16 Flugzeugen, die Airline fliegt sowohl europäische wie auch internationale Ferienziele an. 2019 – im Jahr vor der Pandemie also – machte die hochrentable Airline einen Umsatz von 729 Millionen Franken und beförderte 2,67 Millionen Passagiere. Per Ende 2019 beschäftigte Edelweiss 1124 Mitarbeitende, von denen 260 zur Cockpit Crew, 683 zur Cabin Crew und 181 zum Ground Staff zählten. (mw)


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