Wie viele Unternehmen in der Privatwirtschaft steht auch der Schweizer Bundesapparat vor einer beachtlichen Aufgabe: Die SAP-Instanz muss bis spätestens 2027 auf den neuen Standard SAP S/4HANA aufdatiert respektive neu konzipiert werden, denn dann dreht der Hersteller der Vorgängerversion den Update-Hahn zu. Das wäre zum einen sicherheitstechnisch nicht vertretbar, zum anderen will und muss man auch beim Bund Innovation vorantreiben und von der neuen Cloud-Architektur profitieren, die mit dem SAP-Update Einzug hält. Damit geht es für Bundesbern derzeit um den Aufbau einer Cloud- und zweier SAP-Instanzen, die allerspätestens ab 2027 zur Verfügung stehen müssen: Eine für die zivile Bundesverwaltung mit dem Programmnamen SUPERB und eine für die kritischen Infrastrukturen der Armee unter dem Namen ERP-Systeme V/ar. Die Kosten sind hoch und haben im Vorfeld für erhebliches Aufsehen gesorgt: 320 und 240 Millionen Franken wurden für die externen Ressourcen vom Parlament gesprochen. Inklusive Eigenleistungen der Bundesverwaltung rechnet man mit 420 respektive 360 Millionen Franken für SUPERB und ERP-Systeme V/ar. Die Vorleistungen eingerechnet kommt man gar auf 485 und 435 Millionen und damit zu einem Total der Programmkosten von 920 Millionen Franken.
Die beiden obersten Programmverantwortlichen von SUPERB – Pierre Broye, Direktor des Bundesamts für Bauten und Logistik, als Auftraggeber des Programms sowie Patrik Riesen, Principal Consultant und Programm-Manager, in seiner Rolle als operativer Programmleiter – standen «Swiss IT Magazine» Rede und Antwort zum grössten IT-Vorhaben, das der Schweizer Staatsapparat jemals umgesetzt hat.
Pierre Broye, Direktor des Bundesamts für Bauten und Logistik (Quelle: Bund)
Patrik Riesen, Principal Consultant und Programm-Manager (Quelle: Bund)
SAP – seit mehr als 20 Jahren
Broye zeigt zu Beginn des Gesprächs einen Bundesratsbeschluss mit dem Titel «Einsatz der Standard-Software SAP in der Bundesverwaltung» – es stammt aus dem Jahr 1997 und ist damit der Startschuss für den Einsatz von SAP beim Bund. «Das ist unsere Ausgangslage. Der Bundesrat traf damals diese Entscheidungen und heute kann man die Ähnlichkeiten zum nun vorliegenden Programm gut sehen: Das ist zum einen die Einführung und der Einsatz von SAP für die Support-Prozesse der gesamten Bundesverwaltung, aber auch der Grundsatz zur verbindlichen Einhaltung von Standardisierung», so Broye. Ebenfalls Teil des Beschlusses ist die Entscheidung, die Einsatz- und Logistikprozesse des Verteidigungsdepartements in einer separaten Instanz abzubilden.
In den vergangenen rund 20 Jahren ist das System sukzessive gewachsen, heute erledigen mehr als 1000 auf das SAP-System gebaute Fachapplikationen zentrale Aufgaben für knapp 80 Verwaltungseinheiten in sieben sehr unterschiedlichen Departementen und der Bundeskanzlei. Broye präsentiert ein paar Kennzahlen zur Landschaft, mit der man es zu tun hat: Pro Jahr werden 600’000 Rechnungen bezahlt, 1,2 Millionen Transaktionen (bis zu 50’000 pro Tag) abgewickelt, 450’000 Lohnabrechnungen ausgestellt und 100’000 Bewerbungsdossiers gesichtet. Der ganze Bundeshaushalt von rund 70 Milliarden Franken wird über dieses System verarbeitet. «Das zeigt die Komplexität, mit der wir uns heute auseinandersetzen müssen», so Broye.
Umstellen wäre noch teurer
Im Vorfeld zum heutigen Vorhaben wurden besonders zwei wichtige Entscheidungen getroffen, wie Pierre Broye erläutert: Die Erarbeitung einer Marktanalyse sowie die Definition der strategischen Leitplanken des Bundesrates. In der Marktanalyse hat man die Alternativprodukte zu SAP evaluiert. Broye: «Die Analyse ergab, dass das Vorhaben beim Einsatz einer anderen Software rund 350 Millionen Franken mehr gekostet hätte. Dieser Betrag wurde mit den Mehrkosten für Anschaffung, Umschulung und Migration erklärt, die Umstellung auf ein anderes System wäre den Bund also teuer zu stehen gekommen.» 2017 wurde daher entschieden, dass man das Projekt – einmal mehr – mit SAP umsetzen will. Ein weiterer zentraler Punkt neben den Mehrkosten: In der Schweiz finden sich im Vergleich zu Konkurrenzprodukten schlicht mehr Fachkräfte und einsehbare Referenzprojekte für das SAP-Projekt, wie Programmleiter Patrik Riesen ergänzt. Die bundesrätlichen Leitplanken definieren derweil fünf Grundsätze, die den Grundstein für das Programm SUPERB und ERP-Systeme V/ar bilden: Die Standardisierung der Supportprozesse, die Zentralisierung der Stammdatenverwaltung, die Zweisystemlandschaft, der Einsatz von Cloud-Technologie und die Vereinfachung und Vereinheitlichung der Schnittstellen im System.
Das Ziel des Programms ist es letztlich, einen Nutzen für alle Stakeholder zu schaffen, so Broye. Etwa dank ständiger Verfügbarkeit aufgrund der neuen Cloud-Architektur, der Vereinfachung der Stammdatenpflege oder der Nutzererfahrung bei Online-Portalen für Wirtschaft und Bevölkerung.
Warum zwei Systeme?
Das Projekt zur Einführung von SAP S/4HANA wird, wie bereits erwähnt, in eine Zweisystemlandschaft und damit die beiden Programme SUPERB und ERP-Systeme V/ar aufgeteilt. Diese Trennung hatte, besonders in der Finanzdelegation des Parlaments, in den vergangenen Jahren viel Kritik geerntet und wurde mehrfach als unnötig und undurchdacht bezeichnet. Die Frage, warum die Armee eine speziell gehärtete und im Notfall isolierbare SAP-Umgebung benötigt, war in der Debatte allgegenwärtig.
«Schon damals hat man diese Trennung gemacht», so Pierre Broye mit Bezug auf den Bundesratsbeschluss von 1997 und ergänzt, dass dies vor allem den grossen Unterschieden zwischen zivilen und militärischen Prozessen – wie etwa bei der Beschaffung oder der Logistik – geschuldet ist. Der Maximalstandard, den die Armee an das System stellt, sollte nicht auf die restlichen Prozesse des Bundes angewendet werden, weil man damit die Komplexität unnötig aufblähen würde. Broye: «Die Business-Logik ist schlicht eine andere, es sind verschiedene Welten. Es wäre falsch, dafür einheitliche Prozesse bauen zu wollen.» Patrik Riesen konkretisiert: «Der Kern des Systems ist für SUPERB und ERP-Systeme V/ar derselbe, das Verteidigungsdepartement hat aber erweiterte Bedürfnisse, die als spezielle Lösungen auf den Kern gebaut werden.»
Anders gesagt: Auch im Falle einer einheitlichen Umgebung hätte das VBS Ansprüche eingebracht, die einen massiven Mehraufwand nach sich gezogen hätten. Broye räumt aber ein, dass man versäumt habe, die Kosten einer Gesamtlösung zum Vergleich darzustellen und davon ausgehend die Einsparungen hätte offenlegen können.
Ein spannendes Beispiel aus aktuellem Anlass unterstreicht Broyes Aussage: Die Beschaffung der COVID-Impfstoffe, die über die Armeeapotheke abgewickelt wird, hat völlig andere Anforderungen als eine Beschaffung aus dem zivilen Bundesapparat. Dieser Prozess mit all seinen Sicherheitsvorkehrungen (wie etwa geheimen Lagerstätten) sowie zusätzlichen regulatorischen Anforderungen hat im zivilen System nichts verloren. Eine Integration der Armeesysteme wäre aufwändiger, teurer und sicherheitstechnisch problematisch gewesen, schlussfolgern Broye und Riesen.
Die Angst vor Insieme 2.0
In den vergangenen Jahren standen ein paar Nationalräte – besonders aus der einflussreichen Finanzdelegation – dem Projekt sehr kritisch gegenüber. Die notwendige Denkarbeit sei noch nicht getan, das Konzept nicht durchdacht genug und man laufe Gefahr, viel Geld zu verbraten. Broye und Riesen setzten auf Kooperation und kommunizierten eng mit den Parlamentariern und dem zuständigen Bundesrat Ueli Maurer, um Zweifel und Unklarheiten aus dem Weg zu räumen. Das Ergebnis: Die Kredite wurden 2020 in den beiden Räten einstimmig durchgewunken. «Die Fragen der Parlamentarier waren allesamt durchaus berechtigt», schliesst Riesen, «aber wir waren in der Lage, sie alle zu beantworten.»
Angesprochen auf die teils eher unglückliche Vergangenheit der IT-Beschaffung beim Bund und den Vergleich zum spektakulär gescheiterten Insieme-Projekt der Steuerverwaltung antwortet Broye: «Comparaison n’est pas raison – Vergleich ist nicht gleich Vernunft. Ich kann nicht viel zu Insieme selbst sagen, das liegt ausserhalb meines Einflussbereiches. Aber: Das Parlament hat Insieme im Nachgang behandelt und Massnahmen definiert, die die Führung von IKT-Grossprojekten verbessern sollen. Diese Vorgaben wurden bei unserer Planung massgeblich berücksichtigt, so wurden etwa alle Anbieter 2017 per WTO-Ausschreibung gesucht.» Für die fünf Bereiche Finanzen, Personal, Logistik, Business Intelligence und Technik gibt es jeweils fünf Zuschlagsempfänger (siehe Tabelle). Innerhalb dieser Kategorien werden Mini-Tenders durchgeführt, die dafür sorgen, dass man den besten Preis und die beste Qualität für eine Leistung erhält, wie Broye ausführt.
Die total 560 Millionen Franken Verpflichtungskredit, die das Parlament für die externen Mittel der beiden SAP-Projekte gesprochen hat, sind das verpflichtende Kostendach, das genutzt werden darf, wie Broye klarstellt. Ein weiterer Kredit müsste erneut vom Parlament bewilligt werden. «Natürlich gibt es bei einer solchen Projektgrösse Unsicherheiten, natürlich werden wir Überraschungen erleben», so Broye. Das Ziel sei aber klar: das Projekt so umzusetzen, wie es das Parlament auch verabschiedet hat. «Dieses Geld muss reichen. Scheitern ist keine Option», so der Auftraggeber.
Umsetzung, Chancen und Risiken
Patrik Riesen erklärt den groben Ablauf des Projektes (siehe Abbildung Timeline): «2020 haben wir die Grundlagen geschaffen. Aktuell sind wir an der Umsetzung des Kerns des Systems, den wir nun für uns anpassen. Das wird Ende 2021 abgeschlossen sein. Der Systemkern ist die Grundlage für die Fachanwendungen, bei denen wir derzeit in der Analyse-Phase sind. Ende 2021 wollen wir damit anfangen, die 110 grössten und wichtigsten Fachanwendungen mit allen Abhängigkeiten zu integrieren und zu testen.» Der aktuelle Projektplan sieht das Go-Live Anfang 2024 vor, Riesen räumt aber ein, dass man den Puffer zum Termin in der Botschaft (Anfang 2025)möglicherweise brauchen wird.
Das ganze Vorhaben soll pragmatisch und auf Basis von agilen, zweiwöchigen Lieferzyklen umgesetzt werden, wie die Verantwortlichen betonen. Derzeit ist man im engen Kontakt mit den Departementen, um deren Bedürfnisse im gegenseitigen Austausch zu eruieren und ihnen damit auch eine gewisse Planungssicherheit zu garantieren.
«Wir wollen mit den Menschen arbeiten und pragmatisch bleiben», so Broye zusammenfassend. Risiken sieht er in der Ressourcenverfügbarkeit, besonders im personellen Bereich und bei der Termineinhaltung. «Aber nichts davon macht mir Kopfschmerzen. Für mich ist es besonders wichtig, dass wir das Vertrauen der Parlamentarier haben und sie befähigen, das Programm begleiten zu können. Deshalb: Pragmatismus statt Dogmatismus. Jedes Amt ist wichtig und wir müssen dafür sorgen, dass die gesamte Mannschaft im Boot ist.»
Patrik Riesen ergänzt: «Wichtig ist in meinen Augen besonders die Integration, denn es geht um übergreifende Themen. Gerade bei einem solchen grossen Vorhaben mit fachlichen und technischen Herausforderungen muss man das sehr ernst nehmen. Wir müssen unseren Leuten in den Verwaltungen vermitteln, dass sie nicht allein sind. Und am Ende des Tages nutzen das System sowohl die Bundesangestellten wie auch die Bevölkerung. Dazu brauchen wir eine hohe Akzeptanz, die von Anfang an gegeben sein muss.»
Nach dem Projektplan soll das System Anfang 2024 live gehen. Derzeit lotet die Programmleitung noch die Bedürfnisse der Departemente aus. (Quelle: EFD)
SAP baut Cloud-Instanz des Bundes
Der Bund hat mit SAP einen Rahmenvertrag über zehn Jahre und 121 Millionen Franken verhandelt, der als Basis für die Cloud-Lösungen der Bundesverwaltung dient. Diese Beschaffung betrifft nicht nur SUPERB und ERP-Systeme V/ar, sondern die ganze Bundes-IT. Mit dem Zuschlag wird SAP diese Cloud-Instanz für den Bund aufbauen. Die SUPERB-Verantwortlichen bezeichnen den Schritt als Grundlage für die Programme SUPERB sowie ERP-Systeme V/ar. Der abgeschlossene Vertrag basiert auf der vom Bundesrat im Dezember 2020 genehmigten Cloud-Strategie, welche die Grundlagen für den Einsatz von Clouds in der Bundesverwaltung festlegt.
(win)