"Swiss IT Magazine": Herzliche Gratulation Herr Bürgi, Sie haben im September den Confare CIO Award für den besten CIO der Schweiz erhalten. Was bedeutet der Preis für Sie?Franz Bürgi: Das ist vor allem ein Preis für das Team, ich habe ihn lediglich entgegengenommen. Und schliesslich ist Technologie nicht allein die Sache des CIO. Tamedia als Ganzes hat viele Bereiche, in denen in Technologie und IT investiert wurde und noch immer wird. Das nimmt die Öffentlichkeit auch zunehmend so wahr. Für uns ist das der Lohn für die beharrliche Arbeit und darauf haben wir zusammen angestossen.
Die Confare-Jury betonte, dass Ihre Bemühungen zur Schaffung eines tech- und datengetriebenen Unternehmens ausschlaggebend für die Nominierung waren. Was war in Ihren Augen nötig dafür?Es geht um die digitale Transformation der Firma als Ganzes. Dabei muss man auch die Geschichte von Tamedia im Blick haben: Was ursprünglich ein traditionelles Zeitungshaus war, hat in den letzten zehn Jahren eine eindrückliche Transformation in Richtung Digitalisierung durchlaufen. Das gezielte Einsteigen in digitale Geschäftsfelder, etwa durch die Akquisitionen von Online-Plattformen, ist der erste Schritt. Dazu braucht es ein Management, das diesen Weg konsequent geht. Schlussendlich muss aber auch in der Organisation viel passieren, damit man nicht nur Prozesse digitalisiert, sondern das ganze Geschäftsmodell.
Als CIO befinden Sie sich bei einer solchen Transformation im Dreieck zwischen dem Management mit einer klaren Vision für die Transformation, der IT-Abteilung, die für die Umsetzung zuständig ist, sowie der User-Basis. Wie gehen Sie diese delikate Aufgabe an?Über die Rolle des CIO wird ja gerade überall intensiv diskutiert. Es gibt verschiedene Facetten: Wir haben als CIOs nach wie vor die wichtige Aufgabe, unsere Umgebungen stabil zu betreiben. Man spricht ja gerne von Agilität, aber ohne Stabilität gibt es keine Agilität. Gleichzeitig müssen wir uns heute mit dem Business eng verknüpfen und dieses wirklich verstehen. Gemeinsam kann man so die Lösungen für die Zukunft bauen. Bei den Benutzern teilt sich das in unserem Geschäft in interne und externe Benutzer auf, da ist die Frage, wovon man spricht.
Sprechen wir über die internen Benutzer, also Ihre eigenen Angestellten.Unsere Mitarbeitenden sehen natürlich zuerst den Workplace und die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren. Sie wollen einen flexiblen und attraktiven Arbeitsplatz. Die Erwartungen sollten nicht durch sture Vorgaben von oben gedämpft werden. Man muss den Mitarbeitenden etwas bieten, wie etwa mobile, schnelle Endgeräte und gute Kommunikationswerkzeuge. Für letzteres haben wir beispielsweise gerade konzernweit Slack als weitere Kommunikationsplattform eingeführt. Die Leute suchen ein Umfeld, in dem sie gut aufgehoben sind. Wir sind gefordert, agil auf diese Bedürfnisse einzugehen und nicht eine statische, zentrale Informatik zu betreiben.
Und das alles bringen Sie mit den Vorgaben des Managements unter einen Hut?Das Management macht uns da recht wenige Vorgaben. Die Kultur wurde zu Beginn stark durch die digitalen Firmen, die mit den Übernahmen dazugestossen sind, geprägt. Heute haben wir etwa 900 Software-Spezialisten und IT-Leute, das sind rund 25 Prozent der Belegschaft. Darunter sind viele junge Leute, die eine agile Kultur fordern. Das Management bestimmt natürlich über das Budget, den Druck spüren wir aber schlussendlich von unten.
Wenn wir von Druck sprechen – in der Medienbranche sind Sie mit aussergewöhnlichen Anforderungen konfrontiert. Themen wie sichere Kommunikation oder Quellenschutz haben einen besonderen Stellenwert. Was sind im Medien-Kontext die wichtigsten Themen, wo spüren Sie in diesen Bereichen den Druck?Als Medienhaus sind wir geprägt von einer hohen Dynamik, die uns vom Markt aufgezwungen wird. Wir investieren substanziell in Cyber Security und haben mit der Verpflichtung von Andreas Schneider die Rolle des Chief Information Security Officer (CISO) für die Gruppe geschaffen, der hierarchisch auf meiner Stufe agiert und einer meiner engsten Arbeitskollegen ist. Das Thema Security ist herausfordernd – man kann eine Umgebung wie unsere nicht durch eine Mauer von aussen abschotten, die angesprochene Agilität muss stets gewährleistet sein.
Wie erreichen Sie diese Kombination aus Agilität und Sicherheit?Wir verfolgen eine konsequente Cloud-Strategie. Eine Cloud-Lösung ist aus meiner Sicht sicherer als das, was man selber betreibt, da diese Anbieter enorm viel in Security investieren. Schlussendlich gilt es noch, die Clients zu schützen und durch geeignete Lösungen zu überwachen. Wir betreiben auch die Sicherheit agil und treffen dort Massnahmen, wo es am wichtigsten ist. Damit fahren wir sehr gut.
Im Medienbereich betreibt Tamedia verschiedenste Publikationen. Wenn man diese genauer anschaut, hegt man den Verdacht, dass unterschiedliche Technologien dahinterstehen. Wie homogen ist die IT-Landschaft von Tamedia?Die IT-Landschaft ist gemeinsam mit der Tamedia gewachsen und die teilweise unterschiedlichen Plattformen und Technologien sind dadurch entstanden. Eine Harmonisierung ist somit sicherlich eine unserer wichtigeren Aufgaben. Wir gehen dieses Thema in grossen Transformationsprojekten an, in denen gemeinsam mit dem Business ganze Bereiche harmonisiert werden. Hier gibt es verschiedene Beispiele, wie etwa die Migration auf eine übergreifende CRM-Lösung von Salesforce oder die Einführung von Workday im Bereich Corporate Services.
Gibt es auch eine Harmonisierung in der redaktionellen Arbeit?Ja, das wichtigste Beispiel für die Harmonisierung, die Tamedia Editorial Cloud, bezieht sich auf die Arbeit in den Redaktionen. Wir hatten bisher mehrere, getrennte Systeme für die Zeitungsproduktion und das Content Management der Websites. In der Editorial Cloud sollen Journalistinnen und Journalisten alles finden, was sie für ihre Arbeit brauchen. Natürlich bleiben die Front-Ends unterschiedlich, aber die Inhaltserstellung soll aus einem Editor erfolgen. Der Aufbau der Editorial Cloud ist ein Grossprojekt, das sich in fortgeschrittener Umsetzung befindet. Seit Juli 2018 haben wir die Produktion aller Deutschschweizer Tageszeitungen der Tamedia auf diese Plattform migriert, derzeit holen wir die Zeitungen in der Romandie dazu. In einem nächsten Schritt folgen die Online-Medien sowie weitere Publikationen.
Wie sieht denn das Vorgehen bei den Online-Medien aus?
Wir arbeiten derzeit intensiv an der Integration der Online-Medien in die Editorial Cloud. In Zukunft soll Online immer das erste Element sein. Man konzipiert die Inhalte fürs Web und bedient von dort die verschiedenen Kanäle. Aus Systemsicht wollen wir eine einheitliche Lösung haben, die alle Werkzeuge für die Journalisten beinhaltet.
Können Sie uns ein Beispiel für die angesprochenen Werkzeuge beschreiben?
Da gibt es einige, zum Beispiel die Bildsuche in unseren riesigen Bildarchiven. Dabei geht es darum, mit möglichst kleinem Aufwand passende Bilder zu finden. Hier arbeiten wir nicht nur mit Schlagwörtern, sondern helfen mit künstlicher Intelligenz nach, die Muster erkennt und damit vergleichbare Bilder liefern kann.
Entwickeln Sie die Editorial Cloud selbst oder macht das ein externer Dienstleister?
Wir arbeiten mit einem Mix aus beidem. Gewisse Teile entwickeln wir selbst, für anderes setzen wir erprobte Marktlösungen ein. Wir entscheiden das situativ und führen die Elemente dann zusammen. Vor allem Komponenten, die strategisch relevant sind, wollen wir selbst entwickeln. Daher machen wir zum Beispiel im Frontend-Bereich vieles selbst, da wollen wir entscheidend mitgestalten. Bei zudienenden Systemen entscheiden wir uns nach Möglichkeit für Best-of-Breed-Produkte vom Markt. Der Cloud-Ansatz heisst für uns aber letztlich, dass wir standort- und geräteunabhängig arbeiten können – das ist das Ziel.
Mit Produkten wie Ricardo.ch, Car4you.ch, Homegate.ch, Starticket und Doodle betreibt Tamedia auch eine Reihe von Online-Plattformen. Liegen das Management und die Weiterentwicklung auch im Aufgabenbereich der Tamedia-IT?
Die akquirierten Firmen haben in der Regel erfahrene, eigene Technologie-Abteilungen, die man soweit auch nicht verändern will. Das Stichwort ist einmal mehr Agilität: Nur so bleiben die Firmen handlungsfähig. Es gibt jedoch Themen, bei denen wir konzernweit harmonisieren. So etwa bei der Collaboration, wo wir mit Slack und der G Suite von Google arbeiten oder auch bei den Corporate Services. Es ist letztlich so viel zentral, wie es sinnvoll ist. Ansonsten sollen Lösungen dezentral sein, damit sich die Geschäftseinheiten optimal am Markt bewegen und im Rahmen agiler Entwicklungsmethoden in sehr kurzen Abständen neue Releases und Features ausrollen können.
Wie laufen Integrationen von neuen Firmen und Umgebungen, sowohl im Medien- wie auch im Marktplatz-Geschäft?
Bei den Plattformen lässt man den technologischen Teil oft wie gehabt eigenständig weiterlaufen und entwickelt im Laufe der Zeit dann Synergien. Im publizistischen Geschäft ist das anders, denn dieser Markt steht ja bekanntlich unter grossem Druck. Daher versuchen wir, die Synergien rasch und maximal zu nutzen. Wichtig ist hier, dass die journalistische Unabhängigkeit und Flexibilität gewahrt bleibt, im Bereich der Infrastruktur aber konsequent zusammengeführt wird.
Sie haben vorhin erwähnt, dass Sie mit der Google G Suite arbeiten. Heisst das, dass Sie bei Tamedia keine Microsoft-Office-Produkte benutzen?
Das ist weitgehend richtig, unsere Collaboration-Welt besteht aus Google-Produkten wie Google Docs, Sheets oder Slides. Aber natürlich müssen auch wir kompatibel zur Microsoft-Welt sein und setzen wo nötig Office ein, nutzen aber wenn immer möglich G-Suite-Produkte. Die Erfahrung hat gezeigt, dass wir so sehr flexibel arbeiten können. Die Einführung dieser Tools hat übrigens viel am Mindset verändert. Das Bewusstsein dafür, dass wir fortan sehr effizient zusammenarbeiten können, hat enorm viel gebracht.
Wie viele Mitarbeiter umfasst die Tamedia-IT und wie ist Ihre IT-Abteilung organisatorisch aufgestellt?
Die zentrale IT zählt rund 160 Mitarbeitende. Unsere Organisationsstruktur richtet sich dabei nach dem Business. Da gibt es unterschiedliche Bereiche, etwa das Publishing, den logistischen Bereich oder die Vermarktung. Und nebst einem modernen Workplace braucht es nach wie vor eine zuverlässige, darunterliegende Infrastruktur, die sich im Rahmen der Cloud-Strategie aber rasch verändert. Die Organisation der IT ist in meinen Augen zentral für die Rolle des CIO: Wenn wir uns nicht nach dem Business ausrichten, haben wir keine Zukunft.
Wie sind die vielen Plattformen, die Tamedia betreibt, IT-technisch organisiert?
Da ist einerseits unter der Leitung unseres Group CTO Thomas Gresch ein Team mit etwa 30 Mitarbeitenden, das im Bereich Innovation arbeitet und Themen wie künstliche Intelligenz, Data Analytics, Business Intelligence und Spezialprojekte abdeckt. Ausserhalb der Schweiz betreiben wir zudem ein Engineering Center in Belgrad mit über 100 Mitarbeitenden, welche für die verschiedenen Tamedia-Bereiche und -Firmen arbeiten. Bei den Plattformen finden sich über die Gruppe hinweg über zehn CTOs: von 20 Minuten, über die Bezahlmedien, Ricardo, Homegate bis hin zu Goldbach. Das zeigt gut auf, wie technologiegetrieben das Unternehmen wirklich ist. Diese Leute fordern uns regelmässig heraus und treiben Innovationen voran. Diese Symbiose entwickelt enorm viel Kraft. Die Entstehung dieser Rollen ist übrigens ein wichtiger Faktor auf dem Weg zu einem technologiegetriebenen Unternehmen, als das wir nun auch wahrgenommen werden. Wir sind heute deutlich mehr als ein reines Medienhaus. Hier schliesst sich auch der Kreis zum CIO-Award – wir können damit gegen aussen zeigen, dass hier viel Spannendes passiert. Nicht zuletzt, um neue Talente ins Haus zu holen.
Was bringt das nächste Jahr für die Tamedia-IT und für Sie als CIO?
Anfang 2020 wollen wir mit der Editorial Cloud voll durchstarten. Generell wollen wir den Erwartungen, die mit den neuen Technologien einhergehen, gerecht werden. Da gibt es viele organisatorische Details zu berücksichtigen und das neue Budget wird zudem unter Berücksichtigung der angekündigten neuen Organisationsstruktur von Tamedia geplant. Das ist sowohl für uns wie auch für das Business sehr anspruchsvoll und spannend, die ganze Planung konkretisiert sich jetzt. Weitere Herausforderungen folgen in Form von neuen Projekten und Initiativen. Es wird mir also garantiert nicht langweilig.
Franz Bürgi
Franz Bürgi (56) amtet seit Juni 2017 als CIO der Tamedia-Gruppe. Er verfügt über einen Abschluss als Diplom-Ingenieur im Studienfach Elektrotechnik, Elektronik und Kommunikationstechnik sowie einen Master-Abschluss der Universität St. Gallen in Business Administration (MBA). In der Vergangenheit hatte Bürgi verschiedene leitende Positionen in der Medien- und Energiebranche inne, vor Tamedia arbeitete er als CEO bei Mediapulse Corporation for Media Research. Der Familienmensch Bürgi wohnt gemeinsam mit seiner Ehefrau und zwei Töchtern im Aaretal und verbringt seine Freizeit gerne mit Segeln und Musik.
Zum Unternehmen
Tamedia ist eines der grössten Schweizer Medienunternehmen. Das Unternehmen wurde 1893 gegründet und beschäftigt heute rund 3700 Mitarbeitende. Unter dem Dach von Tamedia sammeln sich schweizweit bekannte Titel wie der Tagesanzeiger, 20 Minuten und die Schweizer Familie sowie eine Vielzahl an Online-Plattformen wie Ricardo.ch, Starticket und Doodle.
(win)