Das folgende Problem kennt fast jeder Autofahrer: Eigentlich bringt man das Gefährt nur für einen kleinen Service in die Garage, etwa um die Bremsklötze zu prüfen oder abgefahrene Reifen zu ersetzen. Zum Ende hin erhält man aber eine Rechnung und stellt fest, dass der Garagist nebenbei noch verschiedene Zusatzleistungen erbracht hat, die so im Voraus nicht vereinbart waren. Genau hier setzt das Zürcher Start-up
Carhelper an, und zwar mit einer innovativen Plattform, die Licht ins Dunkel des Automobil-Dschungels bringen soll.
Matthias Gerber, Gründer und CEO des Jungunternehmens mit Sitz in Zürich, ist gelernter Automechaniker und kennt solche Fälle nur zu gut: "Als Automechaniker wird man oft von Freunden und Bekannten angefragt, wenn ein Problem mit dem Auto oder einer Garage auftritt." Für Kunden, die sich mit der Technologie im Innern ihrer Fahrzeuge nicht oder nur bedingt auskennen, stellt es sich als nahezu unmöglich heraus, die Höhe des Preises oder die Notwendigkeit von Services und Reparaturen zu beurteilen, die teils ohne Rücksprache verrechnet werden. In Zeiten von Booking.com und Comparis sind sich Kunden allerdings gewohnt, verbindliche Offerten zu erhalten, Preise und Angebote zu vergleichen. Genau dies soll die Online-Plattform
Carhelper für die Autobranche möglich machen, auch wenn sich das Umfeld als sehr komplex präsentiert: "Es müssen Millionen von Preiskalkulationen gemacht werden, über Tausende verschiedene Marken, Modelle und Motorisierungen hinweg", erklärt Gerber und ergänzt: "Je nach Alter ist jedes Bauteil anders, je nach Kilometerstand sieht der Wartungsplan anders aus." Um dies zu ermöglichen entwickelte das Carhelper-Team in Eigenregie einen Algorithmus, der für fast alle Autos Sofortpreise für den Service, inklusive Zusatzarbeiten, kalkulieren kann. Kunden erhalten dadurch verschiedene Angebote und können über die Plattform buchen. Eine Gebühr seitens Kunden wird nicht erhoben, Garagisten bezahlen pro vermitteltem Auftrag 10 Prozent des Auftragsvolumens.
Die Carhelper-Plattform in der Mobile-App-Version. (Quelle: Carhelper)
Die Carhelper-Plattform in der Web-Version. (Quelle: Carhelper)
Das Carhelper-Team besteht heute aus acht Leuten, darunter die beiden Gründer Matthias Gerber, CEO, (ganz links) und Aleksandar Stevanovic, CTO (ganz rechts). (Quelle: Carhelper)
Der Automobil-Dschungel
Den Anfang nahm alles im Herbst 2015, als sich Matthias Gerber einem Nachdiplomstudium zum Thema Digitalisierung und Online-Marketing widmete. "Damals schaute ich mich um, was im Automobilsektor für Plattformen in Asien oder den USA existieren", erinnert sich Gerber. "Zwar gibt es solche Plattformen, jedoch keine in einer Art, die sich auf die Schweiz übertragen liesse." Das Verlangen nach mehr Transparenz sei in der Schweiz aber klar vorhanden, es gibt einen grossen Automobilmarkt, viele Garagen. Mit einer konkreten Idee, wie sich so eine Plattform denn in der Schweiz umsetzen liesse, wendete sich Gerber gegen Ende 2015 an die Swiss Startup Factory. Das Konzept setzte sich gegen mehr als 100 Mitbewerber durch und gelangte mit rund zehn Mitbewerbern in die Endrunde des Start-up-Accelerator-Programms. "Dann ging es darum, verschiedene Milestones zu erreichen", so Gerber. Zum Ende war
Carhelper eines von drei Start-ups, die das Programm erfolgreich beenden konnten.
Als nächster Schritt folgte Mitte 2016 die Gründung der AG, mit dem Startkapital machte man sich daran, eine erste Version der Plattform zu entwickeln. Dazu setzte man komplett auf In-House-Entwicklung. Unter der Leitung von Aleksandar Stevanovic, Mitgründer und CTO, stand so im September 2016 die erste Version von Carhelper bereit. Das Konzept steckte allerdings noch in den Kinderschuhen. "Kunden konnten eine Anfrage machen, wir holten dann jeweils von drei Garagen eine Offerte ein", erklärt Gerber. Die Rechnung ging allerdings nicht ganz auf, denn die Garagisten nervten sich darüber, viele Offerten schreiben zu müssen, wobei sie dann vielleicht nur einmal von dreimal einen Auftrag erhielten. Schnell erkannte das Carhelper-Team, dass das Ganze zu ineffizient, der Aufwand zu gross war, woraufhin man den Entscheid zur Entwicklung eines Algorithmus zur Preiskalkulation fällte. "Im ganzen Jahr 2017 betrieben wir vordergründig die alte Offerten-Plattform, im Hintergrund investierten wir aber alle Ressourcen in die Entwicklung des neuen Systems", erinnert sich Gerber. Im November 2017 ging diese in einer Beta-Version live, nach zwei Monaten wurde aus der Beta- eine Vollversion.
Nachhaltige Kundenvermittlung
Mittlerweile liefert die Plattform für über 450 Garagen Sofortpreise, darunter viele kleine und mittelgrosse, aber auch einige grosse Garagen und -Gruppen. Das Ziel lautet denn auch, eine möglichst starke Durchmischung zu erreichen. Wie Gerber betont, konzentriert man sich vorerst aber noch auf die Deutschschweiz: "Angefangen haben wir mit dem Kanton Zürich, Agglomerationen und Städten in der Deutschschweiz. Als nächstes folgt die Innerschweiz." Aus sprachlichen Gründen wurden die Romandie und das Tessin bislang noch nicht ins Auge gefasst. "Da wir auch einen Kundensupport anbieten, das heisst, Kunden sich direkt an uns wenden können, sei es via Online-Chat, Hotline oder Mail, wo wir Spezialisten beschäftigen, müssten wir für die anderen Sprachregionen weitere Experten einstellen, um Kunden objektiv beraten zu können." Gerber verrät allerdings, dass man dies noch im zweiten Halbjahr 2018 in Angriff nehmen will. Um neue Garagen für die Plattform zu gewinnen, beschäftigt das Start-up einerseits einen Verkäufer, der aktiv Garagen anwirbt und Partnerschaften mit Garagen-Gruppen schliesst. Andererseits melden sich gemäss Gerber mittlerweile immer mehr selber. "Jeden Tag melden sich zwei bis drei Garagen an, einerseits bedingt durch die Wahrnehmung von uns über die Medien, andererseits, weil sie von anderen Garagisten hören, die über uns neue Kunden akquirieren", so der Gründer.
Carhelper überprüft dabei sämtliche Garagen, um diese auch qualitativ einordnen zu können. "Was wir nicht zulassen sind hobby-mässige Anbieter, sondern nur eingetragene Firmen", hält Gerber fest. Für ihn stellt es sich dabei nicht als Problem dar, dass Kunden den Dienst unter Umständen nur einmal in Anspruch nehmen: "Der Markt für Schweizer Automobilisten ist für uns gross genug. Dazu kommt, dass die Menschen umziehen oder die Automarke wechseln und somit erneut auf der Suche nach einer passenden Garage sind." Der Vergleich zu Parship und anderen Vermittlungsplattformen, die durch eine erfolgreiche Vermittlung "jeden Tag Kunden verlieren" ist naheliegend. "Wenn wir unseren Job gut machen, der Kunde zufrieden ist und über uns einen guten Garagisten findet und gleichzeitig auch der Garagist zufrieden ist, weil wir ihm nachhaltig einen Kunden eingebracht haben, dann spricht sich das schnell herum und wir haben unsere Sache richtig gemacht", so Gerber.
Doch das Konzept stiess zu Beginn nicht bei allen auf offene Ohren: "Die grösste Hürde war und ist es immer noch, den eher konservativen Markt zu überzeugen, dass man sich jetzt Gedanken machen muss, wie man in fünf, zehn, 20 Jahren als Garagist Geld verdienen will", verrät Gerber. "Bei vielen Garagen ist das mit grossen Ängsten verbunden, das Gewerbe musste sich bis jetzt nicht stark anpassen und verändern. Doch nun erreicht die Digitalisierung die Autobranche sozusagen mit voller Wucht."
Unterschiedliche Bedürfnisse
Um Kunden die Wahl einer passenden Garage zu erleichtern, vergibt
Carhelper einen Qualitätsindex, quasi als Äquivalent zu den Hotelsternen. Dieser berücksichtigt sowohl Preis- als auch Qualitätsunterschiede, doch Gerber relativiert: "Natürlich ist es nicht ganz so einfach, Garagen direkt miteinander zu vergleichen und zu bewerten, da es sich um ein unheimlich komplexes Umfeld mit verschiedensten Anforderungen, Angeboten und Spezialisierungen handelt." Je nach Kunden spielen andere Bedürfnisse eine tragende Rolle beim Entscheidungsprozess. Einerseits, so Gerber, gibt es klar das Segment, für das insbesondere der Preis entscheidend ist, andererseits seien rund die Hälfte der Nutzer eher auf der Suche nach Convenience, wollen vergleichen und dann buchen. "Uns ist wichtig, dass wir nicht einfach die billigsten Garagen haben, sondern auch die besten", betont Gerber.
(swe)