Interview mit Dr. Eric Scheidegger, SECO

"Die Digitalisierung birgt viele Chancen für die Schweizer Wirtschaft"

Interview: Fridel Rickenbacher

Die Schweiz muss sich für die Herausforderungen der Digitalisierung ­positionieren. Was das beinhaltet und wie eine dosierte Regulierung ­aussehen könnte, sagt Dr. Eric Scheidegger vom SECO.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2017/05

     

Der am 11. Januar 2017 publizierte Grundlagenbericht über die zentralen Rahmenbedingungen einer digitalisierten Wirtschaft klingt verheissungsvoll und lässt vieles erhoffen. Was sind die Kern- und Impulsthemen?
Die Digitalisierung birgt viele Chancen für die Schweizer Wirtschaft. Um Arbeitsplätze und Wohlstand zu sichern, muss die Schweizer Volkswirtschaft gut für die bestehenden und kommenden Herausforderungen positioniert sein. Deshalb hat der Bundesrat unter der Federführung des SECO eine umfassende Standortbestimmung folgender wirtschaftspolitisch wichtiger Themenfelder vorgenommen: Arbeitsmarkt, Forschung und Entwicklung, Sharing Economy, Digital Finance und Wettbewerbspolitik.
Der Bericht kommt zum Schluss, dass unser Land gut aufgestellt ist, um sich im digitalen Strukturwandel zu behaupten. Die bestehende Gesetzgebung bietet grundsätzlich eine geeignete Grundlage. Für neue Angebote der "Sharing Economy" – etwa im Personentransport oder bei Beherbergungs-Dienstleistungen – braucht es keine zusätzlichen Gesetzesgrundlagen, jedoch punktuelle Anpassungen.
Der Bericht richtet auch ein besonderes Augenmerk auf die Beschäftigung: Der Schweizer Arbeitsmarkt hat es jeweils gut verstanden, die Herausforderungen des Strukturwandels erfolgreich zu bewältigen. Eine solche stellt auch die Digitalisierung dar. Zentrale Erfolgsfaktoren sind das qualitativ hochstehende und arbeitsmarktnahe Bildungssystem sowie die Kombination eines flexiblen Arbeitsmarktes und einer funktionierenden Sozialpartnerschaft.
Serie Digitalisierung
In den letzten Jahren wurden einige wichtige Gesetzesvernehmlassungen, Bundesvorstösse, Standortbestimmungen für auch neue oder überarbeitete Gesetze / Vorgaben wie beispielsweise EPDG, DSG, E-ID und Digitalisierung in Angriff genommen. Diese stellen grundlegende Weichen für die Digitalisierung des Wirtschaftsstandortes Schweiz und von Fachbereichen wie dem Datenschutz, dem Schweizer Gesundheits­wesen (E-Health) und der elektronischen Identität. Das ­swissICT Magazin beleuchtet in einer Serie entsprechende Digitalisierungs-­Aspekte dieser Innova­tionen und Weiterentwicklungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln.
Die Digitalisierung hat einen wesentlichen Einfluss auf den Strukturwandel und das Wirtschaftswachstum. Was dürfen und/oder müssen Unternehmen hier erwarten? Wo müssen sie selbst forcieren?
Ich möchte zunächst daran erinnern, dass die Digitalisierung bereits seit vielen Jahren stattfindet. Ein frühes Beispiel für Strukturwandel in diesem Zusammenhang ist etwa die Einführung des PC am Arbeitsplatz in den 1980er-Jahren. Ich sehe die Aufgabe des Staates primär darin, mit attraktiven wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen ein positives Umfeld für die (digitale) Wirtschaft und ihre Firmen zu schaffen. Wie auch schon in der Vergangenheit, bietet die liberale Wirtschaftsordnung der Schweiz grundsätzlich eine geeignete Grundlage, dass die Wirtschaft die Chancen der Veränderung wahrnehmen kann.
Damit die privaten Initiativen Früchte tragen können, muss der Staat beispielsweise für Rechtssicherheit, gut qualifizierte Arbeitskräfte, einen flexiblen Arbeitsmarkt, hochwertige Infrastrukturen, Wettbewerb, eine sinnvolle Regulierung – beispielsweise im Telekomsektor oder bezüglich Datenschutz – und eine starke Basis in Bildung und Forschung sorgen. In den genannten Bereichen sollte der Staat eine aktive Rolle einnehmen und die Rahmenbedingungen stetig verbessern.
Der Staat sollte jedoch keine Industriepolitik betreiben, weil es in einem sich rasch wandelnden Umfeld kaum möglich ist, die förderungswürdigen Technologien, Branchen oder Unternehmen zu bestimmen. Diese Aufgabe müssen die Investoren und Unternehmen wahrnehmen. Sie können besser entscheiden, auf welche Pferde zu setzen ist.
Was sind Ihrer Einschätzung nach die grössten Herausforderungen eines stärker digitalisierten Gesundheitswesens und einer digitalisierten Wirtschaft?
Der Bundesrat analysiert momentan die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Bildungs- und Forschungsbereich und ob hier Massnah-men notwendig sind. Zudem werden derzeit offene Fragen zum Arbeitsmarkt vertieft abgeklärt. Als weitere wichtige Herausforderung für Unternehmen wie auch den Staat sehe ich die digitale Sicherheit, insbesondere auch im Gesundheitsbereich. Gerade im Bereich des Gesund-heitswesens ist ein angemessener Schutz persönlicher Daten wichtig. Er ist als vertrauensbildende Massnahme eine unerlässliche Voraus-setzung für die Realisierung des volkswirtschaftlichen Potenzials der neuen Anwendungen. Man denke an das elektronische Patientendos-sier. Daneben sind in Bezug auf die Digitalisierung aber auch hier vor allem die Chancen zu betonen. Sie reichen von der Verbesserung der Behandlungsqualität über Kosteneinsparungen bis hin zur Möglichkeit einer Minderung der Fachkräfteknappheit.

Wo steht die Schweiz in der Umsetzung der Digitalisierung?
Die Schweiz ist alles in allem gut aufgestellt, um sich im digitalen Strukturwandel zu behaupten. Verschiedene Indikatoren wie zum Beispiel der "Network Readiness Index" des WEF bestätigen dies. Die Plattform digital.swiss visualisiert den aktuellen Stand der Digitalisierung in der Schweiz anhand einer Score­card. Demnach stehen wir etwa in der Halbzeit der Digitalisierung; wir haben also noch eine gute Wegstrecke vor uns. Diese Angabe lässt sich jedoch nicht international vergleichen.
Wie beurteilen Sie die Regulierungsdichte, insbesondere auch neue in Vernehmlassung stehende Gesetze wie das elektronische Patienten­dossier EPDG, das neue Datenschutzgesetz DSG und die elektronische Identität E-ID?
Grundsätzlich: Der digitale Wandel und die sich daraus ergebenden Chancen sollten nicht durch vorschnelle Regulierung beeinträchtigt werden. Vielmehr sollte die Digitalisierung als Chance betrachtet werden, die bestehende Regulierung kritisch zu überprüfen: Welches Ziel verfolgt die Regulierung? Ist sie noch zeitgemäss?
Mit der E-ID möchte der Bundesrat rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen für die Anerkennung von elektronischen Identifizierungsmitteln und deren Anbietern schaffen. Er schlägt deshalb ein Bundesgesetz über anerkannte elektronische Identifizierungseinheiten (E-ID-Gesetz) vor. Dabei kommt eine Aufgabenteilung zwischen Staat und Markt zum Tragen: Geeignete private (oder öffentliche) Identifizierungsdienstleister sollen von einer Anerkennungsstelle auf Bundesebene eine Zulassung zur Herausgabe von staatlich anerkannten elektronischen Identifizierungsmitteln erlangen können. Dabei sollen auch bereits existierende oder sich im Aufbau befindende Systeme vom Bund anerkannt werden können. Aufgrund dieser Aufgabenteilung erachte ich die Regulierungsdichte hier grundsätzlich als massvoll.
Das DSG seinerseits versucht den Spagat zwischen Ermöglichen von Innovationen, zum Beispiel im Bereich Big Data, und Persönlichkeitsschutz zu finden. Über allem steht aber die EU-Kompatibilität. Diese ist nach Ansicht des Bundesrates zentral für die Schweizer Wirtschaft.
Wie die Erfahrung zeigt, sind die Rahmenbedingungen des fragmentierten Gesundheitswesens für eine flächendeckende, standardisierte Vernetzung der relevanten Akteure – Ärzte, Spitäler, Apotheken etc. – aus dem Markt heraus nicht förderlich. Das EPDG stellt deshalb grundsätzlich einen sinnvollen Staatseingriff dar, der die Entwicklung beschleunigen kann.
Wie wird sichergestellt, dass die Schweiz durch eine isolierende Überregulierung die Dynamik der adaptierbaren Innovationen nicht ins Ausland verbannt?
Wir sollten nicht versuchen, etwas zu bremsen, was sich nicht bremsen lässt. Sonst werden die sich bietenden Chancen anderswo umgemünzt. Innovative Geschäftsmodelle entwickeln sich in der Regel dort, wo das Umfeld für die Geschäftsentwicklung möglichst attraktiv und das Geschäftsrisiko kalkulierbar ist. Der digitale Wandel und die sich daraus ergebenden Chancen sollten insbesondere nicht durch vorschnelle Regulierung beeinträchtigt werden, was ich schon bei der vorangehenden Frage angesprochen habe. Staatliche Regulierung soll insbesondere nicht dazu führen, dass herkömmliche Technologien und/oder Geschäftsmodelle unter dem missverständlichen Begriff "gleich lange Spiesse" staatlich geschützt werden und dadurch Innovationen behindern. Der Bundesrat hat daher beschlossen, die digitale Tauglichkeit bestehender, wirtschaftspolitisch relevanter Gesetze mit einem "Digitalen Test" zu analysieren und allfällige staatliche Hürden für Investitionen und Geschäftsentwicklung aufzuzeigen.


Wie weit ist die vorgesehene, begrüssenswerte Regulierungsprüfung (Digitalisierungstest) zugunsten der Innovation und Digitalisierung?
Der Bundesrat hat das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO Anfang Jahr beauftragt, gestützt auf Umfragen bei den Verbänden, Sozial­partnern sowie ausgewählten Unternehmen eine Analyse der digitalen Tauglichkeit bestehender, wirtschaftspolitisch relevanter Gesetze vorzulegen und allfällige staatliche Hürden für Investitionen und Geschäftsentwicklung aufzuzeigen. Dies ist der sogenannte Digitale Test.
Werden die Digitalisierung und die Industrie 4.0 Jobs verschwinden lassen oder eher nur anders gestalten? Werden der Beschäftigungsgrad und die Arbeitslosenquote in 10 Jahren kleiner oder grösser sein durch solche Effekte?
Die Beschäftigung in der Schweiz hat sich im Rahmen eines stetigen Strukturwandels in den letzten Jahrzehnten vom Industrie- in den Dienstleistungssektor verlagert. Während in den letzten Jahren vor allem in der verarbeitenden Industrie und im Bürobereich leicht automatisierbare Tätigkeiten weggefallen sind, entstanden beispielsweise im IT-Bereich zahlreiche neue Stellen und Berufsprofile. Insgesamt wurden auf dem Schweizer Arbeitsmarkt in den letzten 25 Jahren netto aber über 800 000 neue Stellen geschaffen.
Gestützt auf die bisherigen Erfahrungen im Umgang mit Strukturwandel und die aktuellen Arbeitsmarktdaten sind wir überzeugt, dass in Zukunft weniger mit einem langfristigen Rückgang der Gesamtbeschäftigung als mit einer Verlagerung der Beschäftigung in neue Bereiche zu rechnen ist. Dabei unterscheiden sich die Auswirkungen von Branche zu Branche und von Beruf zu Beruf. Ein Schlüssel zur erfolgreichen Bewältigung der Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt liegt deshalb in der Bildung und deren Anpassung an die zukünftig benötigten Kompetenzen.

Dr. Eric Scheidegger

Dr. Eric Scheidegger ist Stellvertretender Direktor des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO und seit Februar 2012 Leiter der Direktion für Wirtschaftspolitik. Der Ökonom studierte an der Universität Basel, war Wirtschaftsjournalist bei der «Neuen Zürcher Zeitung» und wurde 1998 persönlicher Berater des damaligen Bundesrates Pascal Couchepin. 2002 wechselte er ins SECO.


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