Ein auf den ersten Blick stinknormaler VW Passat in Silber soll das Auto der Zukunft sein? Tinosch Ganjineh präsentiert auf dem Swisscom Business Campus stolz das Werk seines Unternehmens Autonomos Labs, einem Spin-off der Freien Universität in Berlin. Viele Journalisten scharen sich um das Auto, einen Prototyp, und wollen dabei sein, wenn das erste selbstfahrende Auto testweise in den Schweizer Strassenverkehr losgelassen wird.
Auto weicht Gras aus und hält an jedem ZebrastreifenWährend der Testfahrt selbst lässt Autonomos-CEO Ganjineh als Fahrer tatsächlich die Lenkung los und ja, das Auto steuert sich selbst durch die Strassen des Zürcher Kreis 5. Ganjineh erklärt: «Am Auto angebrachte Kameras erkennen die Fahrspuren und welche Farbe die Ampel anzeigt, Umweltsensoren erfassen die Umgebung, also etwa andere Autos oder Gegenstände auf der Fahrbahn. Durch GPS weiss das Auto, wo es sich befindet. Und ein integrierter Computer schliesslich reagiert entsprechend der gesammelten Daten.» Und tatsächlich: Das Auto gibt Gas, wenn die Ampel auf Grün schaltet, hält an, wenn ihm etwas in die Quere kommt, lenkt, wenn es um die Kurve geht. Bei Gelb fährt es noch schnell über die Kreuzung, Vollbremsungen bei Rot bleiben uns Insassen also erspart. An Zebrastreifen aber hält der VW übervorsichtig an, obwohl kein Mensch in Sicht ist. «Sobald Objekte in der Nähe stehen, ist es für den Computer schwierig zu unterscheiden, ob es sich um einen Pfeiler oder ein Kind handelt», erklärt Ganjineh. «Erst wenn er wirklich sicher ist, dass sich nichts bewegt, fährt er los.»
Der Beifahrer wird im selbstfahrenden VW Passat zum Copiloten und überprüft via Laptop, wie das Auto als nächstes reagieren wird. (Quelle: SITM)
Neben Ganjineh auf dem Fahrersitz kontrolliert der Beifahrer wie ein Copilot technische Daten und erkennt auf seinem Laptop, wie das Auto als nächstes reagieren wird. Diese Sicherheitsvorkehrung ist Pflichtbestandteil der Ausnahmebewilligung, die das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation Swisscom für besagte Teststrecke erteilt hat. Die Bewilligung ist allein schon deshalb notwendig, da rechtlich gesehen das Lenkrad während Autofahrten nicht losgelassen werden darf. Ausserdem ist eine Haftpflichtversicherung über 100 Millionen Euro für das Auto vorgeschrieben. Vorsichtige Nachfrage in Richtung Fahrer – nein, Unfälle gab es mit dem VW Passat bis jetzt noch keine, obwohl das Auto bereits seit fünf Jahren auf Berliner Strassen getestet wird.
In zehn Jahren geht’s dann wirklich los
Trotzdem: Bis wir alle uns vom Auto werden herumkutschieren lassen können, wird wohl noch etwas Zeit vergehen. Tinosch Ganjineh geht davon aus, dass Autos in drei bis fünf Jahren selbst steuernd auf gut markierten Strassen wie etwa Autobahnen unterwegs sein werden. Bis sich ein Auto aber komplett autonom ohne das Zutun von Insassen auch im Stadt-Strassenverkehr wird bewegen können, rechnet der Experte damit, dass weitere zehn Jahre vergehen werden. Zunächst einmal muss der Prototyp weiter reifen und etwa erkennen, wie er sich bei verschneiten Fahrbahnen zu verhalten hat, wenn Autos auf zwei statt auf den auf der Karte vermerkten drei Spuren fahren. Mit anderen Worten: wann sich das Auto am GPS und wann am Schwarm orientieren sollte. Oder erkennen, dass Gras, das in die Fahrbahn reicht, kein fester Gegenstand ist, dem man ausweichen muss. Ausgereift ist der Prototyp noch nicht, und dennoch: Die erste Testfahrt im selbstfahrenden Fahrzeug bei frühlinghaftem Wetter schmeckt ganz nach digitalisierter Zukunft.
Im Gespräch: die Zukunft des autonomen fahrens und Swisscoms rolle dabei
Swisscom ist nicht gerade das Unternehmen, an das man beim Thema selbstfahrende Autos als erstes denkt. «Swiss IT Magazine» hat bei Robert Gebel, Leiter Business Development bei Swisscom Enterprise Customers, nachgehakt, wo der Telekom-Riese seine Rolle in diesem Bereich sieht.
Warum glauben Sie an die Zukunft des autonomen Fahrens?
Robert Gebel: Wir sind der Meinung, dass das Thema Digitalisierung für die Schweiz ein ganz zentrales Thema ist. Speziell bei der Optimierung der Verkehrsströme kann die Digitalisierung viele Verbesserungen bringen. Dort spielt das selbstfahrende Auto, das ist unsere Überzeugung, eine ganz wichtige Rolle.
Was erhoffen Sie sich davon?Erstmal natürlich eine ganz andere Art des Reisens. Ich kann entspannter reisen, ich kann während der Fahrt Meetings abhalten, ich kann Zeitung lesen, ich kann schlafen auf langen Strecken. Ich kann telefonieren, ohne dass ich mich strafbar mache.
Wo sehen Sie Potential für eine Zusammenarbeit mit der Automobilindustrie?
Das grosse Interesse der Automobilindustrie am selbstfahrenden Auto ist offensichtlich. Wichtig ist aus unserer Sicht ein offenes System, welches es anderen Unternehmen erlaubt, Zusatzservices zu entwickeln. Konkret ist Swisscom daran interessiert, auf Basis der gewonnenen Daten und der Konnektivität eines selbstfahrenden Autos neue Services zur Digitalisierung des Strassenverkehrs zu entwickeln.
Welche Hürden müssen noch genommen werden, bis diese Zukunftsvision Realität wird?
Autos müssen lernen, miteinander zu kommunizieren. Einen Unfall auf der Autobahn beispielsweise könnten sich Autos so gegenseitig melden, die Geschwindigkeit reduzieren oder intelligent ausweichen, so dass nicht alle die gleiche Dorfstrasse nutzen. Ausserdem sind die Systeme an sich heute nicht intelligent. Sie können nicht unterscheiden, ob das an der Strasse Gras ist oder ein Hund. Daraus intelligente Entscheidungsverfahren abzuleiten, Stichwort künstliche Intelligenz, wird sicher eine spannende Forschungsrichtung der nächsten Jahre werden.
Welche Geschäftsmodelle sind für Swisscom vorstellbar?
Autos zu bauen, das ist definitiv keine Kernkompetenz von Swisscom. Was uns im Pilotprojekt interessiert, sind die Daten. Welche Daten braucht das Auto, damit es überhaupt fahren kann, wie sieht das Auto den Strassenverkehr? Und auf dieser Basis: Wie können wir die Daten übertragen, das heisst, welche Anforderungen ergeben sich für unsere Kommunikationsnetze der Zukunft. Und schliesslich: Welche zusätzlichen Möglichkeiten entstehen, um mit diesen Daten ganz neue Geschäftsideen zu entwickeln? Um konkrete Geschäftsmodelle für Swisscom herauszuheben, ist es aber noch zu früh.
(aks)