Alle zwei Jahre eruieren führende Stellenportale im Rahmen der Studie «Decoding Global Talent» die Attraktivität einzelner Länder als Arbeitsmarkt. Sie gibt Auskunft zu Ausbildung, Erfahrung und Herkunftsland der Befragten. Daneben wird aufgezeigt, welche Motivation potentielle Fachkräfte dazu veranlassen könnte, ihre Heimat zu verlassen. Ausserdem informiert die Studie darüber, wie potentielle ausländische Arbeitnehmer am effektivsten erreicht werden können. Dieses Wissen kann von den Arbeitgebern dazu genutzt werden, attraktive Rahmenbedingungen zu gestalten, um die besten IT-Fachkräfte anzuwerben. Die Studie soll somit dazu beitragen, Arbeitgebern mithilfe der gewonnenen Erkenntnisse die Suche nach ausländischen Fachkräften zu erleichtern. 2014 wurden zu diesem Zweck weltweit rund 200’000 Berufstätige in 190 Ländern befragt. In der Schweiz verantworteten Jobs.ch und Jobup.ch die Erhebung. Die Ergebnisse wurden anschliessend in Zusammenarbeit mit The Boston Consulting Group und The Network, einer Allianz führender Online-Stellenportale, ausgewertet und detailliert analysiert.
Die Studie zeigt, dass sich die Schweiz bei ausländischen Arbeitnehmern grosser Beliebtheit erfreut. So belegt die Schweiz nach den USA, Grossbritannien, Kanada und Deutschland Rang fünf unter den attraktivsten Arbeitsmärkten. Dies gilt auch für den IT-Sektor, wo die Schweiz sich ebenfalls auf dem fünften Rang positioniert. Besonders beliebt ist die Schweiz dabei gemäss der Studie bei französischen, portugiesischen und italienischen IT-Spezialisten. Von diesen Fachkräften könnten sich drei von fünf einen Umzug in das Alpenland vorstellen. Doch auch bei Arbeitnehmern aus Drittstaaten wie Marokko, Algerien und Indien wäre knapp die Hälfte bereit, der Arbeit halber in die Schweiz zu ziehen. Obwohl das Land insgesamt einen grossen Reiz auf ausländische Arbeitnehmer ausübt, müssen sich die Schweizer Städte im weltweiten Vergleich geschlagen geben: Keine schafft es unter die Top 10. Es dominieren Millionenmetropolen wie London, New York, Paris, Sydney und Singapur.
Überdurchschnittlich qualifiziert
Des weiteren geht aus der Studie hervor, dass die typische IT-Fachkraft, die in die Schweiz strebt, männlich, zwischen 21 und 34 Jahre alt und überdurchschnittlich qualifiziert ist. 38 Prozent aller Interessierten verfügen denn auch über einen Bachelor-Abschluss, 30 Prozent sind gar im Besitz eines Masters und jeder Fünfzigste kann einen PhD vorweisen. Damit sind die potentiellen ausländischen Arbeitskräfte wesentlich besser ausgebildet als der Schweizer Durchschnitt. Hierzulande weisen gemäss dem Bundesamt für Statistik rund 29,7 Prozent einen Abschluss im tertiären Bereich aus. Neben einer überdurchschnittlichen Ausbildung bringen die ausländischen Fachkräfte auch Arbeitserfahrung mit. 35 Prozent aller Befragten arbeiten seit vier bis zehn Jahren auf ihrem Gebiet und 30 Prozent sind sogar seit elf bis zwanzig Jahren erwerbstätig. Allerdings konnte die Mehrheit bisher keine Erfahrungen im Ausland sammeln. Lediglich 28 Prozent weisen einen längeren beruflichen Auslandsaufenthalt vor und nur 14 Prozent haben im Ausland studiert.
Um an eine Stelle im Ausland zu gelangen, sehen die Arbeitnehmer das persönliche und geschäftliche Netzwerk zwar als wichtigen Faktor an, wer aber aktiv nach einem Job Ausschau hält, tut dies der Studie zufolge primär über Jobportale. Zusätzlich orientieren sich viele auf den Websites möglicher Arbeitgeber oder wenden sich direkt an einen Recruiter.
Hoffnung auf Karrieresprung
Wer mit dem Gedanken spielt, in die Schweiz zu ziehen, tut dies primär aus karrieretechnischen Gründen. Die Möglichkeit, den eigenen Erfahrungshorizont zu erweitern, die Hoffnung, durch den Umzug die eigene Karriere voranzutreiben, sowie die Perspektive auf einen besseren Job und ein höheres Salär werden als Hauptmotivatoren genannt. Eine nebensächliche Rolle spielen hingegen sozioökonomische und politische Gründe. Nur jeder Dritte zieht einen Wegzug aus seiner Heimat aufgrund wirtschaftlicher Unsicherheiten im eigenen Land sowie die Aussicht auf ein besseres Schul- oder Gesundheitssystem in Betracht. Dass IT-Fachkräfte kaum aus wirtschaftlicher Not mit dem Umzug in die Schweiz lieb-
äugeln, deckt sich mit der Tatsache, dass rund 71 Prozent von ihnen aktuell in einem geregelten Arbeitsverhältnis stehen. 9 Prozent sind selbstständig und 17 Prozent zurzeit ohne feste Anstellung.
Interessant für potentielle Arbeitgeber ist insbesondere, dass nur eine kleine Minderheit von 4 Prozent einen Kurzaufenthalt von maximal einem Jahr in Betracht zieht. Stattdessen möchte knapp jeder Dritte drei bis fünf Jahre bleiben, jeder Fünfte denkt gar an einen Aufenthalt von fünf bis zehn Jahren und rund 39 Prozent möchten noch länger bleiben. Dazu passt, dass sich nicht nur Singles ihre Zukunft in der Schweiz vorstellen können. Zwar stellen sie mit 34 Prozent der Befragten die grösste Gruppe, 31 Prozent haben aber eine Familie mit mindestens einem minderjährigen Kind und jeder Fünfte lebt in einer Partnerschaft.
Längerfristige Aufenthalte
Die Beobachtung, dass die Schweiz ein attraktiver Arbeitsmarkt für ausländische Fachkräfte aus Drittstaaten ist und nur gerade jeder Fünfzigste einen Kurzaufenthalt in Betracht zieht, ist bemerkenswert. Zugleich offenbart sich eine gewisse Diskrepanz zu regulatorischen Entwicklungen. Ende letzten Jahres kürzte der Bundesrat die Kontingente für Fachkräfte aus Drittstatten. Neu werden jährlich 2500 Aufenthaltsbewilligungen B und 4000 Kurzaufenthaltsbewilligungen L ausgestellt, was ein Minus von je 1000 Bewilligungen bedeutet. Empfindlich von der Kürzung betroffen ist insbesondere die IT-Branche, die ein rund viermal höheres Beschäftigungswachstum aufweist als andere Branchen und deren wachsender Bedarf an Arbeitskräften nicht alleine durch inländische Fachkräfte abgedeckt werden kann.
Es gilt daher einerseits, die politischen Rahmenbedingungen zu beachten und inländische Fachkräfte zu fördern, andererseits muss sichergestellt werden, dass der IT-Sektor für ausländische Arbeitskräfte attraktiv bleibt. Denn ausländische Fachkräfte für sich zu gewinnen, stellt für Unternehmen keine einfache Aufgabe dar, wie die Studie belegt. Zwar kann sich eine Mehrzahl der Befragten einen Standortwechsel vorstellen, viele zögern aber noch, konkrete Schritte einzuleiten. Lediglich 15 Prozent schauen sich aktiv nach einer Stelle im Ausland um, und nur 13 Prozent haben sich in den letzten sechs Monaten um eine Stelle beworben. Jeder Zwanzigste hat auch tatsächlich ein Vorstellungsgespräch gehabt und vier Prozent der Befragten geben an, bereits einen Vertrag unterschrieben zu haben. Der Schweizer IT-Sektor steht folglich vor der Aufgabe, die grundsätzlich willigen und fähigen Fachkräfte in die Schweiz zu holen, indem langfristig attraktive Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Renato Profico ist CEO des Online-Unternehmens Jobcloud, zu welchem unter anderem jobs.ch und jobup.ch gehören