Vor dem Interview gewährt Patrick Nussbaumer «Swiss IT Magazine» einen Blick hinter die Kulissen des Pathé Kinos in Dietlikon. Monströse Projektoren thronen auf ein Meter hohen Server-Racks, vollgestopft mit IT und Technik. Operateure, die die Projektoren bedienen, sucht man vergebens, alles läuft automatisiert. High-tech anstelle von verstaubter Kinoromantik.
«Swiss IT Magazine»: Eigentlich wäre meine erste Frage gewesen, ob es ohne IT noch möglich wäre, einen Kinofilm abzuspielen. Diese Frage hat sich wahrscheinlich erledigt.
Patrick Nussbaumer: Dem ist wohl so, doch nicht nur wegen der Technik rund um die Projektion, ohne die gar nichts laufen würde. Jedes unserer Kinos ist wie eine kleine Firma organisiert, mit einem Cinema Manager, Finanzen, Personalwesen, Marketing, technischen Mitarbeitern und so weiter. Diese Struktur kann nur funktionieren mit einer funktionierenden IT im Hintergrund. Allein schon deshalb könnten wir unsere Kinos ohne IT nicht betreiben.
Ein Blick hinter die Kulissen. Ein Kinobetrieb wie derjenige des Pathé Kinos in Dietlikon wäre ohne den Einsatz von IT nicht mehr möglich. (Quelle: Pathé)
Patrick Nussbaumer (39) ist Head of IT bei Pathé. Pathé betreibt in der Schweiz insgesamt neun Kinos mit alles in allem 68 Leinwänden in den Städten Dietlikon, Bern, Basel, Lausanne und Genf. (Quelle: Pathé)
Wie viel Technik ist nötig, um einen Kinosaal zu bespielen?
Ich weiss gar nicht, wo ich hier beginnen soll. Technologie ist überall involviert, angefangen damit, wie wir den Film angeliefert bekommen, programmieren und abspielen. Ein Film wird heute auf einer Harddisk in die jeweiligen Kinos geschickt, und dort von einem Technical Manager in unser System gelesen. Ist der Film dann in unserer Library drin, sind zahlreiche weitere Schritte nötig. So muss beispielsweise programmiert werden, in welchem Saal der Film läuft und um welche Zeit. Vorgängig wurden diese Informationen mit dem Filmverleiher abgesprochen, damit uns mittels eines Key die Rechte erteilt werden, den Film abzuspielen. Auch das muss wieder in ein System eingepflegt werden, und nur wenn der richtige Film zur richtigen Zeit im richtigen Saal mit dem richtigen Key dazu programmiert ist, erst dann kann ein Film abgespielt werden. Zu guter Letzt bringt ein Projektor das Bild auf die Leinwand und verschiedene Akustik-
Systeme den Sound in den Saal. Wir arbeiten mit dem DCI-Standard (Digital Cinema Initiatives).
Sie haben uns die Projektoren auf den Racks gezeigt. Was ist in einem solchen Rack alles drin?
Zu jedem Projektor – wir arbeiten mit Geräten mit 2K- oder 4K-Auflösung – braucht es einen Server, von dem aus der Film zusammen mit dem entsprechenden Code abgespielt wird und welcher die entsprechenden Informationen, die in der Filmdatei mit drin stecken, verarbeitet. Das ganze Soundequipment wird ebenfalls von hier aus angesteuert. Dazu kommen weitere Dinge. Ein Beispiel: Unser Kino Pathé Balexert besitzt einen Saal, der mit sogenannten D-Box-Seats ausgestattet ist. Das sind Sitze, die sich bewegen. Die Informationen für den dazu nötigen D-Box-Server, der steuert, wie sich die Sitze zu bewegen haben, kommen ebenfalls direkt aus dem sogenannten DCP-File (Digital Cinema Package), in das der Kinofilm und die Zusatzinformationen gepackt sind. Natürlich bewegt sich der Sitz nur, wenn er auch gebucht wurde.
Sind diese Systeme alle redundant ausgelegt?
Nein, nicht alle. Das würde den Rahmen sprengen. Wir überlegen uns, was alles passieren könnte, und priorisieren aufgrund dieser Überlegungen. Nehmen wir als Beispiel die Stromversorgung: Fällt der Strom aus, haben wir als Backup eine USV, die dafür sorgt, dass die Server zumindest sauber heruntergefahren werden können, so dass sie keinen Schaden nehmen. Doch die Projektoren brauchen so viel Strom, dass grosse Investitionen nötig wären, wenn wir die Stromversorgung ausfallsicher machen wollten.
Können Sie ausführen, wie die IT und die Technik bei Ihnen organisiert sind und wie Ihr Team aufgebaut ist?
Grundsätzlich werden bei uns die klassische IT und die Projektion getrennt betrachtet. Das hängt auch damit zusammen, dass Pathé nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Frankreich und in Holland tätig ist. Viele der technischen Aspekte in der Projektion werden von Frankreich aus gesteuert, während die IT hier im Land gemacht wird. Doch natürlich gibt es zahlreiche Schnittstellen zwischen der klassischen IT und der Technik, weshalb die Zusammenarbeit dieser beiden «Teams» sehr eng ist. In der Projektion arbeiten in jedem Kino ein Technical Manager und ein bis drei Assistenten, je nach Grösse des Kinos. Diese Mitarbeiter entsprechen im Prinzip den Operateuren, die es bis vor wenigen Jahren im Kino noch gab, die aber dank Weiterbildung nun über weitreichende technische Fähigkeiten verfügen. Auf der IT-Seite gibt es mich als Head of IT sowie einen Projektleiter. Wir setzen voll und ganz auf Outsourcing und arbeiten hierbei mit zwei Partnern. Ein Partner kümmert sich um die klassische IT, der andere um die Netzwerktechnik. Durch das Outsourcing können wir intern eine sehr schlanke Organisation führen.
Und aus was besteht Ihre klassische IT?
Wir arbeiten mit Citrix, setzen also voll und ganz auf Virtualisierung. Unsere Arbeitsplätze werden zentral von einem Server aus bereitgestellt, vor Ort gibt es bei uns praktisch ausschliesslich nur Thin Clients. Auf diesen Thin Clients, die wir von unserem Outsourcing-Partner mieten, läuft anstelle eines Microsoft- ein offenes Betriebssystem, auf dem dann Citrix aufsetzt. Wir arbeiten zudem mit einem Finanzsystem, Zeiterfassung und Planungssystem. Daneben ist unsere IT wenig exotisch, es gibt Drucker, eine Telefonanlage und so weiter. Unsere IT ist soweit wie möglich standardisiert und durchstrukturiert, das hält den Aufwand klein. Was nicht zur klassischen IT gehört, ist unser Ticket- und Concession-System.
War der Entscheid, auf den Thin Clients ein freies Betriebssystem einzusetzen, der Ihrige oder der Ihres Outsourcing-Partners?
Das war eine Bedingung von uns. Denn der Thin Client soll möglichst wenig kosten, und es ergeben sich keine Nachteile dadurch, dass wir auf Microsoft verzichten und so Lizenzkosten sparen. Denn über die virtuellen Desktops können wir unseren Mitarbeitern ja trotzdem Microsoft-Software anbieten – sie können ganz normal mit Windows, Outlook, Office und Co. arbeiten.
Wie steht es um die Netzwerk-Performance?
Die ist in unserem Fall hervorragend. Das dürfte mit der schlanken Funktionsweise von Citrix, aber auch damit zusammenhängen, dass wir über ein schweizweites MPLS-Netzwerk (Multiprotocol Label Switching) arbeiten und jedes Kino mit einer Glasfaser- sowie einer Kupfer-Backup-Leitung erschlossen ist. Dabei wurde die Bandbreite sehr grosszügig berechnet, auch deshalb, weil wir einen Schritt weiter denken. In Zukunft ist es durchaus möglich, dass wir Filme nicht mehr auf Harddisk per Post oder Kurier angeliefert bekommen, sondern digital ab einem sicheren Server. Dazu braucht es natürlich ein höchst performantes Netzwerk, denn die Grösse einer Film-Datei bewegt sich gut und gerne zwischen 200 und 400 Gigabyte.
Hierzu eine Frage zum Thema Urheberrecht: Sind Sie auch dafür verantwortlich, dass die Filme Ihr Haus nicht unberechtigt verlassen? Gäbe es für einen Mitarbeiter Möglichkeiten, einen Film quasi mitlaufen zu lassen und ins Internet zu stellen? Ist das alles überhaupt ein Thema?
Das ist sogar ein grosses Thema, und nicht auch zuletzt deshalb sind Projektion und IT getrennt voneinander. Das Projektionsnetzwerk ist ein in sich geschlossenes Netzwerk, das von aussen nicht zugänglich ist. Doch selbst wenn jemand Zugriff auf ein Filme-File bekommt, wird er damit nichts anfangen können. Zum einen aufgrund des Formats, zum anderen wegen des Keys, den es zum Abspielen braucht. Es gibt also eine ganze Reihe Sicherheitsmechanismen, damit ein Film nicht gestohlen werden kann. Das grösste Sicherheitsrisiko ist somit, dass jemand mit einer Kamera die Leinwand filmt.
Gibt es hier technisch Möglichkeiten, das zu unterbinden?
Ja, es gibt Möglichkeiten festzustellen, ob jemand die Leinwand filmt, und wir sind auch daran, uns zu überlegen, solche Möglichkeiten zu nutzen. Allerdings muss man Aufwand und Ertrag abwägen, denn solche Fälle sind äusserst selten.
Wenn Filme nun aber via Internet angeliefert würden, wäre es mit dem geschlossenen Netzwerk, in dem sich die Filme bei Ihnen heute befinden, vorbei. Der physische Medienschnitt der manuellen Lieferung entfällt.
Das ist richtig. Entsprechend planen wir mit unseren Partnern die nötigen Sicherheitslevel. Es gibt heute Mittel und Wege, um die Filme sicher zu übertragen. Und wie gesagt: Selbst wenn der Film das Netzwerk verlassen würde, ist er durch zahlreiche Massnahmen nach wie vor geschützt.
Welche Aufgaben nehmen Sie als Head of IT vor allem wahr?
Ich bin Teil der Geschäftsleitung, das heisst ich führe laufend Diskussionen darüber, wo wir stehen, wohin die langfristige Planung führt und in welche Richtung die Strategie geht. Daneben prüfe ich permanent, wo es weiteres Optimierungspotential gibt. Was kann man ersetzen? Was standardisieren? Und vor allem: Wo können wir noch Kosten einsparen? IT ist heute so schnelllebig, kaum ist ein Projekt umgesetzt, wird optimiert, und sobald die Optimierungen durch sind, muss man das Nachfolgeprojekt in Angriff nehmen. Man befindet sich ständig im Wandel, sobald man stehen bleibt, hat man verloren.
Am meisten Betrieb herrscht in einem Kino ja am Abend und an den Wochenenden. Welchen Einfluss hat das auf Ihre Arbeit und Ihr Team?
Dadurch haben wir eigentlich einen Betrieb mit zwei Schichten. Auf der einen Seite haben wir den normalen Office-Betrieb von sieben Uhr morgens bis sechs Uhr abends. Auf der anderen den Projektionsbetrieb, der je nach Standort am Vormittag beginnt und bis morgens um zwei oder drei Uhr dauert. Somit haben wir eigentlich fast rund um die Uhr Anforderungen an die IT-Systeme, aber es werden nicht dauernd dieselben Tools und Ressourcen benötigt. Eine weitere Herausforderung ist die Mehrsprachigkeit, da wir nicht nur in der Deutsch- sondern auch in der Westschweiz tätig sind. Dadurch ist die IT praktisch rund um die Uhr gefordert, und wir versuchen, das durch Bereitstellung der entsprechenden Mittel abzudecken.
Zur «herkömmlichen» IT gehören ja auch die Systeme am Point of Sale, also die Kassen, richtig?
Bei uns sprechen wir hier von Ticketing-Systemen. Hier befinden wir uns aktuell in einem Wandel. Wir sind daran, unsere bisherigen Systeme abzulösen. Voraussichtlich bis Mitte Jahr werden wir schweizweit ein neues System einsetzen, das wir hier in Dietlikon bereits seit kurzem benutzen. Dieses neue System besteht aus neuen Kassen und neuen Terminals, die aufgrund unserer Bedürfnisse aufgesetzt wurden, was einiges an Zeit und Ressourcen beansprucht hat.
Welche Veränderungen bringt das neue System für den Kunden?
Uns war wichtig, dass es für den Kunden vorerst keine riesigen Veränderungen gibt, sondern dass wir einen funktionierenden Ersatz bereitstellen und damit die Basis für Neuerungen schaffen. Erst in einem zweiten Schritt soll der Kunde dann von Neuerungen profitieren können.
Können Sie hierzu schon etwas verraten?
Allzu weit vorgreifen möchte ich noch nicht. Unter anderem ist aber ein Loyalitätsprogramm in Planung, mit dem der Kunde belohnt werden soll, je öfter er unsere Kinos besucht. Ausserdem sollen gewisse Neuerungen aus dem Ticketing in unser Online-Buchungssystem einfliessen. Ein weiteres Projekt für dieses Jahr ist ein komplett neuer Webauftritt, bei dem im Zusammenspiel mit dem neuen Kassensystem das Buchen für den Kunden zum einen einfacher, zum anderen interaktiver werden soll.
In dem Zusammenhang: Ist auch eine Pathé-App in Planung?
Nein, eine App ist nicht in der Pipeline, weil wir viele Funktionen, die eine App bieten könnte, auch über die mobile Version der Website anbieten können. Wir haben uns dagegen entschieden, weil wir die wesentlichen Vorteile einer App gegenüber einer gut gemachten Responsive-Website heute noch nicht sehen.
Gibt es weitere Projekte, die Sie in der Pipeline haben?
Wenn Sie durch unsere Kinos laufen, sehen sie ganz viele Plakatwände, an denen heute noch gedruckte Plakate hängen. Diese wollen wir in diesem Jahr durch eine Digital-Signage-Installation ersetzen, was ein grosses Projekt ist. Wir werden pro Kino zwischen 60 und 100 Bildschirme installieren, auf denen nicht nur Filmplakate dargestellt werden, sondern auf denen auch Animationen über mehrere Bildschirme hinweg gezeigt werden können, aber auch Trailer, Abspielzeiten, Zusatzinformationen zu Filmen und vieles mehr. Ein ganz wichtiger Punkt dabei ist: Auch dieses System muss automatisiert laufen und möglichst wenige Ressourcen binden. Daneben wollen wir dem Kunden ermöglichen, dass er mittels QR-Code möglichst bequem ein Ticket kaufen kann. Mit einem weiteren Projekt wollen wir unseren Kunden künftig ein WLAN-Netz zur Verfügung stellen – auch vor dem Hintergrund des Angebotes mit den QR-Codes. Dafür braucht der Kunde Internet, und das wollen wir ihm gratis bieten. Daneben gibt es noch ganz viele weitere, kleinere Projekte.
Grundsätzlich scheint Automatisierung ein grosses Thema bei Ihnen zu sein.
Richtig. Automatisierung und Standardisierung sind für uns entscheidend. Hinzu kommen die Verfügbarkeit, und natürlich die Qualität unserer Dienstleistungen.
Also ist Ihre Zukunftsvision das Kino ohne Personal?
Nein, das können wir uns nicht vorstellen. Denn genau der Kontakt mit dem Personal macht den Kinobesuch auch aus. Der Kunde wird an der Kasse begrüsst, er bekommt Empfehlungen und wird beraten. Das Personal macht einen grossen Teil des Events «Kino-Besuch» aus.
Was reizt Sie persönlich an Ihrem Job?
Ich arbeite in einer sehr interessanten Branche. Natürlich gehört auch ein privates Interesse dazu, die Faszination für das Thema Film. Wäre ich kein Kino-Fan, hätte ich wohl den falschen Job. Mich reizt aber auch, dass IT sehr schnelllebig ist, man immer am Ball bleiben und offen sein muss für Neues.