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Flexibilität wahren
Quelle: z.V.g

Flexibilität wahren

Von Georg Kraus

Strategische Grossprojekte scheitern oft, weil die Projektmanager weder die erforderliche Erfahrung, noch das nötige Standing in der Organisation haben.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2014/10

     

In den meisten grösseren Unternehmen werden heute mehrere strate- gische Projekte parallel durchgeführt, die sich wechselseitig überlappen und beeinflussen. Also müssen die Projekte koordiniert werden. Das haben die Entscheider in fast allen Unternehmen bereits vor Jahren erkannt. Deshalb etablierten sie in ihrer Organisation ein Projektmanagement-System, das Fragen beantwortet wie:
- Was ist überhaupt ein Projekt (und was ist nur eine Sonderaufgabe)?
- Wie sollten Projekte geplant, durchgeführt und gesteuert werden? Und:
- Welche Instrumente sollten hierfür eingesetzt werden?

Ausserdem hat sich das Ausbilden der Mitarbeiter im Bereich Projektmanagement zu einem festen Bestandteil der betrieblichen Weiterbildung entwickelt.
Also könnte man annehmen, das Managen von Projekten bereite den Unternehmen keine Schwierigkeiten. Schliesslich existieren die nötigen Strukturen und die Mitarbeiter verfügen über das erforderliche Know-how. In der betrieblichen Praxis werden die im Vorfeld definierten Projektziele aber oftmals nur teilweise erreicht. Das belegen zahlreiche Studien. Und noch häufiger werden die Ziele zwar auf dem Papier erreicht – doch nur zu dem Preis, dass Folgeprobleme in Kauf genommen werden. Etwa, weil das Projektteam ab irgendeinem Zeitpunkt nur noch nach der Maxime agiert: Wir müssen, koste es, was es wolle, den gesteckten Zeit- und Kostenrahmen einhalten (sonst werden wir sanktioniert). Das wiederum hat zur Folge, dass Qualitätsmängel bewusst akzeptiert werden.

Verankerung als Voraussetzung

Eine Ursache hierfür ist, dass in vielen Unternehmen zwar ein Konsens darüber besteht, dass in den grossen Change-Projekten die Basis für den künftigen Erfolg gelegt wird. Bei der Entscheidung, wer die Verantwortung für die Projekte übernimmt, fällt die Wahl aber oft auf Mitarbeiter, die zwar ein grosses (Entwicklungs-) Potential aufweisen, aber noch keine gereiften Führungskräfte und Projektmanager mit starkem Rückgrat und einer festen Verankerung in der Organisation sind.
Die Projekte werden also so besetzt, dass sie für die Projektleiter eine Bewährungsmöglichkeit darstellen. Nur selten wird ihre Leitung einem mit allen Wassern gewaschenen Projektmanagement-Profi übertragen. Hieraus ergeben sich Folgeprobleme – zum Beispiel, weil die Youngsters von den Bereichsleitern und Spezialisten nicht als gleichrangige Gesprächspartner akzeptiert werden. Oft sehen die «Bereichsfürsten» in den empor strebenden Projektmanagern auch Konkurrenten. Also versuchen sie, diese klein zu halten.

Ein weiterer Nachteil eines solchen Vorgehens ist, dass die jungen «Stars» nach ein, zwei erfolgreich gemanagten Grossprojekten die (zwischen den Zeilen) versprochene Belohnung erwarten: eine exponierte Führungsposition in der Linie, da diese zum einen meist besser dotiert und zum anderen mit einem höheren Ansehen verbunden ist. Das bedeutet, dass die nun erfahrenen Projektmanager nicht mehr als Leiter von Grossprojekten zur Verfügung stehen. An ihre Stelle treten erneut junge, unerfahrene Projektmanager, die oft dieselben Fehler wie ihre Vorgänger begehen.

Führungserfahrung ist gefragt

Ein weiterer Knackpunkt ist, dass das Leiten von Projekten in vielen Unternehmen primär als Management- und weniger als Führungs- oder gar Leader- ship-Aufgabe betrachtet wird. Dabei kommen reine Macher beim Planen und Durchführen grösserer Projekte meist nicht weit. Denn aus diesen Projekten erwachsen oftmals viele Veränderungen in der Organisation. Entsprechend skeptisch abwartend stehen die Mitarbeiter den Projekten anfangs gegenüber. Und sei dies nur aus der Angst heraus, dass bestimmte Arbeitsroutinen dadurch hinfällig werden.

Deshalb ist es notwendig, dass die Projektmanager für die geplanten Veränderungen werben. Und zwar primär dadurch, dass sie die Betroffenen so früh und umfassend wie möglich über die Ziele des Projekts sowie über dessen Verlauf informieren. Zusätzlich ist es wichtig, dass sie sich darum bemühen, die Betroffenen soweit wie möglich in das Projekt zu integrieren. Diese Aufgabe überfordert viele Projektmanager – auch weil der Fokus der meisten Projektmanagement-Ausbildungen auf den harten Erfolgsfaktoren liegt. Die Teilnehmer lernen zwar, wie man einen Projektplan erstellt und wie man kontrolliert, ob die Zeit- und Kostenpläne eingehalten werden. Themen wie die Analyse der Betroffenen oder das Erkennen von Widerständen sowie der Umgang mit letzteren werden aber nur gestreift. Und werden solche Themen doch behandelt, dann wird den angehenden Projektmanagern meist nur Faktenwissen vermittelt. Selten sind in die Ausbildungen Projekte integriert, in denen die Teilnehmer zum Beispiel ihr Gespür dafür schärfen, wo sich in der Organisation ein Unwetter zusammenbraut und wann sie als Projektteam intervenieren sollen.

Sensible Antennen sind nötig

Dabei wäre dies wichtig. Denn wer die möglichen Störfaktoren bei Projekten kennt, nimmt diese noch lange nicht rechtzeitig wahr und kann hierauf adä-quat reagieren. Hinzu kommt, dass es bei jedem Change-Projekt Verlierer gibt – zumindest gibt es Personen, die befürchten, dass sie zu diesen zählen, wenn sie nicht aufpassen. Dies zum Beispiel, weil ihr Einfluss sinkt. Deshalb gibt es bei jedem Change-Projekt Widerstände. Die Frage ist nur: Wie gross sind beziehungsweise werden sie? Und: Werden Bedenken, aus denen sich Widerstände entwickeln könnten, rechtzeitig erkannt?
Mit solchen Fragen adäquat umzugehen, überfordert viele Projektmanager – auch weil die Betroffenen ihren Widerstand selten offen zeigen. Doch plötzlich brodelt die Gerüchteküche und Aufgaben werden nicht mehr zuverlässig wahrgenommen. Und treten die emotionalen Widerstände doch offen zutage, dann meist in der Form, dass die Betroffenen sachliche Einwände gegen die geplanten Änderungen vortragen und Kleinigkeiten zu Schicksalsfragen hochstilisieren, so dass irgendwann der Erfolg des gesamten Projekts gefährdet ist.

Eingeschränkte Planbarkeit

Dies geschieht auch deshalb immer wieder, weil viele Projektmanager nicht ausreichend für die Dynamik sozialer Systeme wie Unternehmen sensibilisiert sind. Und schon gar nicht beherrschen sie das Instrumentarium, um auf Turbulenzen angemessen zu reagieren. Eine Ursache hierfür ist, dass angehenden Projektmanagern in ihren Ausbildungen – gerade wegen deren Fixierung auf Methoden und Standards – oft das Gefühl vermittelt wird, Change-Prozesse liessen sich wie der Bau einer Maschine planen und steuern. Das ist aber nicht möglich, denn soziale Systeme sind lebende Gebilde. Aus­serdem nimmt jeder Projektentwurf die gedachte Zukunft vorweg. Entsprechend viele Annahmen fliessen darin ein, die sich im Nachhinein als falsch erweisen können.

Eine weitere Ursache für das Scheitern von Projekten ist: Oft werden die Projektpläne so erstellt, als fände deren Umsetzung in hermetisch geschlossenen Labors ohne externe Einflüsse statt. Im betrieblichen Alltag ist dies nie der Fall. Hier ändern sich die Rahmenbedingungen kontinuierlich. Deshalb dürfen grössere Projekte, die teils Jahre dauern, nicht mechanistisch geplant werden. Es genügt nicht, vor Projektbeginn einen Projektplan zu erstellen, der blind abgearbeitet wird. Vielmehr muss regelmässig geprüft werden, ob das geplante Vorgehen noch zielführend ist oder ob es modifiziert werden sollte. In das Projektdesign sollten also Reflexionsschleifen integriert sein, bei denen analysiert wird: Was hat sich in der Organisation und deren Umfeld geändert? Was bedeutet das für das Projekt? Welche Konsequenzen hat dies für das Vorgehen? Analysiert werden sollte auch, ob die geltenden Projektmanagement-Standards und genutzten Instrumente das Erreichen der Ziele fördern oder behindern.

Standards sind nur Werkzeuge

Solche Fragen stellen sich die Projektverantwortlichen selten. Sie halten sich zuweilen sklavisch an die definierten Standards, weil sie wissen, dass ein Abweichen davon sanktioniert wird. Dabei ist jeder Standard ebenso wie jedes Projektmanagement-Tool nur ein Werkzeug. Also sollte ein begründetes Abweichen von den Standards in der Organisation nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht sein. Das setzt eine Unternehmenskultur voraus, die dem Erreichen der Ziele eine höhere Priorität beimisst als dem Einhalten starrer Regeln.

Bei langfristigen Projekten werden oft, weil sich die Rahmenbedingungen ändern, im Verlauf des Projekts die definierten Ziele zum Teil obsolet. Also sollten sie und damit auch das Vorgehen dem veränderten Umfeld angepasst werden. Das setzt voraus, dass im Projekt-Team und in der Organisation offen darüber kommuniziert wird, inwieweit die Ziele noch relevant sind. Eine solche Kommunikation findet in vielen Unternehmen nicht statt – vor allem, weil ein Aufgeben oder Anpassen nicht nur der Ziele, sondern auch des gesteckten Zeit- und Kostenrahmens, oft als Versagen interpretiert wird. Also halten alle so lange daran fest, bis auch der Letzte erkannt hat: Wir erreichen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Ziele nicht.

Der Autor

Georg Kraus ist Inhaber der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal, für die über 100 Berater, Trainer und Projektmanager arbeiten. Der diplomierte Wirtschaftsingenieur ist Autor mehrerer Change- und Projektmanagement-Bücher. Er ist Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-Provence und der technischen Universität Clausthal. www.kraus-und-partner.de


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