Es ist Montagmorgen. Und wie jeden Montag um 9 Uhr, sagt der Vertriebsleiter des IT-Unternehmens zu seiner Assistentin: «Ich möchte bis 10 Uhr nicht gestört werden.» Denn dann studiert er die neusten Vertriebszahlen. Dabei verdichtet sich bei ihm das Gefühl, etwas tun zu müssen, damit die Umsätze nicht wegbrechen oder ihn die Konkurrenz abhängt.
Dieses Gefühl hatte der Vertriebsleiter zuvor bereits. Deshalb sprach er hierüber schon informell mit einigen Kollegen. Ausserdem beauftragte er ein Marktforschungsunternehmen zu untersuchen, wie das IT-Unternehmen und seine Produkte von den Kunden gesehen werden. Nun liegen auch diese Daten auf dem Tisch. Und auch sie zeigen nach Auffassung des Vertriebsleiters deutlich: Es muss etwas geschehen, sonst hat man bald ein Problem. Also setzt er das Thema auf die Agenda für das nächste Meeting des Top-Teams.
So ähnlich verläuft der Prozess stets, wenn Unternehmen beschliessen, Weichen neu zu stellen – zum Beispiel, einen Bereich neu zu strukturieren, eine neue Produktlinie zu starten oder ein neues CRM-System einzuführen. Entscheidungsträger haben zunächst das Gefühl, etwas tun zu müssen, etwa, weil sie gewisse Zahlen alarmierend finden. Also beobachten sie eine Entwicklung schärfer und sprechen hierüber schon mal inoffiziell mit Kollegen oder Beratern. Und bestätigen sich ihre Annahmen oder Befürchtungen, setzen sie das Thema offiziell auf die Agenda des Unternehmens.
Infos sammeln, Szenarien entwerfen
Oft ist das Vermitteln, dass ein Entscheidungs- und Handlungsbedarf besteht, sogar im oberen Führungskreis eines Unternehmens nicht leicht. Denn strategische Entscheidungen nehmen die Zukunft gedanklich vorweg. Sie beruhen also auch auf Annahmen – zum Beispiel darüber, wie sich der Markt entwickelt. Oder darüber, was in fünf Jahren technisch möglich ist. Und diese Annahmen lassen sich nur begrenzt mit Zahlen, Daten, Fakten belegen.
Entsprechend sind oft die ersten Reaktionen auf entsprechende Vorstösse: «Warum glauben Sie, dass wir unsere Strategie ändern sollten? Unsere Zahlen sind doch gut.» Deshalb können strategische Entscheidungen oft nicht im Konsens getroffen werden. Vielmehr müssen irgendwann Personen, die das Sagen haben, das Heft in die Hand nehmen und verkünden: «Wir machen das – basta.»
Ungeachtet dessen sollten strategische Entscheidungen jedoch im oberen Führungskreis soweit möglich im Konsens getroffen werden, damit sie auf einer soliden Basis stehen. Also gilt es im Vorfeld so viele Indizien wie möglich dafür zu sammeln, dass ein Kurswechsel nötig ist. Denn wie soll die Notwendigkeit einer Veränderung den Mitarbeitern vermittelt werden, wenn diese nicht einmal von allen Führungskräften erkannt wird?
Solide Entscheidungsbasis schaffen
Besteht Einigkeit darüber, dass man etwas tun muss, ist noch lange nicht die Basis für eine solide Entscheidung gelegt. Denn oft sind die Zahlen, Daten und Fakten, aus denen sich gewisse Prognosen ableiten lassen, widersprüchlich. Also gilt es, nicht nur zu ermitteln, welche Entwicklungen grundsätzlich möglich, sondern auch welche wahrscheinlich sind. Hierauf aufbauend kann dann eruiert werden, welche Handlungsoptionen bestehen.
Sind die Optionen klar, können Zukunftsszenarien entworfen werden. Die Verantwortlichen können sich also fragen, was geschieht, wenn sie auf eine gewisse Entwicklung auf eine bestimmte Art und Weise reagieren und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Auch gilt es, zu ermitteln, welche Vor- und Nachteile damit verbunden sind. Das Entwerfen solcher Szenarien fällt Unternehmen oft schwer – unter anderem, weil die beteiligten Personen dieselben Daten und Fakten häufig unterschiedlich bewerten. Zudem entwickelt jede Organisation mit der Zeit gewisse Mechanismen und Vorlieben, Informationen zu verarbeiten und zu bewerten. Aus diesem Grund bevorzugt sie auch gewisse Lösungswege, während sie andere entweder (vor)schnell verwirft oder gar nicht sieht. Deshalb engagieren Unternehmensführer, wenn strategische Entscheidungen anstehen, oft externe Berater als Impulsgeber beim Entwickeln möglicher Entscheidungs- und Handlungsalternativen und als Moderatoren für den Entscheidungsprozess.
Umsetzung planen
Das Herbeiführen von strategischen (Grundsatz-)Entscheidungen ist meist ein langwieriger Prozess. Deshalb atmen Topmanager, nachdem eine solche Entscheidung endlich getroffen ist, oft erleichtert durch und lehnen sich entspannt zurück. Dabei beginnt nun erst die eigentliche Arbeit. Denn dadurch, dass eine Entscheidung gefällt ist, ist sie noch lange nicht kommuniziert und umgesetzt.
Das Treffen einer strategischen Entscheidung hängt deshalb unlösbar mit der Aufgabe zusammen, eine Architektur zu schmieden, wie den Führungskräften und den Mitarbeitern vermittelt wird, warum die Entscheidung getroffen wurde, welche Ziele das Unternehmen damit verfolgt und welche Konsequenzen sich hieraus für die Organisation und die Mitarbeiter ergeben. Ausserdem gilt es, eine Architektur zu entwerfen, wie auf der Ebene des Gesamtunternehmens und der Bereiche aus der Grundsatzentscheidung die erforderlichen Folgeentscheidungen und hieraus wiederum Massnahmepläne abgeleitet werden. Besagte Architekturen zu entwerfen, ist in Grossunternehmen meist nicht die Aufgabe des Top-Managements. Sie wird an ein Steuerungsteam delegiert, in dem die Unternehmensführung zwar vertreten ist, dessen Mitglieder aber weitgehend aus Vertretern der betroffenen Bereiche und professionellen Organisationsentwicklern bestehen. Das Delegieren dieser Aufgabe entlässt die oberen Führungskräfte aber nicht aus der Verantwortung für das Gelingen des Gesamtprozesses – auch deshalb nicht, weil das Verhalten der Mitarbeiter stark davon abhängt, wie stark sich die Führung für das Erreichen der Ziele engagiert. Deshalb muss die oberste Führung Präsenz zeigen.
Veränderungsenergie erzeugen
Beim Konzipieren der Architektur für das Umsetzen strategischer Entscheidungen gilt es besonders dafür zu sorgen, dass in der Organisation die nötige Veränderungsenergie entsteht und erhalten bleibt. Zudem muss man sicherstellen, dass die erforderlichen Folgeentscheidungen getroffen werden und die Entscheidungen im Unternehmensalltag in Einklang mit der Grundsatzentscheidung stehen. Für diese beiden Aufgaben ist und bleibt das Top-Management verantwortlich, selbst wenn es diese an das Steuerungsteam und die operativen Führungskräfte delegiert. Das zentrale Medium zum Schaffen der erforderlichen Veränderungsenergie ist die persönliche Kommunikation. So gilt es unter anderem, den Mitarbeitern im Dialog zu vermitteln, warum an den geplanten Veränderungen kein Weg vorbei führt. Zudem muss mit jedem Mitarbeiter herausgearbeitet werden, was die Grundsatzentscheidung für dessen Alltagsarbeit bedeutet und welche Verhaltensänderungen nötig sind, damit er seinen Beitrag zum Erreichen des grossen Ziels leistet. Das kann zum Beispiel in Vier-Augen-Gesprächen der Mitarbeiter mit ihren unmittelbaren Vorgesetzten oder in Workshops geschehen.
Rahmenbedingungen schaffen
Alles Kommunizieren nutzt aber wenig, wenn nicht zugleich die organisationalen Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit die Mitarbeiter das gewünschte Verhalten zeigen können. Des weiteren müssen sie spüren, dass es persönliche Konsequenzen hat, wenn sie ihr Verhalten nicht ändern. So sollte zum Beispiel ein Unternehmen, das Marktführer in Sachen Service werden will, mit seinen Mitarbeitern nicht nur erarbeiten, worin sich ein guter Service aus Kundensicht zeigt und welchen Beitrag neben den Kundenbetreuern zum Beispiel auch die Controller dazu leisten können. Das ist zwar wichtig. Parallel dazu muss das Unternehmen aber sicherstellen, dass die Mitarbeiter ausreichend Zeit haben, um den gewünschten Service zu erbringen. Und die Bezahlung der Vertriebsmitarbeiter sollte sich nicht mehr rein daran orientieren, wie viel Umsatz diese generieren. Mit dem Festlegen der nötigen Rahmenbedingungen wird zugleich eine Voraussetzung dafür geschaffen, dass aus der Grundsatzentscheidung die erforderlichen Folgeentscheidungen abgeleitet werden. Denn die Mitarbeiter stossen beim Versuch, ein verändertes Verhalten zu zeigen, nicht immer auf Strukturen, die sie darin bestärken, das gewohnte Verhalten beizubehalten.
Change-Prozess steuern
Dessen ungeachtet darf die Frage, ob die erforderlichen Folgeentscheidungen getroffen werden, nicht dem Zufall überlassen bleiben. Vielmehr ist eine institutionalisierte Steuerung nötig. Sie kann auf Bereichsebene durch das Steuerungsteam erfolgen. Auf der Ebene der Mitarbeiter kann die Steuerung dadurch geschehen, dass die Führungskräfte sich im Gespräch mit ihren Mitarbeitern regelmässig danach erkundigen, was diese getan haben, um ihren Beitrag zum grossen Ziel zu leisten. Wichtig ist auch ein Informationssystem, das ausser der Unternehmensführung auch den Mitarbeitern Rückmeldung darüber gibt, was sich im Gesamtunternehmen und in den Bereichen verändert hat. Das ist gerade bei Change-Projekten, die einen Kulturwandel erfordern, sehr wichtig, denn die Kultur eines Unternehmens verändert sich nur in kleinen Schritten. Deshalb entsteht bei den Beteiligten zuweilen der Eindruck, dass man sich schon so lange bemüht und sich trotzdem nichts verändert. Die Folge: Frustration macht sich breit. Deshalb muss die Führungsmannschaft den Mitarbeitern auch regelmässig vermitteln, dass man schon viel bewegt hat und sich auf dem richtigen Weg befindet.
Der Autor
Hans-Peter Machwürth ist Geschäftsführer der international agierenden Unternehmensberatung Machwürth Team International (MTI Consultancy), Visselhövede (D), für die weltweit insgesamt 450 Berater, Trainer und Projektmanager arbeiten.
www.mticonsultancy.com
(Quelle: MTI Consultancy)
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