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Über Stärken und Schwächen reden
Quelle: Voss+Partner

Über Stärken und Schwächen reden

Von Julia Voss

Über Probleme zu sprechen, die auch die Persönlichkeit berühren, fällt den Beteiligten in Unternehmen oft schwer. Analyse-Instrumente können solche Gespräche erleichtern.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2013/11

     

Die Antworten auf Fragen wie «Was für ein Typ bin ich?» oder «Was kann ich gut, was weniger gut?» interessieren viele Menschen. Deshalb veröffentlichen Illustrierte oft Persönlichkeits- oder Psychotests. Besonders aussagekräftig sind diese Tests meist nicht – müssen sie auch nicht. Denn sie dienen weniger der Information der Leser als vielmehr deren Unterhaltung.
Anders ist dies bei den Tests, wie sie zum Beispiel bei Eignungsprüfungen in Unternehmen zum Einsatz kommen. Ihr Anspruch lautet, ein möglichst objektives und aussagekräftiges Bild über eine Person sowie deren Verhalten zu entwerfen. Dabei ist die Bezeichnung Test jedoch irreführend. Denn sie lässt viele Menschen an Prüfungen denken, bei denen Noten verteilt werden. Solche Bewertungen nehmen besagte Tests jedoch nicht vor. Ihre Intention ist vielmehr, beispielsweise zu ermitteln, welche Einstellungen und welche Verhaltenspräferenzen eine Person hat. Allerdings werden diese Befunde von den Tests nicht bewertet, weshalb die meisten dieser Persönlichkeitsanalyse-Instrumente wie zum Beispiel der Myers-Briggs-Typenindikator und das DISG-Persönlichkeitsprofil auch das Element Test nicht in ihrem Namen tragen.
Gemäss ihrem Anspruch, ein möglichst objektives Bild einer Person beziehungsweise ihrer Verhaltensweisen zu entwerfen, sind diese Analyse-Instrumente zumeist auch konzipiert. Sie sind standardisiert, ihre Durchführung und Auswertung erfolgt also nach festen Regeln. Trotzdem sind die Ergebnisse solcher Tests nur scheinbar objektiv. Denn ihrer Konzeption und Auswertung liegen Annahmen zugrunde. Hinzu kommt: Kein Test kann die Persönlichkeit eines Menschen zu 100 Prozent erfassen. Dafür ist diese zu komplex. Deshalb sollten Personen, die solche Analyse-Instrumente nutzen, wissen, wo deren Grenzen liegen. Sonst betrachten sie deren Ergebnisse schnell als etwas, was diese nur bedingt sind – nämlich ein reales Abbild der analysierten Person. Faktisch sind sie jedoch nur Anstösse zur (Selbst-)Reflektion.
Sich der Grenzen besagter Instrumente bewusst zu sein, ist gerade in der betrieblichen Praxis wichtig. Denn dort geht es anders als im therapeutischen Bereich nicht darum, Menschen zu heilen. Die Ziele lauten vielmehr, die Einstellungen sowie Verhaltensmuster von Personen transparent und besprechbar zu machen sowie bei den Personen beruflich erforderliche Einstellungs- sowie Verhaltensveränderungsprozesse anzustossen.

Das DISG-Persönlichkeitsprofil

Wie der Einsatz solcher Tests erfolgen kann, sei am Beispiel des DISG-Persönlichkeitsprofils illustriert. Es geht davon aus, dass jeder Mensch in seinem Leben gewisse Verhaltenspräferenzen entwickelt. Dabei lassen sich vier Grundtypen unterscheiden. Diese werden mit den vier Adjektiven «dominant, initiativ, stetig und gewissenhaft» überschrieben, deren Anfangsbuchstaben zugleich den Namen DISG bilden.
Die vier Grundtypen lassen sich wie folgt charakterisieren:
Typ D – dominant: Personen, die vor allem dem D-Typ entsprechen, gelten als entscheidungsstark, durchsetzungsfähig und risikobereit, als konsequent im Handeln und direkt in der Kommunikation. Sie wirken auf andere Menschen oft autoritär und übernehmen gerne das Kommando.

Typ I – initiativ: I-Typen gelten als teamfähig und kommunikativ. Sie sind begeisterungsfähig und können andere Menschen mitreissen. Ausserdem sind sie optimistisch und haben viele Interessen.

Typ S – stetig: Solche Menschen gelten als wertkonservativ. Gewohnheiten und Routinen vermitteln ihnen Sicherheit. Sie zeichnen sich durch Ausdauer und Geduld aus. Ausserdem haben sie in ihrem Fachgebiet oft ein hohes (Detail-)Wissen und Können.


Typ G – gewissenhaft: G-Personen sind sehr qualitätsbewusst und streben nach Perfektion. Sie konzentrieren sich auf Fakten. Ausserdem hinterfragen und analysieren sie Dinge zu-nächst kritisch, bevor sie sich entscheiden.

Eine weitere Grundannahme von DISG ist: Die vier Typen existieren nicht in Reinform. Sie sind in allen Menschen vorhanden – jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt. Und aus den verschiedenen Ausprägungen ergibt sich das individuelle Persönlichkeitsprofil. Beim DISG-Persönlichkeitsprofil geht es also letztlich nicht darum, herauszufinden, was für ein Typ eine Person ist. Ermittelt wird vielmehr, in welcher Ausprägung die vier Grundtypen vorhanden sind. Und aus dieser Information werden dann Antworten auf Fragen nach Stärken, Aufgaben und Arbeits- und Kommunikationsstil von Personen abgeleitet.

Beispiele aus der Praxis


Wie mit DISG im betrieblichen Kontext gearbeitet werden kann, sei an zwei Beispielen erläutert.
Angenommen, der Leiter des IT-Bereichs eines Unternehmens möchte mit einem jungen Programmierer, der gerne Projektmanager werden möchte, über dessen berufliche Zukunft sprechen. Aufgrund seiner Beobachtungen im Arbeitsalltag befürchtet der Bereichsleiter jedoch, dass dem Programmierer hierfür die erforderlichen sozialen und kommunikativen Kompetenzen fehlen. Was der Bereichsleiter jedoch genau weiss, ist, dass das Gespräch im Chaos enden wird, wenn er versucht, seine Bedenken mit bestimmten, beobachteten Verhaltensweisen zu begründen. Denn dann wird der Programmierer sofort «Ja, aber…» erwidern. Das heisst, er wird sich beziehungsweise sein Verhalten rechtfertigen und verteidigen. Und eine Folge des Gesprächs wird vermutlich sein, dass der Programmierer sauer ist, weil der Bereichsleiter ihn in seinen Augen so schlecht beurteilt.

In solchen Situationen ist es oft hilfreich, zunächst ein Persönlichkeitsprofil zu erstellen, das die Verhaltenspräferenzen des jungen Programmierers beschreibt und grafisch darstellt. Denn wenn ein solches Profil vorliegt, kann eine Einstiegsfrage des Bereichsleiters ins Ge-spräch lauten: «Erkennen Sie sich in dem Profil wieder?» Der Gesprächseinstieg erfolgt also nicht über Beobachtungen des Bereichsleiters, sondern ein neutrales Medium. Deshalb fällt es dem IT-Spezialisten leichter, beispielsweise zuzugeben, dass seine Fähigkeiten in der Analyse und Lösung technischer Pro­bleme liegen und weniger in der Motivation anderer Menschen.
Ein solches Profil erleichtert es, Verhaltensmuster und -weisen von Personen zu besprechen – zum Beispiel in Personalentwicklungsgesprächen. Das ist speziell dann hilfreich, wenn die Beteiligten einen eher technischen oder naturwissenschaftlichen Background haben. Denn dann fehlt ihnen häufig eine Terminologie, um Punkte, die auch die Persönlichkeit eines Menschen betreffen, so zu formulieren, dass keine emotionalen Verletzungen entstehen.

Kooperation verbessern

Zweites Beispiel: Angenommen, in einem Projektteam steckt der Wurm drin. Dann kann der Teamleiter dauerhaft Troubleshooter spielen. Er kann aber auch irgendwann sagen: «Leute, wir haben in den letzten Monaten immer wieder darüber gesprochen, dass es in unserem Team nicht rund läuft. Und trotz aller Absprachen trat keine spürbare Verbesserung ein. Lasst uns einmal in einem Workshop schauen, woran das liegt.»
In dem Workshop könnte der Teamleiter erneut direkt die registrierten Defizite formulieren. Vermutlich aber mit geringem Erfolg. Denn das hat er schon oft getan. Er kann die Teammitglieder aber auch im Voraus dazu auffordern, Persönlichkeitsprofile zu erstellen, um der Ursache der Probleme auf den Grund zu gehen.
Liegen die Profile vor, kann der Teamleiter – oder ein neutraler Moderator, der den Work-shop leitet – diese als Instrument nutzen, um die Zusammensetzung eines Teams und mögliche Konflikte, die hieraus resultieren, transparent und besprechbar zu machen – ohne dass sich die Teammitglieder zerfleischen.
Kennzeichnend für beide Praxisbeispiele ist, dass die in den Persönlichkeitsprofilen enthaltenen Aussagen nicht als unumstössliche Fakten präsentiert werden. Die Personen werden also nicht in Schubladen gesteckt, aus denen es kein Entrinnen gibt. Die Profile werden vielmehr genutzt, um Verhaltensmuster und -weisen nebst ihren Ursachen sichtbar und besprechbar zu machen. Denn nur dann können aus den Erkenntnissen die erforderlichen Schlüsse gezogen werden, die Einzelpersonen und Teams neue Perspektiven eröffnen.

Die Autorin

Julia Voss ist Geschäftsführerin des Trainings- und Beratungsunternehmens Voss+Partner, Hamburg, das unter anderem DISG-Trainer ausbildet und lizenziert. www.voss-training.de


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