Für die meisten mittelständischen Betriebe – nicht nur in der IT-Branche – gilt: Sie können ihren Bedarf an Abteilungs- und Bereichsleitern nicht durch das Rekrutieren erfolgreicher Konzernmanager decken. Dabei ist nicht das gezahlte Gehalt der begrenzende Faktor und auch nicht die fehlende Wechselbereitschaft potenzieller Kandidaten. Der entscheidende Engpass ist die Führungskultur mittelständischer Unternehmen. An ihr scheitern konzerngeprägte Manager regelmässig – selbst wenn sie führungserfahren sind.
Massgeblich für die Kultur einer Firma ist die Unternehmensspitze. Das gilt für börsennotierte Aktiengesellschaften wie auch für mittelständische Betriebe. Es gibt jedoch einen entscheidenden Unterschied: Im familiengeführten Mittelstand bilden Leitung und Eigentum meist eine Einheit. Und die sogenannten Eigentümer-Unternehmer? Sie haben im Betriebsalltag das Sagen, während die börsennotierten Firmen meist von angestellten Managern geführt werden.
Mittelstand hat sich gewandelt
Inhabergeführte Unternehmen gibt es nicht nur im deutschsprachigen Raum sehr viele. In zahlreichen Staaten weltweit bilden sie das Rückgrat der Wirtschaft. Dessen ungeachtet hat sich gerade im deutschsprachigen Raum in den zurückliegenden 20 Jahren das Profil vieler mittelständischer Betriebe stark gewandelt. Sie haben sich oft von handwerklich geprägten Produktions- oder Dienstleistungsunternehmen zu weltweit tätigen High-Tech-Unternehmen entwickelt. Doch ihre (Führungs-)Kultur hielt mit dieser Entwicklung vielfach nicht Schritt.
Auch wenn Mittelständler nicht gleich Mittelständler ist, so verbindet sie doch eines: Für ihre Inhaber ist Unabhängigkeit meist ein zentrales Unternehmerziel. Diese angestrebte Unabhängigkeit bezieht sich sowohl auf die Beziehung zu den Banken, Kunden und Lieferanten, als auch auf das Zusammenspiel mit den Führungskräften auf den Ebenen zwei und drei. Sie tragen zwar auch im Mittelstand viel Verantwortung, oft sogar deutlich mehr als in Konzernen – auch weil in den meisten mittelständischen Unternehmen nicht so arbeitsteilig wie in Konzernen gearbeitet wird und die Führungskräfte deshalb breitere Verantwortungsbereiche haben. Doch das letztendliche Sagen hat stets der Chef – sprich Eigentümer.
Unternehmer: Vorbild und Massstab
Generell gilt für mittelständische Unternehmen, dass ihre Kultur stark von der Persönlichkeit und Haltung des Unternehmers geprägt wird. Insbesondere dem Vorbild des Gründers fühlen sich die Mitarbeiter oft über Generationen verpflichtet.
Für fast alle erfolgreichen Unternehmerpersönlichkeiten gilt: Sie haben einen eigenen Kopf, einen unbändigen Gestaltungswillen und einen fast grenzenlosen Anspruch bezüglich Einsatz, Sparsamkeit und Disziplin.
Was für sie selbst gilt, ist auch ihr Massstab für ihr Umfeld. Das spüren die Führungskräfte auf der zweiten und dritten Ebene häufig hautnah – zum Beispiel, wenn der Inhaber eines 100, 250 oder gar 1000 Mitarbeiter zählenden Unternehmens nach 20 Uhr vom kaufmännischen Leiter selbstverständlich erwartet, dass er mit ihm noch ein Angebot diskutiert, obwohl zu Hause dessen Familie wartet, oder wenn der IT-Leiter am Sonntagnachmittag unverhofft einen Anruf des Firmeninhabers erhält, weil dieser gerade entschieden hat, ein neues IT-Programm einzuführen. Ebenso bekommen dies die Führungskräfte zu spüren, wenn der Chef ganz unverhofft plötzlich im Zimmer einen Projektleiters steht und mit diesem unbedingt etwas, das ihm gerade einfiel, besprechen muss, obwohl dieser wegen der vielen dringenden Terminsachen gerade nicht weiss, wo ihm der Kopf steht.
Mit solchen Überfällen seitens des Unternehmers müssen Führungskräfte der zweiten und dritten Ebene in mittelständischen (IT-)Unternehmen stets rechnen. Und sie müssen auch damit leben, dass der Unternehmer immer mal wieder ohne Absprache Entscheidungen trifft, die eigentlich in ihren Verantwortungsbereich fallen. Und sie müssen ebenfalls damit umgehen können, dass der Chef ihren Mitarbeitern immer mal wieder Direktiven erteilt, ohne sich zuvor mit ihnen abzustimmen und sie zumindest im Nachhinein hierüber zu informieren. Häufig erfahren sie von diesen Übergriffen erst verspätet und indirekt. Zum Beispiel, wenn sie einen Mitarbeiter kritisieren und dieser erwidert: «Aber der Chef hat mir gesagt, ich soll...»
Love it or leave it
Damit, dass die Firmeninhaber mehr oder minder regelmässig in ihren Tätigkeitsbereich hineinregieren, müssen Führungskräfte im Mittelstand leben. Ebenso müssen sie damit umgehen können, dass ihr Chef über Nacht Entscheidungen trifft, die allen Gepflogenheiten und Absprachen zuwider laufen. Führungskräfte, die das nicht können, haben meist keine andere Möglichkeit, als den Arbeitgeber zu wechseln. Denn jeder Versuch die Unternehmerpersönlichkeit zu verändern, ist in der Regel von vornherein zum Scheitern verurteilt. Also muss man mit ihr leben.
Trotzdem können sich viele Führungskräfte mittelständischer Betriebe ein Arbeiten in Konzernstrukturen nicht vorstellen. Denn sie wissen: Wenn sie die gewünschten Ergebnisse liefern, haben sie im Arbeitsalltag weitgehend ihre Ruhe. Ausserdem hat man mehr unternehmerische Gestaltungsfreiräume als in börsennotierten Unternehmen – gerade weil die Entscheidungswege im Mittelstand nicht so formalisiert sind. Sie wissen aber auch: Wenn sie die Ziele zweimal nicht erreichen, dann wird es eng. Dann beschneidet der Chef die Freiräume ganz schnell. Vielfach stört sie das aber nicht, denn als pragmatische Macher hat auch für sie die Zielerreichung oberste Priorität.
Hemdsärmelig und robust geht es bei den meisten Mittelständlern zu. Und kommuniziert wird in der Regel unverblümt – ohne Rücksicht auf die Hierarchie. Wer sich auf Berichtswege und seine Statusmacht beruft, der kommt in mittelständischen Unternehmen nicht weit. Zugleich gilt aber: Wer will und kann, dem wird von der Unternehmensführung schnell viel Verantwortung übertragen und der hat einen grossen Gestaltungsspielraum.
Kein Platz für Mimosen und eitle Pfauen
Exakt diese Tugenden machen zahlreiche Mittelständler zu Hidden Champions in ihren Märkten. Sie sind unter anderem Spitze, weil in ihnen häufig noch nach dem handwerklichen Meisterprinzip geführt wird: kommandieren und bei Bedarf zeitnah korrigieren; sowie regelmässig kontrollieren, wenn es schlecht läuft, bei gleichzeitig maximalem Freiraum, wenn die Deckungsbeiträge stimmen. Diese spezielle Mischung von Führung nach Gutsherrenart und maximaler Selbstverantwortung setzt bei den Führungskräften der zweiten und dritten Ebene spezielle Fähigkeiten und Eigenschaften voraus. Und sie dürfen vor allem eines nicht sein: zart besaitet.
Führungskräfte im Mittelstand müssen physisch und psychisch robuste Persönlichkeiten sein. Sie müssen zudem die Sandwich-Position zwischen dem Unternehmer und ihrer Mannschaft mit einem starken Selbstbewusstsein, einer klaren Sprache und einem grossen Einfühlungsvermögen – auch in die Unternehmerpersönlichkeit – meistern. Und: Sie müssen sich uneitel und loyal in den Dienst stellen und zugleich souverän unternehmerisch agieren. Das setzt eine ausgeprägte Selbststeuerungskompetenz voraus. Sonst werden die Führungskräfte zum Spielball des Geschehens und verlieren Wirkung und Gefolgschaft.
Kompetenz und Stabilität entwickeln
Führung im Mittelstand ist meist eine ständige Gratwanderung zwischen Kontinuität und Sprunghaftigkeit, Kontrolle und Grenzenlosigkeit, Rücksichtslosigkeit und persönlicher Nähe. Führungskräfte, die in diesem Milieu die gewünschte Wirkung entfalten können, fallen nicht vom Himmel. Vielmehr entwickeln sie sich allmählich.
Das haben in den zurückliegenden Jahren die Inhaber vieler mittelständischer Unternehmen auch in der IT-Branche erkannt. Deshalb investieren sie mehr Zeit und Geld in die Entwicklung ihrer künftigen Leistungsträger. Denn ihnen wird zunehmend bewusst, dass herausragende Fachexperten mit Führungskompetenz, einem gesunden Menschenverstand und einem feinen Gespür für Menschen und Situationen rar sind. Und sie haben zudem erkannt, dass Führungskräfte, denen das erforderliche Rüstzeug fehlt, um in der spezifischen Kultur eines Mittelständlers ihre Handlungsfähigkeit zu bewahren, schnell ausbrennen oder frustriert das Handtuch werfen. Die Folgen sind häufige Führungswechsel und eine geringe Kontinuität auf der Führungsebene. Und die ist für Unternehmen letztlich meist teurer, als gewisse Investitionen in die Entwicklung von Führungskräften.
Der Autor
Hubert Hölzl ist Inhaber des auf den Mittelstand spezialisierten Trainings- und Beratungsunternehmens Hölzl & Partner in Lindau.
www.fuehrungstrainer.net
Hubert Hölzl (Quelle: Hölzl & Partner)