Die künftigen Herausforderungen lassen sich nur mit ICT meistern
Quelle: Swiss ICT Magazin

Die künftigen Herausforderungen lassen sich nur mit ICT meistern

Von Bruno Messmer

Wir stehen vor grossen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen. Ob wir diese meistern werden, hängt auch von Innovationen in der IT und der Art und Weise ab, wie wir mit diesen Neuerungen in Unternehmen umgehen werden.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2012/12

     

In den Medien, an Konferenzen oder bei Podiumsdiskussionen herrschen heute oft zwei gegensätzliche Ansichten zum aktuellen Zustand unserer Welt vor. Es sind dies zum einen die Ansicht der Wirtschafts-Pessimisten (vertreten beispielsweise durch Nouriel Roubini oder Niall Ferguson): sie sehen vor allem die globale Verschuldung, den steigenden Energiebedarf der Weltwirtschaft (ausserhalb der OECD Länder zum Grossteil auf fossiler Basis) und die problematische Demographie-Entwicklung in den Industriestaaten (steigende Ausgaben für Rentensysteme) als Indikatoren für einen sich weiter verschlechternden Zustand dieser Welt.
Zum anderen ist es die Ansicht der Techno-Optimisten (vertreten beispielsweise durch Eric Schmidt oder Ray Kurzweil):Sie vertreten den Standpunkt, dass wir uns an einem einzigartigen Punkt in der Menschheitsgeschichte befinden und die nie zuvor dagewesene Verfügbarkeit von Rechen- und Speicherkapazität und der gleichzeitigen digitalen Vernetzung der Menschen ein Chance darstellt, für die Probleme, welche den Pessimisten Sorgen bereiten, neue Lösungen zu finden.
Die Wahrheit liegt dabei vermutlich in der Mitte der beiden Ansichten: Es wird nicht so sein, dass die Informationstechnologie die Welt alleine retten wird, aber ohne IT wird es auch nicht gehen.

Die Megatrends bis 2015

Entscheidend für die Bewältigung der anstehenden Herausforderungen sind
• eine steigenden Produktivität, um Wohlstandswachstum zu erreichen
• eine erhöhte Agilität, um auf Veränderungen zu reagieren und
• eine Steigerung der Kreativität bei der Lösungsfindung
Ausgeheden von diesen Anforderungen und basierend auf heute beobachtbaren Entwicklungen in der IT lassen sich vier Megatrends identifizieren, die wesentlichen dazu beitragen werden, dass IT-Unternehmen, aber auch Gesellschaften leistungsfähiger werden (so dass am Ende die Optimisten vielleicht doch recht erhalten werden):
1. Die fortschreitende Industrialisierung der ICT-Produktion führt dazu, dass vormals eher schwerfällige und nur wenig flexible IT Systeme mittels Automatisierung und Standardisierung agiler werden und damit auch neue Formen von flexibler Unternehmens-IT möglich machen.
2. Eine Workplace (R)Evolution, die die Art und Weise, wie wir in Zukunft mit IT-Systemen interagieren werden, verändert. Zudem führen neue Gerätegenerationen und die Trennung von Applikationen, Betriebssystemen und Hardware (durch Virtualisierungstechnologien) zu neuen Freiheiten bei der Arbeitsplatzgestaltung, so dass die Produktivität des Einzelnen steigen wird.
3. Die Dekade der Apps & Services: Der Trend, Anwendungen als Apps für Smartphones, Tablets und immer mehr auch vollwertige Notebook-Computer zu gestalten, ermöglicht neue Prozess- und Arbeitsabläufe und schafft gleichzeitig die Grundlage für neue Geschäftsmodelle.

4. Aufbauend auf den vorhergehende Trends zeichnet sich immer mehr auch das Bild einer hypervernetzten Informationsgesellschaft ab, in der Social Software und der Zugang zu grossen Datenmengen und die Möglichkeit, diese Daten auch systematisch analysieren zu können, die Kreativität und die Innovationkraft in Unternehmen stimulieren.
Allerdings führen die genannten Megatrends auch zu zwei neuen grossen Herausforderungen, die bei allen Schritten in die IT Zukunft beachtet werden sollten: Erstens werden sowohl die gesellschaftliche wie auch die wirtschaftliche Abhängigkeit von IT-Systemen in den kommenden Jahren weiter zunehmen und damit werden auch die Sicherheitsrisiken und die Risikokosten dramatisch steigen. Zweitens gibt es immer mehr Erkenntnisse darüber, wie schlecht wir mit unserem Denkorgan, welches ursprünglich durch den Evolutionsprozess für ein Überleben in der afrikanischen Savanne optimiert worden ist und seit 150‘000 Jahren kein Update mehr erfahren hat, für die moderne Büroarbeit geeignet sind.
Neue Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomie und der Hirnforschung zeigen, dass wir zu einer Reihe von geistigen Fehlleistungen neigen, und dass diese Fehlleistungen durch einen Überfluss an Information noch verstärkt werden (ein hervorragendes Buch dazu ist zum Beispiel «Thinking, Fast and Slow» von Daniel Kahnemann).
Leider werden unsere kognitiven Fehlleistungen in der digitalen Welt noch zusätzlich verstärkt: Die Menge der täglichen Reize, die zu jeder Zeit und an jedem Ort auf unser Gehirn einwirken, hat durch die Hypervernetzung mit anderen Menschen und mit Info-Quellen ein Ausmass angenommen, wie es in der Menschheitsgeschichte einzigartig ist. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit für Fehlentscheidungen und Denkfehler massiv an, so dass man sich die Frage stellen muss, ob wir – wie der Zauberlehrling in Goethes Gedicht – die digitalen Geister, die wir losgelassen haben, nicht mehr in den Griff bekommen und zum Opfer des eigenen digitalen Wunders werden.

Bring your own Brain!

Was lässt sich dagegen tun? Bring your own Brain! Selbstkontrolle, Selbsterkenntnis und Medienkompetenz können helfen, den Gefahren der digitalen Welt zu entgehen und die eigenen Denkkraft durch Informationsüberflutung nicht zu schwächen, sondern zu stärken.
Aber ohne digitale Unterstützung wird es auch in Zukunft nicht gehen, und deshalb werden intelligente Assistenten, wie sie beispielsweise Apples Siri oder Google Now darstellen, immer wichtiger werden.
Obwohl diese Assistenten noch beschränkte Funktionen aufweisen, zeigen sie auf, wo die Reise zukünftig hingehen wird: Aufgrund der Komplexität der Systeme und der Menge der Informationen, die zur Verfügung stehen, werden wir immer mehr Entscheidungen an Assistenten, Avatare oder kleine Helferlein auslagern. Mit dieser Delegation von Entscheidungen wird auch die Frage des Vertrauens und der Vertrauenswürdigkeit der Anbieter dieser Assistenzsysteme immer wichtiger werden. So wird auch in der digital erweiterten Gesellschaft jeder Anbieter von intelligenten Assistenzdiensten nicht nur daran gemessen werden, wie intelligent seine Helferlein sind, sondern auch wie vertrauenswürdig.

Ob es uns, dank Innovationen, getrieben durch die IT Megatrends und dank digitalen Assistenten, gelingen wird, die grossen Herausforderungen, die die Wirtschaftspessimisten zu Recht auf uns zukommen sehen, zu meistern, bleibt eine offene Frage (wie alles was die Zukunft betrifft). Aber zumindest zeigen die Techno-Optimisten einen Weg auf, der uns zu Lösungen für die schwierigen Probleme führen könnte, solange wir immer wieder daran denken, den Blick vom Smartphone zu heben und uns ab und zu auch auf unser eigenes Denkorgan verlassen.

Dr. Bruno Messmer, Leiter Market Development, Swisscom IT Services


Seit seiner Promotion an der Universität Bern auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz hat sich Bruno Messmer immer wieder mit dem Einfluss der Digitalisierung auf Geschäft und Gesellschaft befasst.



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