CIO-Interview: «Mir kommt oft die Rolle des Salomo zu»
Quelle: zVg

CIO-Interview: «Mir kommt oft die Rolle des Salomo zu»

David van Dyk ist Head of IT Management bei Nord Stream, dem Erbauer einer Gas-Pipeline durch die Ostsee. Für die IT setzt er voll und ganz auf Outsourcing.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2012/10

     

Swiss IT Magazine: Können Sie die IT-Strategie umschreiben, die Sie als Head of IT Management bei Nord Stream verfolgen?
David van Dyk:
Wir setzen bei Nord Stream in der IT vollumfänglich auf Outsourcing und sind entsprechend nur ein sehr kleines Team. Wir streben zudem an, ein sehr hohes Qualitätsniveau zu erreichen. Im November sollten wir so auch das ISO-27001-Zertifikat erhalten – hoffe ich zumindest (lacht…). Wir unterhalten IT-Standorte in Russland, Deutschland sowie zwei in der Schweiz – in Zürich und in Zug, wo wir auch ein Datencenter betreiben. Erwähnenswert ist zudem auch, dass wir einen 24/7-Betrieb sicherstellen müssen, da bei uns hochkritische Applikationen im Einsatz sind. Wir pflegen Systeme für 250 Benutzer, die in der Lage sein müssen, überall und jederzeit zu arbeiten. Und wir versuchen, Lösungen und Technologie möglichst kreativ einzusetzen und zu nutzen.

Wie viele Leute beschäftigen Sie in der IT?
Inhouse sind in der IT lediglich vier Mitarbeiter tätig, die ausschliesslich Management-Aufgaben übernehmen – wir sprechen hier von Projekt-Management, Vertrags-Management, Störungs-Management und Krisen-Management. Wenn man die Fachkräfte unserer Outsourcing-Partner hinzurechnet, arbeiten täglich 30 bis 40 Leute in der Nord-Stream-IT.


Warum dieses extreme Outsourcing-Modell bei Nord Stream?
Das Modell ist unter anderem eine Frage der Fairness. Das Erdgas-Pipeline-Bauprojekt von Nord Stream, das von Beginn weg als Projekt ausgelegt war, ist jetzt fertig und geht nun in die Operations-Phase über. Infolgedessen braucht das Unternehmen nun deutlich weniger Leute. Hätte man mit Festangestellten gearbeitet, müsste man nun Leute entlassen. Dank dem Outsourcing stellt sich dieses Problem nicht.
Mit wie vielen IT-Partnern arbeiten Sie aktuell zusammen?
Wir sind laufend daran, im Partner-Bereich zu rationalisieren und die Zahl der Partner zu verringern. Aktuell sind es noch etwas mehr als ein Dutzend Outsourcing-Partner, mit denen wir zusammenarbeiten.

Was relativ viel ist, oder?
Das stimmt, hängt aber stark mit dem Projekt von Nord Stream zusammen. Über so viele Grenzen hinweg wurde eine solche Pipeline niemals zuvor gebaut. Die IT musste die Grundlagen für einen umfassenden Genehmigungsprozess in neun Ländern schaffen. Ganz am Anfang legte die IT die Basis für das Projekt. Als ich vor gut fünf Jahren bei Nord Stream angefangen habe, habe ich hier in Zug nichts weiter als einen Server vorgefunden. Das Wachstum der IT-Landschaft war dann rasant, wir haben innert kürzester Zeit komplexe Lösungen für Dokumentenarchivierung, ERP- und CRM-Pipe-Tracking-Systeme und Lösungen für Big-Data-Systeme und so weiter implementiert. Zusätzlich haben wir Partner geholt, welche sich nur ums Controlling gekümmert haben – ein wichtiger Aspekt für uns. Hinzu kamen viele Spezialaufgaben, die mit dem Projekt zusammenhängen und die nach spezialisierten Partnern verlangen. Sie können mir glauben, in den ersten drei Jahren ging hier die Post ab, und vielleicht hat das dazu geführt, dass man mit etwas zu vielen Partnern gearbeitet hat. Deshalb läuft nun der angesprochene Rationalisierungs-Prozess. Doch wir konnten nicht organisch wachsen, wie dies in anderen Firmen üblich ist.


Wenn Sie das Rad nochmals an den Anfang des Projekts zurückdrehen könnten, würden Sie eine andere Strategie wählen und mit einem Full-Service-Provider zusammenarbeiten?
Nein. Ich würde wieder mit mehreren, kleinen Partnern arbeiten. Der Grund dafür ist einfach: Die grossen Full-Service-Provider können zwar alles aus einer Hand bieten, bewegen sich aber wie ein mächtiges Schiff – langsam und behäbig. Für unser Projekt brauchten wir Firmen und Leute, die jung, frisch, dynamisch und flexibel agieren und die vielleicht auch einmal ausserhalb des vereinbarten Vertragsvolumens arbeiten. Mit einem grossen Provider ist das erfahrungsgemäss kaum möglich. Der grösste Partner, den wir haben, ist Connectis mit seinen rund 200 Mitarbeitern. Die meisten Partner sind aber deutlich kleiner – allerdings keine One-Man-Shows, aus Gründen des Risk Management.

Die Arbeit mit vielen kleineren Partnern kann auch eine Herausforderung sein, oder nicht?
Schwierig wird es vor allem dann, wenn ein Problem ansteht. In unserer IT-Infrastruktur kann ein Problem theoretisch auf so vielen unterschiedlichen Ebenen liegen, dass es schwierig wird, zu definieren, wer für seine Lösung zuständig ist. Wenn ich ein Problem und einen Full-Service-Provider habe, ist relativ klar, wer das Problem zu lösen hat. Bei vielen Partnern aber besteht die Gefahr, dass sich niemand für das Problem zuständig fühlt oder der Partner es auf einen Bereich abschiebt, für den er nicht zuständig ist. Und so kommt mir oft die Rolle des Salomo zu, der ein schwieriges Urteil fällen muss – da bedarf es dann einer gewissen Weisheit, Geschick und vor allem IT-Know-how, um fundierte Entscheidungen zu treffen.


Nach welchen Kriterien haben Sie denn die Partner ausgewählt?
Zum einen haben wir natürlich bestimmte Guidelines und Standard-Prozesse für die Wahl von Partnern. Dann aber haben wir für jedes IT-Projekt mit potentiellen Partnern Interviews geführt und geschaut, ob sie unsere Bedürfnisse und – für mich besonders wichtig – unsere internationale Kultur verstehen. Zudem wollten wir so herausfinden, ob die potentiellen Partner die speziellen Umstände bei uns verstehen. Bei uns hat jedes Problem höchste Priorität, weil sämtliche Prozesse eng miteinander verknüpft und voneinander abhängig sind. Wir haben also darauf geschaut, wie dynamisch und kreativ ein Partner ist und ob er unsere Komplexität wirklich versteht. Weiter ist auch das Personal des möglichen Partners sehr wichtig, da man schliesslich nicht nur mit der Firma, sondern auch mit den Technikern und Ingenieuren zusammen arbeiten wird. Deshalb ist es jeweils mein Ziel, mit sämtlichen Mitarbeitern zu sprechen, welche in den entsprechenden Auftrag involviert werden – angefangen vom First-Level-Supporter bis hin zum Account Manager.

Auffallend ist, dass Nord Stream – trotz der Internationalität des Projekts – IT-seitig häufig auch mit lokalen Partnern arbeitet. Geschieht das bewusst?
Sicher könnte ich auch Applikationen in Pakistan schreiben lassen. Doch wenn es möglich ist, versuche ich mit einem Partner in der Schweiz zu arbeiten. Der Grund dafür ist ganz einfach: Die Kommunikation mit einem lokalen Partner ist viel einfacher. Der Planungsaufwand mit einem Partner, der weiter weg ist, ist viel grösser. Sicher gibt es moderne Kommunikationsmittel, um Distanzen zu überbrücken, aber ich selbst schätze noch den persönlichen Kontakt, gerade bei einem solch dynamischen Projekt. Vielleicht bin ich diesbezüglich etwas altbacken (lacht…). Natürlich haben wir auch Partner im Ausland. So etwa für unsere Standorte in Deutschland und Russland, aber teilweise auch, weil wir die gleiche Dienstleistung im Ausland deutlich günstiger als in der Schweiz bekommen haben. Die Erfahrung hat gezeigt, dass eine IT-Dienstleistung in der Schweiz gut und gerne drei Mal mehr kostet als im benachbarten Ausland, und manchmal rechtfertigt die geographische Nähe den höheren Preis einfach nicht.

Swissness spielt bei Ihren Überlegungen auch eine Rolle?
Auf jeden Fall. Ich bin begeistert von der Schweizer Mentalität und davon, wie der Schweizer arbeitet. Ich finde in der Schweiz höchste Qualität, und das passt zu uns als Unternehmen.


Sie haben vorher erwähnt, das Pipeline-Projekt gehe nun in die Operations-Phase über. Welche Projekte stehen denn bei Ihnen noch an?
Wie erwähnt wollen wir die ISO-27001-Zertifizierung über die Bühne bringen. Dann sind wir mit unserem Partner Connectis daran, unsere Standorte im Ausland mit verbesserter Infrastruktur etwa im Bereich VoIP oder mit besserer Redundanz auszubauen. Und letztlich geht es heute auch darum, unsere IT fit zu machen für den operationellen Betrieb. Viele Bereiche unserer IT-Infrastruktur mussten so rasch wie möglich in Betrieb genommen werden und erst jetzt haben wir die Zeit, die IT- und die damit zusammenhängenden Prozesse zu optimieren und zu verbessern.

Sie konnten ganz offensichtlich einige Erfahrungen im Outsourcing-Bereich machen während den letzten Jahren. Was ist in Ihren Augen entscheidend, um erfolgreich Outsourcing zu betreiben – speziell mit so vielen verschiedenen Partnern? Welche Erfahrungen können Sie weitergeben?
Wenn man innerhalb des ersten Jahres nach Vergabe des Auftrags merkt, dass die Partnerschaft nicht funktioniert oder der Partner nicht passt, sollte man wechseln. Auch wenn der Aufwand gross ist, auf lange Sicht lohnt es sich, eine solche Partnerschaft zu beenden. Ein ehemaliger Chef von mir verfolgte zudem die Philosophie, dass der Outsourcing-Partner nicht grösser sein sollte als die eigene Firma. Dies kann ich so unterschreiben. Ausserdem sollten Partner in der Region gesucht werden, denn Partner, die weit weg sind, brauchen Zeit, verursachen Kosten und sind letztlich nicht billiger, nur weil sie auf dem Papier günstiger sind. Ohnehin sollte man nicht immer nur auf den Stundenansatz schauen, sondern vielmehr darauf, dass die Chemie zwischen den involvierten Personen stimmt. Entsprechend viel Wert sollte auf das Auswahlverfahren des Partners gelegt werden. Und schliesslich sollte man sich für jedes neue Projekt die Zeit nehmen, dieses auch neu auszuschreiben. Sicher wäre es manchmal einfacher, ein kleines Projekt einfach dem existierenden Partner zu geben. Doch dann besteht die Gefahr, dass der Partner sich nicht mehr die Mühe gibt, die man eigentlich erwartet. Das Ziel muss immer lauten, den bestmöglichen Partner für jedes Projekt zu finden.


Sie sind als IT-Chef bei Nord Stream Ihrem Finanzchef unterstellt. Für die meisten IT-Chefs ist das der Albtraum, wie man immer wieder hört. Wie sieht die Situation bei Ihnen aus?
Grundsätzlich stimmt diese Aussage. Ich habe jedoch das Glück, das Paul Corcoran, unser Finanzdirektor, früher auch IT-Abteilungen unter sich hatte und Erfahrung in dieser Materie hat. Das hilft natürlich enorm, und die Arbeit mit ihm ist angenehm und kreativ.

David van Dyk

David van Dyk (40) ist gebürtiger Südafrikaner und lebt seit 17 Jahren in der Schweiz. In der IT ist der studierte Photograph als Quereinsteiger und dank viel Engagement und Glück, wie er selbst sagt, gelandet. Bei Nord Stream ist van Dyk seit fünfeinhalb Jahren als Systems Manager, die letzten drei davon als Head of IT Management, beschäftigt. Nord Stream mit Sitz in Zug zeichnet verantwortlich für die Planung, den Bau und den Betrieb einer aufsehenerregenden Erdgas-Pipeline von Russland durch die Ostsee nach Deutschland, deren zweiter Strang in diesen Wochen in Betrieb genommen wird. (mw)


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