KMU industrialisieren ihre IT
Quelle: Swiss ICT Magazin

KMU industrialisieren ihre IT

Holger Herbst

Unternehmen müssen sich stetig wandelnden Markterfordernissen und Kundenbedürfnissen anpassen. Dazu gehört auch, innovative Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln und möglichst schnell auf den Markt zu bringen. Agile IT-Leistungen sind dafür eine wichtige Voraussetzung.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2012/07

     

IT ist schon länger ein Enabler für innovative Geschäftsstrategien und soll Impulse für neue Geschäftsmodelle geben. Oft ist die IT jedoch zu starr und kann diesen Erwartungen nicht immer genügen. Sie muss agil und flexibel werden, damit rasch neue Bereiche gegründet, innovative Services lanciert oder Projekte gestartet werden können. Die Möglichkeit, IT-Infrastruktur innert kurzer Zeit zu erhalten, beschleunigt die Innovation und erlaubt dem Unternehmen, sich schneller und erfolgreicher im Markt zu bewegen. Dies gilt insbesondere für Branchen mit immer komplexer werdenden Services und einer starken Abhängigkeit von Daten und Anforderungen an Sicherheit und Verfügbarkeit.
Cloud-Services stellen ein neues Modell für die IT dar. In den letzten 20 Jahren hat die Industrialisierung in der IT hauptsächlich auf der Applikationsebene stattgefunden. Das Resultat sind Standardanwendungen wie ERP-Software oder integrierte Office Produkte mit Textverarbeitung, Datenbank oder Kalkulation. Zudem liessen ich in der Software-Entwicklung signifikante Effizienzsteigerungen verzeichnen.
Heute entwickeln KMU kaum noch eigene Software, ausgenommen für spezielle Anforderungen. Sie setzen weitgehend Standardsoftware ein, die sie gegebenenfalls für den Einsatz im eigenen Unternehmen anpassen. Für die Unternehmen hat der Einsatz von Standardsoftware auch den Vorteil, dass sich leichter Personal findet, denen die Programme vertraut sind.
Die Standardisierung der Software ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Die andere ist die Betriebsinfrastruktur, auf der diese Software läuft. Hier sind die Unternehmen längst nicht so weit, auf Standards zu setzen. Viele Unternehmen betreiben ihre eigenen Server und kommen so kaum in den Genuss von Skaleneffekten. Mit anderen Worten: Sie produzieren zu teuer, ohne es zu wissen.

Einstieg in die Cloud Services

Sie müssen das, was sie in den Fertigungsprozessen längst getan haben, nun auch im Betrieb der IT umsetzen. Industrialisierung ist das Stichwort. Heute nähen wir kaum noch unsere Kleider selber, sondern suchen uns etwas nach unseren Bedürfnissen aus – das Angebot ist vielfältig und die Preise deutlich tiefer, als wenn wir es selbst bei gleicher Qualität schneidern würden.
Cloud Services lösen nun in der IT eine ähnliche Industrialisierungswelle aus, wie sie schon in vielen anderen Industrien stattfand, sei dies in der Bekleidungsindustrie, dem Maschinenbau, der Automobilindustrie oder der Möbelfertigung. Diese neuen Services treffen in den meisten Unternehmen aber nicht auf eine grüne Wiese, sondern auf eine existierende Betriebslandschaft mit dedizierten und virtuellen Systemen und oft hochgradig individualisierten Designs und Implementierungen. Der Einstieg in Cloud Services ist daher meistens eine Transformation, bei welcher beachtet werden muss, dass die technische Interoperabilität zwischen Legacy und neuen Plattformen kontinuierlich sichergestellt wird. Kernthema dieser Transformation ist eine Standardisierung und Normierung der IT, damit diese letztendlich als Service bereitgestellt werden können.
In diesem Prozess sind praktische Erfahrungen des Providers in der Migration und Konsolidierung von IT-Betriebslösungen von grossem Vorteil. Reine Cloud-Anbieter fokussieren jedoch auf einen Massenbetrieb und haben wenig oder gar keine Erfahrung in der Unterstützung der Kunden bei ihrem Wechsel auf ein Service-Modell. Die dafür notwendige Methodenkompetenz und die technischen Skills liegen heute vor allem bei den klassischen IT-Outsourcing-Anbietern, die auch die notwendige technische Integration zwischen den traditionellen IT Bereichen und Cloud Services bewerkstelligen können.

SaaS-Angebote sind attraktiv

Neben den Cloud-Services im Infrastrukturbereich spielen Software as a Service respektive ASP-Dienstleistungen (Application Service Provider) bereits eine wichtige Rolle. Insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen ist es attraktiv, Standardlösungen zu beziehen, ohne dafür eigene aufwendige Infrastrukturen zu unterhalten. Zudem erlauben diese Standard¬dienstleistungen auch immer weniger eine Differenzierung im Wettbewerb. Gerade weniger grosse Unternehmen können so ihre Ressourcen auf tatsächlich differenzierende Produkte konzentrieren.
Der Einsatz von SaaS-Lösungen ist jedoch primär dann sinnvoll, wenn sie in sich geschlossen sind. Sobald sie mit Systemen oder Lösungen integriert werden müssen, welche inhouse noch selber betrieben werden, entsteht eine Komplexität, welche die Vorteile von SaaS wieder reduziert.
Bei SaaS- oder ASP-Lösungen muss ebenfalls ein Augenmerk auf der Kontrolle über die Informationen liegen. Kunden einer SaaS-Lösung wissen oft nicht mehr, wo ihre Daten liegen und wer alles darauf zugreifen kann. Beispielsweise kann der SaaS-Anbieter zwar in der Schweiz oder Europa domiziliert sein, seinen Speicherplatz bezieht er jedoch aus Indien. Fakt ist, dass die Geschäftsinformationen dann in Indien gespeichert werden, dem indischen Recht unterliegen und durch einen indischen Systemadministrator eingesehen werden können.

Standardisierung bedeutet nicht Gleichheit

Die meisten Kunden beziehen aber heute standardisierte Produkte und Services ab Stange. Standardisiert bedeutet jedoch nicht „gleich“. Am besten zeigt sich dies in der Automobil-Branche, wo der Interessent über Konfiguratoren sein ganz individuelles Auto zusammenstellen kann. Standard bedeutet in einer reifen Industrie, dass der Kunde eine Vielzahl kombinierbarer Standard-Optionen erhält, welche letztendlich dazu führen, dass er zwar ein Standardprodukt erhält, dieses aber soweit an seine Bedürfnisse anpassen konnte, dass er es (fast) als Spezialanfertigung wahrnimmt. Die Fertigung im Hintergrund kann aber dank der Standardisierung aller Produkt-Ausprägungen hocheffizient und industriell erfolgen.
Ein wichtiges Element der Industrialisierung ist auch die Marktsegmentierung. In der vorindustriellen Zeit musste sich ein Anbieter kaum überlegen, für welches Segment er produzierte, er konnte ja alles und für jeden. In einer industrialisierten Welt muss sich der Anbieter entscheiden, welche Bedürfnisse er anspricht, da er seine Produktion auf die angebotenen Standardoptionen ausrichten muss. So entscheidet sich der Automobilhersteller, ob er einen praktischen Familienwagen oder einen sportlichen Zwei-Sitzer anbietet und produziert.

Cloud Computing ist im Kern die Industrialisierung des IT-Betriebes und führt heute schon zu unterschiedlichen Angebote, die sich grob in die Dimensionen Standort, Service-Umfang, Sicherheit und Compliance und SLA (Service Level Agreement) einteilen lassen.

Standort
- globale Anbieter mit Services für Kunden, die ihre Daten nicht zwingend in der Schweiz halten wollen
- globale Anbieter mit Standort Schweiz, jedoch Betrieb aus dem Ausland
- Schweizer Anbieter, die ihren Kunden Swissness garantieren: Betrieb und Datenhaltung in der Schweiz


Service-Umfang
- reine Infrastruktur-Services für Kunden, die weiterhin mit eigenen IT-Spezialisten die Konfigurationsarbeit übernehmen wollen (z.B. für eigene Softwareentwicklung) und nur den Hardware-Betrieb auslagern
- standardisierte Plattform-Services einschliesslich Middleware oder sogar Datenbank-Managementsysteme

Sicherheit und Compliance
- Services, welche ‚normale‘ Sicherheits-Anforderungen erfüllen
- Services, welche auch höheren Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit genügen, z.B. für Anwendungen mit Kunden- oder Mitarbeiterdaten
- Services, die sogar die Bestimmungen der Banken erfüllen

SLA
- Services, bei welchen kein eigentlicher SLA besteht, sondern bei Nicht-Verfügbarkeit von Service-Elementen einfach keine Verrechnung erfolgt
- Services mit Outsourcing-artigen SLA, welche die Einhaltung der gewünschten Verfügbarkeit garantieren

Schon diese wenigen Dimensionen zeigen, welche Vielfalt an Services entsteht, da ja jeder Anbieter seine eigene Auswahl trifft. Für die Kunden führt diese Angebotsvielfalt zu einer Verschiebung der Komplexität. Heute liegt diese im Betrieb einer eigenen individuellen IT, morgen liegt sie darin, aufgrund der eigenen Bedürfnisse den richtigen Partner mit den richtigen Services auszuwählen. Die meisten angebotenen Verrechnungsmodelle sind sehr kurzfristig orientiert, doch ein solcher Entscheid ist oft mittel- bis langfristig zu treffen. Auch wenn die Welt des Cloud Computings den Wechsel von einem Provider zum anderen erleichtert, führt jeder Wechsel weiterhin zu Kosten und Instabilität.
Für Unternehmen wird es zusehends schwieriger, neue Technologien in der IT zu beherrschen und gleichzeitig die Erwartungen an Kostensenkungen und Agilität zu erfüllen. Zudem werden zunehmend personelle und finanzielle Ressourcen gebunden, die danach in strategisch wichtigen Bereichen fehlen. Cloud Services als industriell bereitgestellte IT-Infrastruktur-Services schaffen nun eine echte Alternative für alle Unternehmen. Die Herausforderung für Unternehmen ist in Zukunft nicht nur die Wahl und Beherrschung einer Technologie, sondern das richtige Sourcing und das Zusammenspiel verschiedener Modelle und Partner.





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