Wie Schuppen fiel es mir von den Augen. Am 26. Januar fand in Bern der bedeutendste Networking-Anlass der Schweizer ICT-Szene, in der Champions Lounge des Stade de Suisse, statt. Alles war dort, was Rang und Namen hat. 1400 Top Shots der Schweizer ICT-Szene gaben sich ein Stelldichein. Dort wurde mir klar: Ihr wollt keine Cloud. Dieses Kinderspielzeug mit dem Wischiwaschi-Namen Cloud Computing ist euch viel zu wolkig. Warum solltet Ihr auf eine Technologie setzen, die verspricht, hunderte von Rechenzentren und Admin-Jobs in der Schweiz zu vernichten? Am ICT-Networking-Anlass wird Business gemacht und nicht trial accounts for free.
Nennen wir die Dinge beim Namen, es macht aus Eurer Sicht keinen Sinn, dem Kunden zu verraten, was dieses Cloud Computing alles ermöglicht. Erstens sind die eigenen Mitarbeiter gut ausgebildet, um die bestehende Infrastruktur zu warten und zu pflegen und zweitens sowieso. Man stelle sich nur vor, was diese Jungs aus der Internetbranche mit der Cloud für Ideen haben: Mit Cloud-Produkten wie der Dropbox – einem Harddisk-Ersatz – sollen die User selbständig Rechte für ihre Dateien vergeben und das über Firmengrenzen hinweg. Was für ein datenschutztechnischer und organisatorischer Horror! Oder, wenn Mitarbeiter auf einmal selbst entscheiden, dass sie Google Sheet besser als Excel finden, weil die Zusammenarbeit einfacher wird. So kann das doch nicht gehen.
Und betrachtet man die Sache nüchtern, stellt man fest, dass ein Rechencenter schon seit Jahren auf Cloud macht und Datendienstleistungen anbietet. Ist doch so – oder nicht? Bei der Aussage: «Wir bieten in unserem Rechencenter schon seit Jahren Cloud Computing an», wird bei mir eine Erinnerung wach. Damals, ich war 17 Jahre alt und verkaufte in der Lehre IBM 486 Clone mit 10 MB Festplatte, hielt ich eine Eintrittskarte für eine IBM-Präsentation in den Händen. Als Jung-spund inmitten blauer Anzugträger stehend, wartete ich gespannt auf die grosse Neuheit. Zum ersten Mal hatte ich Kontakt mit der IT-Welt der Erwachsenen. Dort wo nicht mit Legosteinen gespielt wird, sondern richtige Geschäfte abgeschlossen werden.
AS/400 hiess das System. IT für Männer in blauen Anzügen. IBM präsentierte an jenem Abend eine Revolution bei den Grossrechnern – die Maus. Jawohl, ab sofort konnte man mit einer Maus einen IBM-Grossrechner bedienen. Tosender Applaus brandete im Raum auf, und ich war schockiert. Eine Maus soll die grosse Neuheit sein? Eine Maus schloss ich schon an meinen ersten Schneider CPC 6128 mit 128 Kilobyte RAM an, und beim Atari ST wurde die Maus im Paket für 1850 Franken mitgeliefert!
An jenem Abend hatte ich noch nicht begriffen, was eigentlich passiert war. Ich lachte darüber, dass IBM eine Maus für die grosse Neuheit hielt. Wichtiger aber war, IBM konnte die grössten, komplexesten und besten Rechner der Welt bauen. Sie waren in der Lage, hunderttausende von Computern zu vernetzen, als das WWW noch nicht einmal erfunden war. Trotz der technologischen Überlegenheit von IBM hatte der Dreibuchstabenkonzern nicht verstanden, für was man eine Maus braucht. Alles was IBM an jenem Abend präsentierte, war ein Eingabegerät, das die Cursor-Tasten ersetzte. Es gab keine grafische Bedienoberfläche, kein Laufwerk- oder Papierkorb-Icon. Es gab kein dynamisches Dropdown-Menü oder Drag & Drop. Die Maus hatte einzig die Funktion, den AS/400 Kunden vorzugaukeln, dass IBM weiterhin dabei ist. IBM hatte die Philosophie der Maus nicht kapiert.
Kurz darauf fiel IBM in die grösste Unternehmenskrise seit Bestehen. IBM verschlief den Einzug in die moderne IT-Welt. Die Maus war mehr als eine technische Innovation, die Maus war eine Philosophie, wie man Computer bediente. Genauso ist die Cloud mehr. Die Cloud ist eine Philosophie, wie man in Zukunft Rechen- und Software-Leistung bezieht und nutzt. Wenn Sie als Rechenzenter-Anbieter oder IT-Verantwortlicher überzeugt sind, dass Sie schon heute Cloud Computing anbieten, passen Sie auf, dass es Ihnen nicht wie IBM geht und stecken Sie keine alten Konzepte in die neue Cloud-Philosophie.