Vier-Kern-CPUs mit 16 Grafikkernen, Kameras mit 41 Megapixeln, High-Definition-Displays mit riesigen Diagonalen und im Gehäuse integrierte Beamer: Was am Mobile World Congress in Barcelona an neuen Smartphones gezeigt wurde, lässt jedes durchschnittlich bestückte High-end-Notebook, jede anständige Spiegelreflexkamera und jedes Multimedia-System vor Neid ein wenig erblassen. Das Wettrüsten im Handy-Umfeld hat Dimensionen angenommen wie vor Jahren im PC-Geschäft, als Rechner vor allem mit den Argumenten «mehr, mehr, mehr» verkauft wurden – mehr Mega- und Gigahertz, mehr RAM, mehr Kerne, mehr Gigabyte, mehr alles… Gebraucht hat das eigentlich niemand, von ein paar Game-Enthusiasten sowie Grafik-, Video- und Audio-Tüftlern abgesehen.
Und nun sind also die Smartphones dran, die soweit hochgerüstet werden, dass jeder durchschnittlich ausgebaute Supercomputer an seiner Daseins-
berechtigung zweifelt. Kann man nun einem Hersteller einen Vorwurf machen, wenn er versucht, mehr Leistung in seine Geräte zu packen? Das sicher nicht. Doch sich zu überlegen, ob der potentielle Käufer all die Kerne, Pixel und Gimmicks braucht und will, das dürfte man von den Handy-Produzenten erwarten. Klar gibt es immer Käufer für den letzten Schrei der Technik. Doch vor allem wird im Moment Einheitsbrei auf den Konsumenten losgelassen. Nehmen Sie einmal die in den letzten Monaten neu erschienenen Geräte, kratzen Sie die Logos weg und finden Sie die 10 Unterschiede. Viel Glück damit. Wenn sie nicht gerade von
Nokia (oder natürlich Apple) kommen, läuft auf den Geräten irgendeine Version von Android. Sie sind in der Regel schwarz und manchmal weiss, kommen mit abgerundeten Kanten und einem Plastik-Gehäuse, wiegen und messen alle etwa gleich viel und sind dadurch so beliebig und austauschbar, als würden sie alle aus dem gleichen Haus stammen.
Wenn den Herstellern die Innovationen ausgehen, packen sie umso mehr Technik in ihre Produkte. Doch
Apple war und ist mit dem iPhone nicht so erfolgreich, weil das Gerät über die Anzahl Kerne und Gigahertz verkauft wird, sondern weil Apple beim iPhone-Release einen ziemlich neuartigen Ansatz verfolgte und noch immer am innovativsten scheint, wenn es darum geht, die Plattform weiterzuentwickeln (Stichworte sind hier iCloud oder Siri). Und ausserdem preist Apple vom Start weg bis heute Design, Funktionalität und Lifestyle an, aber sicher keine Technologie.
Mir passiert es immer wieder, dass ich mit Freunden und Bekannten spreche, die auf der Suche nach einem neuen Handy sind. Ein iPhone wollen sie dann oft nicht («schliesslich hat ja jeder ein iPhone»), doch abgesehen vom Apple-Telefon fällt ihnen eigentlich nichts ein. Klar, sie wissen was Android ist, doch ein konkretes Modell kommt meist niemandem in den Sinn. Genau dasselbe passiert bei Windows Phones – abgesehen davon, dass niemand Windows auch noch auf dem Telefon will (auch wenn ich dann immer sage, dass Windows Phone nichts mit Windows zu tun hat und wirklich toll ist). Doch an diesem Beispiel zeigt sich das Problem: Ausser Apple hat es kein Hersteller geschafft, sich ein einprägsames Profil zu geben, sei es durch eine aussergewöhnliche Design-Sprache, ein innovatives Produkt oder wenigstens durch geschicktes Marketing. Und so wird an der Leistungsschraube gedreht bei einem Produkt, bei dem Leistung meist nicht im Vordergrund steht – oder wie der «Spiegel» schreibt: «Quadcore-Handys sind etwa ebenso sinnvoll wie übergrosse Geländewagen in Barcelonas Altstadt.»
(mw)