Schweizer Transistorrechner für militärische und zivile Zwecke
Quelle: © Alain Herzog

Schweizer Transistorrechner für militärische und zivile Zwecke

von Herbert Bruderer, ETH Zürich, Departement Informatik

Cora 1 (1963) ist der erste in der Schweiz gebaute Transistorrechner und der erste industriell gefertigte digitale Prozessrechner der Schweiz. Die Fachwelt erfuhr erst im November 2011 von der Existenz der wieder entdeckten Maschine. Eine Spurensuche.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2012/01

     

Die Schweiz begann schon früh mit der Entwicklung programmgesteuerter Rechenmaschinen. Von 1953 bis 1956 erstellte die ETH Zürich den Röhrenrechner ERMETH (elektronische Rechenmaschine der ETH). Dieser erste in der Schweiz gefertigte Computer stand von 1956 bis 1963 an der ETH in Betrieb. Der erste in der Schweiz hergestellte Transistorrechner, die Cora 1, entstand bei der Zürcher Firma Contraves, 1963 war sie fertig. Bis November 2011 wusste selbst die Fachwelt nichts von dieser Maschine, sie wurde in Lausanne wieder entdeckt.

Die im Bereich Fliegerabwehr tätige Zürcher Firma Contraves (lateinisch für «gegen Vögel») hatte für ihre Anwendungen ursprünglich Analogrechner eingesetzt. Weil sie langsam und ungenau waren, entwickelte das Unternehmen in den 1960er Jahren einen Digitalrechner namens Cora 1 (Contraves-Rechenanlage). Mit diesem Gerät sollte der grundsätzliche Beweis erbracht werden, dass eine Echtzeitsteuerung eines Feuerleitsystems mit Hilfe eines Digitalrechners möglich ist. Die wichtigste kommerzielle Anwendung war der Einsatz als Steuerelement für hochpräzise Zeichentische. Damit konnte auch nachgewiesen werden, dass Kurven höherer Ordnung (Ballistik, Lehre von den Flugbahnen geschossener Körper) in Echtzeit berechnet und dementsprechend gezeichnet werden konnten. Für die Nutzung in Feuerleitsystemen war sie zu schwer.


Der in Herrliberg ZH wohnhafte ungarische Ingenieur Peter Toth hatte die Maschine ab 1957 im Auftrag des damaligen technischen Direktors der Contraves, Max Lattmann, entwickelt. Die Transistorschaltungen waren so ausgelegt, dass sie grosse Temperaturschwankungen aushalten konnten. Die Maschine hatte einen Kernspeicher. Für die Ein- und Ausgabe von Daten wurden Lochkarten und Lochbänder verwendet. Von Cora 1 wurden etwa 60 Stück hergestellt.


Cora 1 steuerte einen hoch präzisen Zeichentisch

Die Cora 1 steuerte einen Zeichentisch. Contraves hatte einen Koordinatographen von dem 1859 gegründeten Berner Unternehmen Haag-Streit (heute in Köniz) übernommen und zum Coragraphen weiter entwickelt. Die in Assembler programmierte Anlage wurde beispielsweise im österreichischen Vermessungswesen und im Schiffsbau (Howaldtswerke-Deutsche Werft, Kiel, Steuerung einer Brennschneidemaschine) eingesetzt.


Auch die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Lausanne kaufte eine solche Anlage für kartografische Arbeiten. Zu den Hauptarbeitsgebieten von Walter Karl Bachmann (Lehrstuhl für Geodäsie und Fotogrammetrie der ETH Lausanne) gehörte die «Einführung der elektronischen Rechner und automatischen Zeichentische in Katasterwesen, Strassenplanung und Fotogrammetrie». Später geriet die Cora in Vergessenheit.

Cora 2 für Skyguard, Seaguard und Fieldguard

Der Schweizer Ingenieur Peter Blum aus Oberhasli ZH leitete ab 1966 die Entwicklung der Cora 2. Sie wurde für Skyguard (allwettertaugliches, mobiles Feuerleitsystem für Tiefflieger- und Flugkörperabwehr) gefertigt, sie war schneller und deutlich kleiner als ihre Vorgängerin. Die Maschine war voll militärtauglich und liess sich auch im Feld nutzen. Sie hatte integrierte DTL-Schaltkreise (Dioden-Transistor-Logik), einen Kernspeicher und einen Lochstreifenleser für die Programmeingabe. Von diesem um 1970 fertig gestellten Militärrechner wurden mehrere Hundert Stück hergestellt und als Teil von Feuerleitsystemen weltweit an die verschiedensten Streitkräfte, so auch an die österreichische und die Schweizer Armee geliefert. Vorgabe ist dabei, dass Ersatzteile noch jahrzehntelang verfügbar sein müssen. Der Rechner Cora 2MB wird heute noch weltweit in sehr vielen Skyguards eingesetzt.


Die in der Programmiersprache Ada programmierte Cora 2 war auch Bestandteil von Seaguard (System für den Schutz von Kriegsschiffen gegen Lenkwaffen). Dazu wurden etwa acht Parallelrechner verwendet. Ein Kunde war z.B. die Hamburger Werft Blohm + Voss (heute Thyssen-Krupp Marine Systems). Der frei programmierbare Echtzeitrechner Cora 2 wurde auch für das Leitsystem Fieldguard verwendet.

Verkehrsbetriebe Zürich nutzten die Cora 2 für die Steuerung des Funkverkehrs

Die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) nutzten eine Cora 2 für die Steuerung der Funkverbindungen (UKW-Funkgeräte in den Fahrzeugen, die durch ihre Fahrgestellnummer erkannt wurden). Zuvor hatte Ambros Speiser, einer der Erbauer des Röhrenrechners ERMETH, im Auftrag der VBZ die Contraves besucht, um eine geeignete Lösung zu finden. Die zivile Ausgabe der Cora 2 fand aber zu keinem Zeitpunkt den Weg zu einer zivilen Kundschaft, der Rechner war schlicht und einfach zu teuer. Der Coragraph 2 wurde später an ein im Raum Zürich ansässiges Unternehmen verkauft.

Wer war an Cora beteiligt?

Peter Toth leitete, wie er in einem Gespräch an der ETH Zürich am 17. November 2011 erzählte, bei der Contraves, die später nach Zürich Oerlikon umsiedelte, seit 1957 die Abteilung ETC (Entwicklung, Technologie, Computer), die am Schluss 32 Ingenieure beschäftigte. Darunter waren u.a. Theodor Angehrn (Schaffhausen, Berechnung von Schaltkreisen), Arthur Sturzenegger (†, Entwicklung des Kernspeichers), Hans-Peter Girsberger (Regensdorf, Elektronik für Ein- und Ausgabegeräte), Peter Blum (Oberhasli, Toths Stellvertreter und Nachfolger für die Cora 2), Katharina Tomica (Steinmaur, Programmierung) und Hans Thomale (Hägendorf, Leiter Programmierung). Ein Telefongespräch mit Peter Blum fand am 19. November 2011 statt.

Cora 1 in Lausanne ausgestellt


Das Bolo-Museum der ETH Lausanne hat bei der Eröffnung seiner neuen Ausstellung «Disparition programmée» am 9. November 2011 den wieder entdeckten Transistorrechner Cora 1 enthüllt. Ob noch weitere Exemplare der Cora 1 überlebt haben, ist unbekannt. Eine weitere Cora 1 wurde 1964 an der Schweizerischen Landesausstellung (Expo) in Lausanne vorgestellt. Sie steuerte, hinter einer Mauer versteckt, einen Coragraphen. Ein Meilenstein war die Nutzung des Coragraphen für gedruckte Leiterplatten (Schaltungsplatinen) mit bis zu 16 Schichten.


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