Meierhans meint: Es braucht mehr als einen guten Lohn

von Daniel Meierhans

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2011/11

     

ICT-Nachwuchskräfte sind in der Schweiz Mangelware. Das gilt – den unter Jungen grassierenden Nerd-Brillen zum Trotz – nun schon seit einigen Jahren als gesichertes Faktum. Schuld daran seien nicht zuletzt die Lehrerinnen und Lehrer, die den Kleinen mit zu viel Weichspül-Geisteswissenschaften die harten mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer bereits in den ersten Schuljahren vergällen. Wieso trotz Mangel die Löhne der Informatiker gemäss der jährlichen Erhebung von SwissICT seit längerem stagnieren und sich für Einsteiger gar rückläufig entwickeln, bleibt in dieser Argumentation allerdings ein Geheimnis. So dramatisch kann das im regelmässigen Pingpong von Wirtschaftsfunktionärskreisen beschworene Manko offensichtlich nicht sein.

Überdurchschnittlichkeit muss Mangelware bleiben

Unbestreitbar ist, dass qualifizierte Informatiker sich heute die passende Stelle auswählen können. Wer einen fähigen Programmierer, IT-Architekten, Projektleiter oder Systemverantwortlichen gewinnen will, muss diesem etwas bieten – und das ist auch gut so. Denn, wenn überdurchschnittlich Qualifizierte Klinken putzen müssten, um Arbeit zu finden, wäre etwas faul im Staate Schweiz. Allem Jammern zum Trotz dürften sich wohl auch die Wirtschaftsfunktionäre nicht ernsthaft italienische Verhältnisse mit 25 Prozent arbeitslosen Jungen wünschen.
Unternehmen sollten sich darum zuallererst einmal darüber freuen, dass sie in einem prosperierenden Umfeld mit hohen Löhnen und entsprechend hohen Margen wirtschaften können. Und danach sollten sie sich darüber Gedanken machen, wie sie sich im Wettbewerb um fähige Informatiker möglichst gut positionieren. Dazu gehört nicht nur eine Analyse der eigenen Bedürfnisse und Möglichkeiten. Wer für junge Informatik-Cracks attraktiv sein will, muss sich auch mit den spezifischen Bedürfnissen der sogenannten Digital Natives auseinander setzen, denn deren Werdegang und Weltbild unterscheiden sich in einigen Punkten fundamental von früheren Generationen.

Imagebewusst und anerkennungshungrig

Die grundlegendste Prägung: Die Kids der Babyboomer sind praktisch alle in 1- bis maximal 2-Kinderfamilien grossgeworden und haben dabei von Geburt an sehr viel Zuwendung und Anerkennung auch für objektiv eher kleine Leistungen erhalten. Sie sind in der Folge mit einem manchmal leicht überdimensionierten Selbstbewusstsein ausgestattet und benötigen auch vom Arbeitgeber regelmässig Streicheleinheiten in Form von unmittelbarem Lob für jede Leistung.


Das Anerkennungsbedürfnis manifestiert sich auch im sehr hohen Stellenwert des Images bei Freunden und Kollegen. Es ist – verstärkt durch Social-Networking-Plattformen wie Facebook –für viele mindestens so wichtig wie der materielle Status. Übersetzt auf die Attraktivität von Arbeitgebern heisst dies, dass der Lohn zwar stimmen muss, der Coolness-Faktor des Jobs aber wesentlich wichtiger ist. Zu diesem zählt neben den persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten in der Arbeit auch die öffentliche Wahrnehmung des Unternehmens.

Kleine und dynamische Unternehmen im Vorteil

Für kleinere und mittlere Unternehmen sind diese zugegebenermassen arg vereinfachten Charakteristika der heutigen Berufseinsteiger nur von Vorteil. Während viele Grosskonzerne mit grundsätzlichen Imageproblemen zu kämpfen haben und wegen ihrer schwerfälligen Prozessstrukturen den Jungen ausser einem hohen Lohn auch kaum befriedigende Perspektiven bieten können, haben kleinere und dynamische Unternehmen mit einem persönlichen Umfeld und entsprechenden Gestaltungsmöglichkeiten die entscheidenden Trümpfe in der Hand. Spielen Sie diese aus! – Und folgen Sie besser nicht den Parolen der Wirtschaftsfunktionäre, die unter anderem die Attraktivität der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer durch hohe Studiengebühren steigern wollen. Wenn Absolventen zuerst einmal 50’000 Franken Schulden abbezahlen müssen, fallen KMU mit ihren Qualitäten nämlich zwangsläufig aus dem Bewerbungsrennen. Dann zählt nur noch der Lohn.

Daniel Meierhans

Dr. Daniel Meierhans beschäftigt sich als Technologie- und Wissenschaftsjournalist mit dem ICT-Einsatz in Unternehmen. In seiner regelmässigen Kolumne wirft er einen kritischen Blick auf die Schwerpunkt-Themen des Swiss IT Magazine.


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