«Kick-off» für neue Mitarbeitende
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/18
Was kann eine Firma tun, damit neue Mitarbeitende bereits ab ihrem ersten Arbeitstag in die bestehende Belegschaft integriert werden, möglichst viel über die Firma und ihre Ziele lernen, dafür nicht allzu viele Ressourcen besetzen und sich gleichzeitig auch noch wohl fühlen?
Was in kleinen Betrieben meist kaum ein Problem ist, kann in grösseren Unternehmen wie Swisscom Solutions durchaus einigen Aufwand machen. Noch bis vor kurzem wurden hier neue Mitarbeitende in einem regelmässig durchgeführten «Welcome Day» ins Unternehmen eingeführt, wie Iris Bühlmann, Training Consultant Human Resources, Development & Training bei Swisscom Solutions, ausführt. Dabei wurden beispielsweise das Organigramm der Firma oder die einzelnen Divisionen und deren Aufgaben erklärt, Ansprechpartner vorgestellt und auch profanere Dinge wie etwa der Weg zu Spesen- und anderen Formularen eingeführt. Angereichert wurde dieses eintägige Präsenz-Seminar durch Referate von Mitgliedern der Geschäftsleitung – alles in allem eine recht schwerfällige und didaktisch eher suboptimale Angelegenheit, wie Bühlmann erklärt. Ein modernerer Ansatz nach aktuellen lerntechnischen Grundsätzen wurde notwendig.
Es liegt auf der Hand, dass in einer Technologie-Firma wie Swisscom Solutions eine computerbasierte Lösung im Vordergrund stand – insbesondere auch, da man mit
E-Learning bereits in anderen Projekten gute Erfahrungen gemacht hatte. Vor rund drei Jahren wurde deshalb mit der Evaluation möglicher Lösungen begonnen und ein Wettbewerb ausgeschrieben, den die Balsthaler Steag & Partner AG mit ihrer Webplattform «e-tutor» für sich zu entscheiden vermochte.
Für die Steag sprach dabei sicher auch, dass e-tutor-Lösungen bei Swisscom Solutions bereits im Einsatz waren. Das neue Projekt «My First Day» konnte so einfach zusätzlich zu den bestehenden Lösungen aufgeschaltet werden. Dennoch verging laut Bühlmann noch einige Zeit, bis «My First Day» in den produktiven Betrieb ging: Insbesondere die Bereitstellung der Inhalte verursachte dabei einigen Aufwand, während die eigentliche Implementation auch dank der bei den früheren Projekten gemachten Erfahrungen schnell vor sich ging.
Bei «My First Day» wird der neue Angestellte zunächst auf einen sogenannten Lernpfad geleitet. Dabei handelt es sich um einen groben Überblick über die Kursinhalte mitsamt Anzeige, welche Sequenzen bereits bearbeitet wurden und welche Reihenfolge ungefähr einzuhalten ist. Vom Lernpfad geht’s über Links zu den eigentlichen Lehrmitteln weiter. Diese haben Steag und Swisscom Solutions bei «My First Day» in Form eines stilisierten Bürogebäudes realisiert – über den Lift kommt der Lernende in die verschiedenen Stockwerke mit den Inhalten. Dabei kann es sich um simple Textdokumente, aber auch um Bilder, Animationen oder sogar um interaktive Spiele handeln – so werden etwa die wichtigen Telefonnummern in Form eines Memory-Spiels präsentiert. Die Reihenfolge, in der die Inhalte bearbeitet werden, spielt dabei keine Rolle, eine Controlling-Funktion protokolliert aber im Hintergrund, welche Stockwerke bereits besucht wurden. Auf dem Lernpfad kommt nur weiter, wer alle Inhalte einer Lektion bearbeitet hat.
Am Schluss des Lernpfads erwartet den Lernenden eine Selbstkontrolle, ein kurzer Abschlusstest, mit dem er über Multiple-Choice- und Dialogfragen selber herausfinden kann, wie fit er in Sachen Unternehmenskunde bereits ist und wo noch Defizite vorhanden sind.
Für Swisscom Solutions bietet das Projekt «My First Day» verschiedene Vorteile. Die neuen Angestellten können sich dank der Lösung bereits am ersten Arbeitstag spielerisch mit dem Unternehmen beschäftigen und erhalten Einblicke, die sonst erst im Lauf der Zeit gesammelt würden. Sie können sich jederzeit und von jedem beliebigen Ort ins System einloggen und ihr Wissen ergänzen, eine aufwendige Seminarorganisation entfällt zu einem grossen Teil. Und nicht zuletzt verfügen die neuen Mitarbeitenden an der noch immer durchgeführten Präsenzveranstaltung dank dem vorgängigen E-Training mit Abschlusstest über einen ausgeglichenen Wissenslevel.
Der Charakter des Präsenzseminars hat sich denn auch grundlegend gewandelt: Wurden die Firmenneulinge früher mit Informationen überflutet, geht es heute hauptsächlich um die Vertiefung der Infos und um die Beantwortung noch offener Fragen. Diese können darauf im Sinne eines permanenten Aufbaus und im Rahmen der Qualitätskontrolle wieder ins E-Learning-System aufgenommen werden.
Weshalb aber wird auf die Präsenzveranstaltung nicht komplett verzichtet? Laut Iris Bühlmann hat das einen einfachen Grund: Sie sieht das «E» beim Learning keineswegs als Ersatz für andere Lernmethoden, sondern als hervorragende Ergänzung etwa für repetitive Aufgabenstellungen, für einzelne Sequenzen oder für die Überprüfung des Gelernten. Da aber Lernen immer auch aus einer starken sozialen Komponente bestehe, könne das isolierte Lernen des Einzelnen vor dem PC als einzige Lernmethode kaum zum gewünschten Erfolg führen. Das Seminar im Plenum sei deshalb ein sehr wichtiger Teil des gesamten Lernsystems, das unter dem Stichwort «Blended Learning» genau diese Vermischung verschiedener Lernansätze vorsieht.
Generell hängt für Bühlmann der Nutzen von E-Learning-Lösungen von deren Aufbereitung ab. Einige Powerpoint-Folien, vielleicht noch mit Zusatzinformationen versehen oder mit dem O-Ton eines Referats untermalt, hätten die Bezeichnung «E-Learning» kaum verdient, sagt sie. Das Team Development von Swisscom Solutions setzt im Projekt «My First Day» deshalb auf Interaktivität sowohl hinsichtlich der Inhalte als auch bei der Bedienung sowie auf optische Reize, die nicht nur die Motivation hoch halten, sondern auch den Lerneffekt unterstützen.
Einen Zwang, die Schulung in «My First Day» durchzuarbeiten, gibt es für neue Mitarbeitende von Swisscom Solutions nicht, erklärt Iris Bühlmann, das wäre nach modernen erwachsenenbildnerischen Erkenntnissen auch der falsche Ansatz. Ein gewisser Druck ist allerdings bestimmt vorhanden, schon nur, weil das E-Learning-Angebot bereits in der Willkommens-Mail prominent angekündigt wird. Ausserdem bietet die e-tutor-Lösung laut Bühlmann hervorragende Reporting- und Controlling-Möglichkeiten, die es den Vorgesetzten erlauben, den aktuellen Lernstand seiner Teammitglieder zu überprüfen und sie sanft auf mögliche Defizite hinzuweisen.
Allem Controlling zum Trotz ist es allerdings schwierig, einen konkreten Return-on-Investment (ROI) zu beziffern, wie Bühlmann unumwunden zugibt: Die Angestellten benötigen immer noch einige Zeit, um sich durch den Lernstoff zu arbeiten, und am Präsenzseminar werden immer noch auch Mitglieder der Geschäftsleitung absorbiert.
Dennoch zahlt sich das System aus, erklärt Bühlmann, und zwar, indem hochbezahlte langjährige Angestellte im Alltag nur noch selten für die Vermittlung lapidaren Grundwissens bereitstehen müssen und sie ihre Zeit statt dessen produktiv nutzen können. Ausserdem lasse sich auch die Zeit am Präsenzseminar qualitativ wesentlich besser nutzen, seit die Teilnehmer über ein umfassenderes und einheitlicheres Vorwissen verfügen.
Grundsätzlich, so Iris Bühlmann abschliessend, hat Swisscom Solutions mit ihren bisherigen
E-Learning-Projekten wie «My First Day» sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Akzeptanz und die Nutzung bei den Anwendern sei hoch und das Feedback entsprechend gut. Allerdings ist sie der Meinung, dass Swisscom Solutions mit den bisherigen Projekten erst ganz am Anfang einer neuen Lern-Ära stünden. Ziel sei ganz klar, weitere E-Learning-Projekte anzustossen – anders seien die gegensätzlichen Faktoren Wissensflut und Zeitmangel gar nicht mehr unter einen Hut zu bringen.