E-Commerce bei Kaba: Verzweigte Struktur, zentrale Store-Plattform
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/15
Der Kunde sei König - das behaupten die IT-Anbieter spätestens, seit sich ihre Lösungen nicht mehr von selbst verkaufen. Hansjörg Naef, CIO der Kaba-Gruppe, weiss anderes zu berichten: Bei der Evaluation einer unternehmensweit einheitlichen E-Commerce-Lösung gingen die meisten Offerten in wesentlichen Punkten nicht auf die klar formulierten Anforderungen ein.
Die Kaba-Gruppe arbeitet nach einem mehrstufigen Business-Modell. Rund ein Dutzend Produktionsbetriebe, firmenintern Base Production Companies (BPC) genannt, liefern ihre Güter an die Landesvertretungen (Regional Marketing Organisations, RMO). Diese wählen die passenden Produkte für den jeweiligen Markt aus, fügen allenfalls eigene Entwicklungen und landesspezifisch zugekaufte Produkte hinzu und offerieren die Palette den lokalen Wiederverkäufern. Mit einigen Grosskunden arbeiten die RMO auch direkt zusammen.
Jede BPC betreibt ihr eigenes ERP-System. Die meisten Standorte arbeiten mit SAP, einige haben Navision oder weitere ERP-Lösungen installiert.
Die E-Commerce-Lösung, die man 2001 am Rümlanger Kaba-Hauptsitz als unternehmensweiten Standard plante, sollte an dieser verteilten IT-Architektur mit unabhängigen ERP-Systemen nichts ändern: Der Online-Shop, über den die Wiederverkäufer künftig die Kaba-Produkte ordern, hat sich der bestehenden Infrastruktur anzupassen, nicht umgekehrt.
CIO Naef sieht die Eigenständigkeit der Produktionsfirmen als wesentlichen Erfolgsfaktor für Kaba: "Die technische Verantwortung für die Produktgruppen liegt dort, wo auch produziert wird. Das fördert die Entwicklung. Wer so ein Business-Modell fährt, braucht eine IT-Lösung, wie sie unser Konzept verlangte."
Trotz individueller ERP-Systeme kam eine Lösung mit verschiedenen Shop-Systemen nicht in Frage: die gesamte Produktepalette sollte auf einer zentralen Plattform zusammengefasst sein. Naef: "Die Grundvision war eine Store-Lösung, die mehrere unserer Firmen vereint und so Geschlossenheit auch nach aussen zeigt."
Dennoch muss der Kaba-Store flexibel auf lokale Gegebenheiten reagieren: "Ein Produktionsbetrieb liefert pro regionaler Marketingorganisation vorbestimmte Mengen ausgewählter Produkte, und für jeden Wiederverkäufer kann das Angebot zusätzlich eingeschränkt werden - der herkömmliche Eisenwarenhändler verkauft unsere Schliessanlagen, ist aber nicht unbedingt die erste Adresse für die Schiebetüren von Kaba-Gilgen."
Das E-Commerce-Modell der Kaba-Gruppe
Mit mehreren bestehenden SAP-Systemen war es natürlich naheliegend, dass die Anfrage für eine E-Commerce-Lösung auch nach Waldorf ging. Die Anwort überzeugte das Evaluationskommittee bei Kaba laut Projektleiter Sauter allerdings nicht. "SAP hat uns eine Lösung angeboten, die nicht unseren Anforderungen entsprach. Statt einer Integration über mehrere Firmen hätte es pro SAP-System einen eigenen Shop gegeben; eine Integration mit SAP-fremden ERP-Installationen war überhaupt nicht vorgesehen. Das Grundproblem ist offensichtlich: SAP ist auf unsere Wünsche gar nicht erst eingegangen."
Naef doppelt nach: "Die SAP-Philosophie strebt als erstes eine Konsolidierung der ERP-Syteme an. Wir hingegen wollten auf Basis der bestehenden Lösungen auf der E-Commerce-Ebene konsolidieren - das ist ein anderer Ansatz, der mir sowieso moderner scheint als eine gigantische Zentralisierung."
Auch Big Blue, in der Kaba-Landschaft ebenfalls schon vertreten, scheiterte punkto E-Commerce. Sauter: "IBM hätte zwar Lösungen auf Websphere-Basis, die unserem Konzept entsprechen. Was man uns aber offerierte, war vollständig in Lotus Notes/Domino gehalten und hätte keinerlei Integration geboten. Ausserdem scheint uns Notes/Domino nicht adäquat für Lösungen dieser Art. Die IBM-Offerte war wirklich unverständlich."
Ein drittes Angebot vom deutschen E-Commerce-Integrator Mercatis hätte zwar dem Kaba-Konzept entsprochen - aber der Hersteller konnte Support und Service nur im deutschen Sprachraum garantieren. "Für den Schweizer Markt allein hätte diese Lösung genügt. Das typische an unserer Anforderung war ja aber gerade eine Internet-basierte, globale Struktur mit einer n:n-Abbildung von Standorten und Märkten." Auch die Mercatis-Lösung kam also nicht in Frage: Für einen Global Player wie Kaba ist weltweiter Support ein Must.
Die SAP-Systeme bei Kaba laufen mit der Oracle-Datenbank im Hintergrund, und so wurde auch Oracle über die E-Commerce-Absichten informiert. Der zuständige Verkäufer reagierte prompt und organisierte, als erste Stufe eines längeren Überzeugungsmarathons, im Frühsommer 2001 ein Meeting mit den Kaba-Verantwortlichen, an dem er den Oracle iStore vorstellte. Dabei spielte der Business-Flow "Click to Order" eine wichtige Rolle. Ein "Oracle Business Flow" ist eine standardisierte Vorgehensweise mit dem Ziel, die wichtigsten Funktionen eines Geschäftsprozesses möglichst rasch umzusetzen.
Als nächstes folgte ein Workshop, an dem ein Experte von Oracle Consulting das gesamte Kaba-Projektteam im Detail über die iStore-Features und insbesondere über die SAP-Integration informierte. Diesem achtköpfigen Team gehörten auch Vertreter aus Sales und Marketing an.
Die definitive Offerte reichte Oracle dann im November 2001 ein; nach der Revision einiger Details genehmigte die Kaba-Geschäftsleitung das Projekt Mitte Januar 2002.
Projektleiter Sauter fasst seinen Eindruck vom Vorgehen der Oracle-Mannschaft so zusammen: "Uns hat die ganze Oracle-Aktion beeindruckt. Im Gegensatz zu den Mitbewerbern hat sich Oracle intensiv bemüht, unsere Probleme zu verstehen und konnte binnen einer Woche einen Lösungsweg aufzeigen. Das war in der ganzen Evaluation einmalig - im allgemeinen sind die Berater heute so auf eine bestimmte Handlungsweise eingeschossen, dass sie davon nicht abweichen können. In diesem Fall kam es dagegen bei Differenzen zwischen Angebot und Anforderung jeweils schnell zu einem Kompromiss."
Auch Hansjörg Naef ist von den Leistungen des Oracle-Teams überzeugt, relativiert das Lob aber ein wenig: "Es lässt sich schwer feststellen, inwieweit der Cocktail der Mitarbeiter auf unserer und auf Oracle-Seite für den Erfolg verantwortlich war und vieviel wirklich Standard beim Hersteller ist."
Im Frühjahr 2002 ging es dann Schlag auf Schlag: Die Projekt-Roadmap verzeichnet den Kick-Off am 18. März, die Installation von iStore und Application Server bis April, die Anpassung auf die Gegebenheiten bei Kaba bis Juni. Dann kam eine problematische Phase: "Wir haben mitten im laufenden Projekt die Anforderungen geändert - Preislisten sollten entgegen der ursprünglichen Idee nun in der iStore-Software automatisch aus den SAP-Daten erstellt werden." Das hat, so Sauter weiter, zu Verzögerungen aufgrund zusätzlicher Entwicklungsarbeit geführt.
Ebenso hinderlich war, dass "ein iStore-Release installiert wurde, der in für unser Projekt wichtigen Punkten nicht funktionsfähig war. Das hat zunächst ziemliche Probleme verursacht, die wir dann aber durch Patches und in enger Zusammenarbeit mit Oracle-Leuten von den USA bis Indien in den Griff bekamen."
Insgesamt, so Sauter und Naef, sei das Projekt zur allgemeinen Zufriedenheit und praktisch im Zeitplan abgelaufen: Nach Tests von Frontend und SAP-Interface im Oktober und November ging Ende 2002 eine Pilotinstallation ans Netz; seit Januar 2003 werden die BPC, RMO und Wiederverkäufer Schritt für Schritt ans neue Store-System angeschlossen.
Die Gesamtkosten für das iStore-Projekt betragen 400'000 Euro. Der Betrag liegt am oberen Ende des vorgesehenen Budgets. Kaba hat aber, so Naef, auf Reserve geplant: "Da die Store-Lösung künftig als unternehmensweiter Standard gelten soll, mussten schon im Konzept Firmen berücksichtigt werden, die im Moment noch gar nicht im Boot sitzen. Die aktuell beteiligten Betriebe haben deshalb die gesamte finanzielle Last übernommen und verkaufen die Lösung nun intern an diejenigen weiter, die erst später angeschlossen werden."
Die Kaba-Gruppe mit Holding-Sitz in Rümlang zählt zu den drei weltgrössten Herstellern von Sicherheitssytemen. Der Konzern besteht aus rund einem Dutzend Produktionsbetrieben und zahlreichen Vertriebsgesellschaften auf der ganzen Welt. Die Eckdaten 2001: 700 Millionen Dollar Umsatz, 6800 Mitarbeiter.
Die Palette reicht von Schliesssystemen über Kassenschränke bis zu automatischen Schiebetüranlagen. Die enorme Zahl von Produkten - allein ein Werk in Italien produziert Zehntausende verschiedener Schlüssel-Rohlinge - stellt zusammen mit der Präsenz in 50 Ländern und unterschiedlichem Sortiment pro Wiederverkäufer hohe Anforderungen an die globale E-Commerce-Lösung.
Jeder Produktionsbetrieb (BPC) der Kaba-Gruppe arbeitet mit seinem eigenen ERP-System. Meist handelt es sich um SAP-Installationen; in einigen Betrieben sind weitere Lösungen wie Navision installiert. An dieser betriebsindividuellen ERP-Landschaft sollte auch die zentrale E-Commerce-Plattform nichts ändern.
Das E-Business-System basiert auf iStore, einem Teil der E-Business-Suite von Oracle, die ihrerseits den Oracle-9iApplication-Server zur Grundlage hat. Der Store läuft auf einem zentralen Server und wird für bessere Verfügbarkeit und Datensicherheit auf einem zweiten System repliziert.
Als Schnittstelle zu den ERP-Systemen kommt der Interconnect SAP Adapter zum Einsatz, der eine nicht-invasive Verbindung zwischen dem SAP-System und dem Oracle-Appserver schafft: Er kommuniziert ganz im SAP-Stil via RFC-Protokoll, BAPI-Interface und ALE-Zugriffsmethoden und ermöglicht damit bidirektionalen Informationsaustausch ohne SAP-seitige Umprogrammierung. iStore ermöglicht ausserdem die für Kaba wichtige individuelle Aufbereitung des Verkaufsprogramms sowie dessen Ergänzung durch die Distributoren (RMO) - so erhält jeder Kunde des Systems, im allgemeinen ein Kaba-Wiederverkäufer, einen massgeschneiderten Online-Store.