Aufschwung ist...
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/35
Zugegeben, sie ist ziemlich dümmlich. Ich meine die derzeit laufende Volksmotivationskampagne, die uns in Form etwas angestaubt wirkender "Liebe ist..."-Zeichnungen von Plakatwänden entgegenlächelt. Mit Plakaten allein lässt sich ein Aufschwung gleich welcher Art wohl kaum herbeireden. Ausserdem entspricht die Gestaltung der Poster nicht gerade dem neuesten Stand der Grafik; trendy ist sie schon gar nicht.
Für die gut gemeinte, aber etwas misslungene Aktion zeichnet übrigens ein "Komitee für den Aufschwung" verantwortlich (www.aufschwung-ist.ch), das vom Direktor des Hotels Waldhaus am See, St. Moritz, und dem CEO von McDonalds über diverse mehr oder weniger bekannte PolitikerInnen - vornehmlich aus dem bürgerlichen Lager - bis zum Volksmusikstar Maya Brunner ("Sängerin und Schauspielerin") so manche illustre Schweizer Persönlichkeit zu seinen Mitgliedern zählt.
Trotz antiquiertem Daherkommen ist der Aufschwung-Ist-Kampagne eines zugute zu halten: Endlich einmal eine Stimme aus der Wirtschaft, die dem sonst üblichen Gejammer über schlechte Rahmenbedingungen und miesen Geschäftsgang eine positive Stimme entgegenstellt. So schlecht kann es einer Wirtschaft ja gar nicht gehen, die Missmanagement mit millionenschweren Abfindungen belohnt und Kaderlöhne alljährlich etwa gleichermassen steigen lässt, wie sich fürs gemeine Volk die Krankenkassenprämien erhöhen.
Es ist ganz klar, dass es - um beim Generalthema dieser Publikation zu bleiben - zum Beispiel der IT-Industrie nicht mehr so gut geht wie auch schon. Ich erinnere mich gerne an die goldenen Zeiten, in denen man auch als einfacher Product Manager etliche Male pro Jahr in der Businessklasse über den grossen Teich fliegen durfte und vom Chef anlässlich der Swissdata (so hiess früher einmal die Orbit) ins Restaurant Bruderholz eingeladen wurde (vulgo als "Stucki" bekannt). Heute kommt so etwas kaum mehr vor - und dies nicht bloss, weil Stucki himself in der Zwischenzeit verstorben ist.
Heute nämlich sind die Margen knapp, produziert wird "just-in-time", und es herrscht in der IT ein ebenso gnadenloser Preiskampf wie bei den Airlines.
Dafür kann sich dank ebenso knapper Preise jedermann sowohl einen PC als auch Ferien auf den Seychellen leisten, und dort darf auch das Handy nicht fehlen. Die Mobiltelefonbauer sind denn auch ein exemplarisches Beispiel dafür, was in der Hitze des wirtschaftlichen Gefechts schief laufen kann: Das Geschäft läuft langsam an (Natel-C-Zeiten) und explodiert dann plötzlich (GSM-Ära). Die Hersteller expandieren ebenso explosionsartig, produzieren wie wild und vergessen im Rausch der exorbitanten Quartalsgewinne offenbar völlig, dass jeder Markt irgendwann einmal gesättigt ist, zumal IT- und Telekommunikationsprodukte trotz galoppierend fortschreitender Taktfrequenzen und Speicherkapazitäten nicht wie Obst und Gemüse täglich verbraucht und neu angeschafft werden müssen.
Kein Wunder also, dass der Branchenprimus Nokia schwächelt, das Handy-Konglomerat von Sony und Ericsson nicht so richtig zum Fliegen kommt und die soliden Deutschen von Siemens mobiltelefonseitig mit den ebenso soliden Amerikanern von Motorola zusammengehen wollen. Allenthalben wird redimensioniert, leider verbunden mit Stellenabbau und Entlassungen - aber es handelt sich dabei wohl in erster Linie um die Stellen, die überhaupt erst im Taumel der Expansion neu geschaffen worden waren. Schliesslich haben wir zwei Jahrzehnte ungebremsten IT-Wachstums hinter uns - die gegenwärtige Schwäche ist keine Schwindsucht, sondern bloss die Rückkehr zu einem halbwegs normalen Zustand. Merke, auch im KMU: Zu rasch expandieren heisst später kapitulieren.
Dass die IT-Industrie nach erfolgter Gesundschrumpfung durchaus frohgemut in die Zukunft blicken kann, zeigen verschiedene Meldungen, die uns in letzter Zeit erreicht haben.
So haben gemäss dem deutschen Multimedia-Verband die mit Online-Werbung erzielten Umsätze schon im ersten Halbjahr 2002 um über fünf Prozent zugenommen, und der Online-Anteil am Gesamtwerbekuchen soll bis 2005 von 1,5 auf 5 Prozent steigen - Fazit: "Talsohle überwunden."
Gute Aussichten für den Softwaremarkt vermeldet IDC: Er soll im nächsten Jahr weltweit um vier Prozent wachsen, eine deutliche Zunahmen gegenüber den anderthalb Prozent in diesem Jahr. Am stärksten zulegen soll dabei mit jährlich 11,5 Prozent bis 2006 das Segment der Applikationsentwicklungen.
Auch vom Halbleitermarkt hört man Angenehmes. Die Semiconductor Industrie Association wertet die Zunahme von 14,5 Prozent, gemessen im August im Vergleich zum Vorjahr, als Zeichen für die - wenn auch gemächliche - Erholung der Chip-Verkäufe und prognostiziert für die nächsten paar Jahre gar ein Wachstum von jeweils über zwanzig Prozent. Wenn das mal keine guten Aussichten sind!