Umfassende Informationsversorgung fürs Zürcher Kantonsparlament

Eigentlich sollte nur der Webauftritt renoviert werden – statt dessen erhielt das Parlament des Kantons Zürich ein umfassendes Informationssystem auf zukunftssicherer technischer Basis.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/20

     

Ende 2000 schrieben die Parlamentsdienste des Kantons Zürich, zuständig für die Informationsverteilung und die Geschäftskontrolle im Kantonsrat, die bisherige Parlaments-Website zum Redesign aus. Die Site bestand seit 1996 und war der erste und umfangreichste Internetauftritt eines Schweizer Kantonsparlaments. Nach über vier Jahren zeigte sich vor allem das visuelle Kleid ziemlich veraltet: Die Seiten waren in der ersten Fassung im textlastigen Internet-Urzeitstil mit hellblauem Hintergrund und dunkelblauen Links in Standardschrift gehalten.


Information Top, Handling Flop

Der Informationsgehalt der Zürcher Parlaments-Website war von Anfang an erstklassig: Sämtliche Geschäfte wie Interpellationen, Anfragen und sogar Einzelinitiativen von Bürgerseite sowie die Protokolle der Ratssitzungen standen im Originaltext zur Verfügung, dazu kamen umfassende Informationen über die Parlamentsmitglieder und ihre Zugehörigkeit zu den verschiedenen Kommissionen. Die Nachführung all dieser Informationen beanspruchte die Mitarbeiter der Parlamentsdienste (PD) jedoch stark: Das Update brachte jede Woche ganze anderthalb Tage Aufwand mit sich.



Der Grund für den riesigen Aufwand: Alle Dokumente mussten quasi von Hand aus der Datenbank der Geschäftskontrolle (Geko) auf den Webserver übernommen werden - der Prozess war nur ansatzweise durch einige Scripts automatisiert, die aus der Küche des VBZ-Informatikprojektleiters und heutigen Kantonsratspräsidenten Thomas Dähler stammten.




Schon in der Offertphase erkannte deshalb das Team des in Thalwil beheimateten E-Business-Lösungsanbieters 1eEurope - der daraufhin auch den Zuschlag erhielt: Ein blosses Redesign würde den Anforderungen kaum genügen. Ueli Sonderegger, mit Kantonsrätin und 1eEurope-Mitarbeiterin Claudia Balocco zusammen Co-Projektleiter, formuliert es so: "Nicht nur die Fassade musste renoviert, sondern vor allem auch dahinter aufgeräumt werden. Dieses Vorgehen bot gleichzeitig die Chance, das historisch gewachsene IT-System von Parlamentsdiensten und Geschäftskontrolle auf ein architektonisch solides Fundament zu stellen."



Als besonderes Hindernis erwies sich die bestehende Geko-Datenbank, in der die Informationen zu den einzelnen Geschäften gespeichert waren - die Geschäftstexte selbst lagen als Word- oder PDF-Files auf einem Netzlaufwerk: Diese Datenbank war irgendwann entstanden, im Lauf der Zeit gewachsen und überhaupt nicht dokumentiert. Sonderegger: "Es war das nackte Chaos, aber wir haben es nach aufwendigen Analysen der vorhandenen Datensätze geschafft, das zusammenzubringen, was wir brauchten."



Gerade auch damit solche Arbeiten in Zukunft nicht mehr nötig sind, muss nicht nur das Webdesign, sondern das IT-Gesamtkonzept stimmen. "So ein IT-System lebt realistischerweise vier bis fünf Jahre und wird dann in irgendeiner Form weiterentwickelt oder abgelöst. Damit das schmerzfrei vor sich geht, muss die Basis klar definiert und dokumentiert sein."




Umfassende Lösung für Geschäftskontrolle, Intranet und Internet

Die Vision, die 1eEurope zusammen mit dem Kunden erarbeitete: Informationen aus dem Parlament, die ja der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen sollten, sind übers Internet al


Diese Vision lässt sich nur realisieren, wenn anstelle von Insellösungen, die dann irgendwie über Schnittstellen verbunden werden, eine gemeinsame Basis für den Informationszugang via Intranet und Internet tritt, die auch die Verwaltung der Dokumente und Meta-Informationen der Geschäftskontrolle einschliesst. "Unter einem umfassenden Ratsinformationssystem verstehen wir nicht einfach einen Webauftritt, wie ihn andere Parlamente pflegen - schliesslich bezeichnet man auch nicht jedes kleine Firmennetz als E-Business-Lösung", merkt Sonderegger dazu an.





Sieg für SharePoint im Clinch gegen Notes

1eEurope präsentierte den Verantwortlichen der Parlamentsdienste verschiedene Lösungsvorschläge. Schliesslich lief es auf den Entscheid zwischen einer Lösung auf Lotus-Notes/Domino-Basis und einer Implementation auf der Microsoft-Plattform mit SharePoint Portal Server und SQL Server hinaus. Sowohl aus technischen Gründen als auch aufgrund der bestehenden Umgebung entschied man sich für die Microsoft-basierte Lösung.



"Wir sind der Meinung, dass Lotus Notes eine auslaufende Technologie ist, und inzwischen hat uns die Geschichte recht gegeben: IBM hat kürzlich angekündigt, Notes in der bestehenden Form nicht weiterzuentwickeln, sondern eine neue, Java-basierte Architektur voranzutreiben. Bei Notes, ohnehin ein Exot in der IBM-Welt, machen wir deshalb ein grösseres Fragezeichen als bei den Microsoft-Technologien, die zudem von der Aufgabenstellung her prinzipiell besser geeignet sind: Die relationale Technologie des SQL-Servers ist eine gute Grundlage für die Verwaltung der Meta-Informationen zu den Geschäften. Man kann zwar auch einen Notes/Domino-Server einsetzen, aber technologisch ist eine relationale Datenbank gefragt. Ausserdem setzen wir auf offene Schnittstellen und konsequent auf Standards, Standards, Standards", kommentiert Ueli Sonderegger die Empfehlung von 1eEurope, auf die MS-Schiene und XML-Datentransfer zu setzen.




Ein ausgewachsenes Dokumentenmanagementsystem kam laut Ueli Sonderegger ohnehin überhaupt nie in Frage. Auch von Kundenseite her sprach vieles für die SharePoint/SQL-Server-Lösung: Die Parlamentsdienste arbeiteten bereits mit Microsoft-Produkten (Office, Messaging). Benutzer wie Systemverantwortliche kannten die Microsoft-Welt bereits, so dass für das neue System wenig Schulung nötig war.



Die enge Integration der SharePoint-Funktionen ins Betriebssystem kommt der Benutzerfreundlichkeit zusätzlich entgegen. So stehen die Dokumentenverwaltungs-Features zum Beispiel in den Office-Applikationen und im Windows-Explorer direkt zur Verfügung - Sichern unter... genügt, um ein Dokument korrekt auf dem SharePoint-Server zu plazieren.



Was für Notes gesprochen hätte, letzten Endes aber doch nicht den Ausschlag gab: Ein guter Teil der Verwaltung arbeitet mit Lotus Notes, das vor einigen Jahren durch einen Regierungsratsentscheid zur strategischen E-Mail-Plattform erklärt wurde. Die Parlamentsdienste sind jedoch von der Verwaltung unabhängig und betreiben ihre eigene IT-Infrastruktur: In der realisierten Lösung erfolgt der Austausch der Geschäftsinformationen nun halbautomatisch über eine Schnittstelle, da ohnehin manuell zusätzliche, auf seiten der Parlamentsdienste nicht erfasste Informationen hinzugefügt werden müssen. Sonderegger: "Mit der neuen Lösung muss man immerhin nicht mehr mit einer Diskette hin- und herlaufen."




Projekt in 12 Monaten umgesetzt

"Die IT-Einkäufer der Behörden sind eher konservativ", merkt Projektleiter Sonderegger zur Historie des Projekts an. Umso erfreulicher ist für ihn, dass sich der Kantonsrat für eine sehr fortschrittliche Lösung entschieden hat: Das Ratsinformationssystem ist das erste grössere Projekt mit dem SharePoint Server in der Schweiz; dazu kommt die Verbindung mit SQL Server - auch für Microsoft selbst eine interessante Anwendung, die 1eEurope prompt am MS-Stand der letzten Internet Expo präsentieren durfte.



Nach der Ausschreibung des Projekts Anfang November 2000 erstellte 1eEurope zunächst eine Vorstudie, in der die bisherige Geschäftskontroll-Applikation mit den tatsächlichen Bedürfnissen verglichen und die zukünftige Entwicklung aufgezeigt wurde. Im April 2001 erhielt das Unternehmen den definitiven Zuschlag für das ambitiöse Projekt; im Mai startete man mit der Arbeit.




Nach einem ersten Prototyp, der einer Pilotgruppe von Benutzern Anfang September präsentiert werden konnte, erfolgten weitere Verbesserungen, Tests und Korrekturen. Zwischen Februar und April 2002 wurde das System dann mit der Abraxas Informatik AG als Hosting-Partner modulweise in Betrieb genommen; die Abnahme des Gesamtsystems, dessen öffentlicher Teil unter www.kantonsrat.zh.ch erreichbar ist, erfolgte am dritten Mai.




Zukunftssicheres 3-Tier-Softwaremodell

Die Gesamtlösung, die den Intranet- und Internetzugang zu den Informationen sowie die Verwaltung der Dokumente der Geschäftskontrolle umfasst, wurde konsequent in einem dreischichtigen Softwaremodell umgesetzt: Die Datenhaltung der Meta-Informationen im SQL Server (Data-Layer), die in Form von COM-Objekten implementierte Business-Logik (Business-Layer) und die Client-Seite (User-Layer) sind strikt getrennt; die Kommunikation zwischen Business- und User-Layer erfolgt ausschliesslich via XML-Streams, und Anfragen von der Client-Seite werden ebenso ausschliesslich über den Business-Layer vermittelt - direkter Datenbankzugriff ist tabu.



Im User-Layer sind die Portalfunktionen des SharePoint-Servers für die Präsentation der Informationen und Abfragemöglichkeiten in Form von "Digital Dashboards" zuständig.
Bei einem Dashboard handelt es sich im Prinzip um nichts anderes als um eine aus Komponenten zusammengesetzte Webseite. Diese besteht aus einem oder mehreren "Webparts" - ein Webpart kann ein Eingabeformular für Abfragen, eine Liste von Kommissionsmitgliedern oder die aktuelle Wetterprognose darstellen und setzt sich aus der visuellen Präsentation und der dazu notwendigen Client-seitigen Logik zusammen. Die gesamte Anwendung, auch die Verwaltung der Geko-Datenbank, ist damit durchgängig als Webapplikation realisiert.




Ein derartiges 3-Tier-Modell bringt zwar etwas mehr Implementationsaufwand mit sich. Aber die Vorteile überwiegen; zuvorderst die hohe Sicherheit: Direkte Zugriffe auf die Daten aus der Userschicht sind im 3-Tier-Modell unmöglich, während mit einer einfachen Lösung, bei der die Business-Logik in Form von Scripts auf der Client-Seite vorliegt, direkt an der Datenbank manipuliert wird.



Die COM-Objekte des Business-Layer wie auch die Webparts sind überdies wiederverwendbar. Andere Anwendungen, die in den Parlamentsdiensten oder der kantonalen Verwaltung in Zukunft eingesetzt werden, können auf die bestehende Funktionalität zurückgreifen und zum Beispiel eine Adressliste von Kommissionsmitgliedern in Form eines Webpart oder durch Aufruf des entsprechenden COM-Objekts integrieren, ohne dass das Rad jedes Mal neu erfunden werden muss.



Sonderegger sieht beispielsweise die Möglichkeit, Komponenten der Parlamentsdienste-Anwendung im künftigen, Obtree-basierten Content-Management-System des Kantons einzusetzen.




Gute Erfahrungen mit SharePoint

Die Erfahrung mit dem Ratsinformationssystem zeigt 1eEurope eines: Die SharePoint-Lösung ist wirklich sehr leistungsfähig, wie Sonderegger feststellt. "Der SharePoint-Portal-Server bietet ein exzellentes Kosten/Nutzenverhältnis und war schon in der Beta-Phase nicht nur für Microsoft-Verhältnisse sehr stabil. Allerdings haben wir den Server auf eine spezielle Art verwendet: als Oberfläche für eine Applikation sowie für einfache Dokumentenverwaltung. Die eigentlichen, umfassenden Portalfunktionen haben wir nicht stark ausgereizt. Dennoch erhielten wir Out-of-the-Box sehr viel Funktionalität." Auch die Performance ist tadellos - die SharePoint-Software läuft auf einem einfachen Compaq-Mittelklasse-Server und liefert sehr schnelle Antwortzeiten.



Der Einsatz der SharePoint-Lösung schlägt sich auch in den niedrigen Gesamtkosten nieder: Planung, Implementation und Softwarelizenzen für das System kosteten 270'000 Franken. Ohne die vorgefertigte SharePoint-Basis würde Sonderegger die Kosten deutlich höher schätzen.




Zudem in der Print-Ausgabe: Interview mit Thomas Dähler, Präsident des Zürcher Kantonsrats über das Redesign des Ratsinformationssystems und die Zusammenarbeit mit 1eEurope.



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