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Information Lifecycle Management - Nachdenken über Information und ihren Wert

Gerne wird «ILM» als technische Aufgabe verstanden, welche nach klaren Parametern geplant und mittels innovativer Technologien umgesetzt werden kann. Der vorliegende Beitrag plädiert für ein umfassenderes Verständnis vom Umgang mit Informationen und den Einbezug didaktischer Überlegungen für ein wirklich effizientes ILM.

Matthias Vatter, (Medien-)Pädagoge, Historiker und Co-Geschäftsführer

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/10

     

«Informationslebenszyklusmanagement» – was für ein Wort! Ursprünglich aus primär marketingtechnischen Überlegungen in den späten 1990er-Jahren in den USA geprägt, geistert der Begriff seither durch die Welt der IT und der Geschäftsprozesse. Akronyme wie das eingängige «ILM» sind immer ein gutes Werkzeug, um neue Geschäfts- oder Produktideen zu lancieren: «Machen Sie auch ILM?», «Wie bauen Sie ILM in Ihrer Firma auf?» oder – noch besser! - «ILM für KMU» weisen auf professionell-verschlüsselte Art die Entscheidungsträger dezent darauf hin, dass da vielleicht etwas vergessen gehen könnte und sie sich unbedingt auch diesem – sicherlich geschäftskritischen – Problemfeld zuwenden sollten. Natürlich braucht es dazu dann unbedingt Berater, Analysen, Konzepte, Projekte und Budgets. Aber das ist legitim – auch die Branche der Speichersystemanbieter will leben.



Auch wenn es heute als «Binsenwahrheit» gilt – der Umgang mit Informationen ist gerade in einer Institution oder Unternehmung zentral. Der Wunsch, Strategien, Methoden und Anwendungen zu realisieren, um Information automatisiert entsprechend ihrem Wert und ihrer Nutzung optimal auf dem jeweils «richtigen» (und kostengünstigsten) Speichermedium bereitzustellen, zu erschließen und langfristig sicher aufzubewahren, ist verständlich und die Zielvorgabe des damit definierten ILM auch. Um im Sinne dieser Zielvorgabe auch richtig entscheiden und handeln zu können, gilt es, auch ab und zu hinter den Trendbegriff ILM zu blicken und sich (selbst-) kritisch mit dem «Wozu» des ILM auseinanderzusetzen.

ILM dekonstruiert: was meinen Sie denn eigentlich?

Der Begriff «Informationslebenszyklusmanagement» besteht eigentlich aus drei bis vier Begriffen:


- Information


- Lebenszyklus (Leben & Zyklus)


- Management


«Management» bedeutet und meint ja bekanntlich «Verwaltung». Offensichtlich geht es also um das Ziel, den Lebenszyklus von Informationen zu «verwalten». Dies ist insofern eine, nennen wir es einmal «interessante», Begrifflichkeit, da es schwierig sein dürfte, Informationen per se einen «Lebenszyklus» zuzuschreiben. Gerne spricht man ja auch von der «Halbwertszeit» der Information (oder sogar des Wissens!). Auch dies ist eine doch eher abenteuerliche Formulierung: aufgrund welcher Kriterien wird denn ein absoluter Wert einer Information bestimmt und gewichtet? Und ist allen ILM-Beteiligten klar, was für eine Vorstellung wir vom seit Jahrhunderten unscharfen Begriff «Information» haben?


Etymologisch ist es klar: im 15. Jahrhundert entstand aus dem lateinischen Lehnbegriff «in-formare» zunächst das Verb «informieren». Man kann heute davon ausgehen, dass es dieses Verb zuerst und ohne die Existenz des Substantivs «Information» gab. Es ist unter Sprachwissenschaftern Konsens, dass «informieren» in der übertragenen sinnhaften Bedeutung von «in-formare» gebräuchlich wurde: «durch Unterweisung bilden, unterrichten». Wörtlich wäre die Bedeutung ja – durchaus passend – «eine Gestalt geben, formen, bilden». Erst im 16. Jahrhundert entstand aus dem lateinischen «informatio» der Begriff «Information» in der Bedeutung von «Nachricht, Auskunft, Belehrung». Für Geschäftsprozesse relevant ist in diesem Zusammenhang das Verständnis von Information als einem Erkenntnisgewinn im lernenden Sinne. Information ist «Wissenstransfer» oder «Wissen in Aktion».


ILM heisst Lernen

Konsequent weitergedacht muss es also auch beim ILM um «Lernen» gehen. Die Fragen, wie eine Information zu bewerten ist (Relevanz), wer wann auf welche Weise zu welchen Informationen kommen muss und wie diese Information dafür aufbereitet und vermittelt wird hat einen didaktischen Aspekt, welcher gerade in Überlegungen und Diskussionen um ILM allzu häufig vergessen geht.


Egal ob es in öffentlichen Verwaltungsstellen (Geschäftsverwaltung) oder in privaten Unternehmen um die Speicherung und Bereitstellung von Informationen geht: immer soll die «richtige» Information zum «richtigen» Zeitpunkt für den/die Informationssuchende/n als relevant für die jeweils aktuelle Fragestellung erkannt und im «richtigen» Datenformat abgespeichert sein. Um aber die «Richtigkeit» und «Relevanz» einer Information auch wirklich beurteilen zu können, ist konstantes Weiterdenken, in Frage stellen und entwickeln von Antworten notwendig. Genau dieser Prozess jedoch ist eigentlich nichts anderes als Lernen. Der Prozess einer Informationssuche sollte vermehrt als Lernprozess verstanden werden.



Hierzu passt durchaus auch der Begriff des «Lebenszyklus». «Zyklus» oder «cycle» lassen sich über die lateinischen («cyclus») und griechischen («kýklos») Wörter bis zum indogermanischen Wurzelbegriff zurückverfolgen, welcher – zumindest nach der aktuellen Sprachwissenschaft – die Bedeutung von «(sich) herumdrehen» hat. Was will uns nun die Wortschöpfung «ILM» hiermit sagen? Drehen sich Informationen im Kreis? Sind Informationen «periodisch wieder erscheinend», wie es der heutigen Definition von Zyklus (Duden: «Kreislauf, periodische Folge…») entspricht?


Ob bewusst oder unbewusst: die Wortschöpfer von ILM haben wohl in die richtige Richtung gedacht: Informationen «drehen» sich tatsächlich immer um eine Art «Bedeutungsachse». Eine Information kann für mich relevant, für einen Kollegen zum selben Zeitpunkt und sogar für die genau gleiche Fragestellung völlig irrelevant sein. Für mich selbst kann eine Information zudem einmal wichtiger, dann aber wieder unwichtiger sein – sie bewegt sich also durchaus in einem Zyklus. Wie beim Lernen auch, müssen daher verschiedenste Zugänge zu derselben Information möglich sein. Ein Anspruch, der viele ILM-Projekte überfordert. Allzu schnell wird von den jeweiligen ILM-Verantwortlichen – meist aus Ressourcengründen – eine Hierarchie vorgegeben, welche als «richtig» für die entsprechende Unternehmung und ihre Geschäftsprozesse angenommen wird. Dies bringt uns zum letzten Begriff des ILM, dem «Management».

Der Mythos der gemanagten Information

Beim «klassischen» ILM wird meist über ein so genanntes «ILM-Assessment» eine Klassifizierung der Daten vorgenommen. Diese werden dabei nach Wichtigkeit und Wert/Relevanz für die Geschäftsprozesse in Speicherklassen eingeteilt. Anschließend wird der Weg der Informationsdaten über die einzelnen, ebenfalls zu definierenden Speicherhierarchien hinweg, bestimmt und zu guter Letzt dann noch das Speichermanagement organisiert, welches das Ganze verwalten soll. Wovon wir dabei möglichst bald Abstand nehmen müssen, ist vom «Management» als der reinen «Verwaltung» von Information. Jegliche Information wird von jedem einzelnen Rezipienten sowohl im Moment der Wahrnehmung/Aufnahme als auch natürlich bei der allfälligen Weitergabe verändert: in ihrer Aussage, Bedeutung, Relevanz. Genau deshalb kann der Begriff «Management» im Zusammenhang mit ILM irreführend oder sogar gefährlich sein: es wird nämlich suggeriert, dass eine klare und intersubjektive Kategorisierung aller «relevanten» Informationen möglich sei. Dem ist jedoch kaum so.


Die Relevanz für Ihre Geschäftsprozesse

Versuchen Sie also, egal ob in einem Kleinunternehmen oder einem Weltkonzern, mit einem isolierten Verständnis von ILM möglichst alle tatsächlich relevanten Informationen für die Geschäftsprozesse verfügbar und erreichbar zu machen, dann werden Sie scheitern. Tatsache – auch aufgrund der oben gemachten Überlegungen – ist, dass gerade bei Lösungsansätzen wie ILM, bewusst oder unbewusst, Entscheidungen getroffen werden. Entscheidungen darüber:


- wie wir den Begriff «Information» definieren,



- welchen Wert wir welcher Information zubilligen,


- welche Relevanz wir welcher Information zuordnen


Zudem gilt es bei Lösungsansätzen wie dem ILM immer einen didaktischen Anspruch zu bewahren. Denn: wenn Sie Informationen bloss verwalten wollen, dann vergeben Sie die Chance, sich, ihre Mitarbeitenden und das betreffende Projekt weiterzubringen.



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