Editorial

Quereinsteiger non grata


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/04

     

Inzwischen dürfte es sich in der Branche rumgesprochen haben: 2008 ist nicht nur das Jahr, in dem die Schweiz Fussball-Europameister wird und in dem sich die Spice Girls zum ungefähr dritten (und hoffentlich letzten) Mal auflösen, nein, 2008 ist auch das Jahr der Informatik Stichwort «Informatica08». Erklärtes Ziel dieses Informatik-Jahres ist die Behebung des IT-Spezialistenmangels in der Schweiz grundsätzlich ein durchaus lobenswerter Anspruch.



Zu Hinterfragen ist jedoch der Ansatz, der verfolgt wird. Man will primär Jugendliche – am liebsten Gymnasiasten, schliesslich soll der zukünftige Informatiker im Minimum einen Uni-Abschluss haben – für IT begeistern. Für den ambitionierten Quereinsteiger findet sich jedoch im gesamten Informatik-Jahr kaum eine Veranstaltung zum Thema Weiterbildungsmöglichkeiten, was etwas seltsam anmutet. Da hat man weit über 80’000 IT-Spezialisten (70 Prozent der 120’000 IT-Profis sollen Quereinsteiger sein), die irgendwann mal vor Jahren (als es vermutlich noch gar keine vernünftige Ausbildung gab) in den Beruf gerutscht sind und die man mit Sicherheit nicht mehr für die IT begeistern muss. Doch ihnen wird vorgeworfen, nicht qualifiziert genug zu sein, ohne ihnen aber eine Möglichkeit zu bieten, sich diese Qualifikation in irgendeiner erträglichen Form nachzuholen. Denn mit Sicherheit will keiner, der die letzten
10 Jahre in der IT gearbeitet hat, mit einem Haufen knapp 20jähriger an der Uni die Grundlagen der Informatik nachpauken. Und mit Sicherheit dürfte es für den 35jährigen Familienvater, der nebenbei noch eine Hypothek abzuzahlen hat, nicht ganz einfach sein, 3 Jahre lang Vollzeit die Schulbank zu drücken, um sich am Ende dieser 3 Jahre irgendeinen eidgenössisch anerkannten Titel abzuholen.




Bliebe zu hoffen, dass hier wenigstens die Arbeitgeber in die Bresche springen, flexibel sind, sich verständnisvoll zeigen und Unterstützung bieten. Doch mitnichten: Haben Sie schon mal einen 80-Prozent- Job gesucht, weil Sie sich nebenbei weiterbilden wollten? Viel Glück! Liebe HR-Manager: Nicht alle, die reduziert arbeiten wollen, sind «fuuli Siechä»! Hinzu kommen all die Unternehmen, die über das schlechte Image der IT-Berufe jammern. Sollen die sich zuerst einmal selber an der Nase nehmen. Wer wird in den grossen Banken und Versicherungen zuerst rausgeschmissen, wenn das Kader mal wieder etwas verospelt hat? Der IT-Staff, dessen Wertschätzung im Unternehmen irgendwo zwischen Putz­kolonne und Telefonistin angesiedelt scheint. Statt dessen sollte man das ganze HR-Personal feuern, das die Zeit lieber dafür aufwendet, um StudiVZ und Co. nach Sauf-Bildern von potentiellen neuen Arbeitnehmern abzusuchen, anstatt die Lebensläufe richtig zu lesen und damit nicht gleich aufzuhören, wenn dort nicht «Uni-Studium Informatik mit Master abgeschlossen» steht.



Ja, wir brauchen Nachwuchs in der IT. Ja, es ist erstrebenswert, der Jugend die IT nahezubringen, weil wir auch in Zukunft auf heimische und gut ausgebildete IT-Spezialisten angewiesen sind. Doch vergessen wir ob dem nicht die Tausenden von Profis, die bereits in der IT arbeiten, bei denen die Begeisterung bereits gross ist, die jahrelange Erfahrung haben und die sich weiterbilden wollen, deren Voraussetzungen aber leicht anders sind als beim frischgebackenen Gymi-Abgänger. Wenn wir diesen Leuten realistische, anerkannte Ausbildungsmöglichkeiten anbieten können, können viele Engpässe im
IT-Spezialistenbereich schon gestopft werden. Und zwar rasch! Doch dafür braucht es Angebote, und es braucht Flexibilität und Support seitens der Firmen.

(mw)


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