Editorial

Der kleine Unterschied


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/12

     

Früher war bekanntlich alles besser, auch IT-Events besassen mehr Glanz. Bill Gates verliess die Bühne in seiner letzten Keynote im Rahmen der TechEd USA am Ende ohne Ovationen für sein Lebenswerk, weil er seine Abschiedstournee mehrfach verlängert hat und die Zuschauer nicht mehr so genau wussten, ob sie über seinen Abschied traurig oder froh sein sollten.



Wohl dem, der einen Steve Jobs in seinen Reihen hat. Bei ihm werden auch technisch weniger brisante Ankündigungen regelrecht zelebriert. Legendär ist seine Erwiderung auf die Frage eines Berufsskeptikers (sprich Journalisten), warum denn sein damals legendärer NeXT-Würfel zwei Jahre zu spät käme. «Spät?», so der begnadete PR-Stratege damals, «unser Produkt ist seiner Zeit fünf Jahre voraus, wir sind also immer noch drei Jahre zu früh.» Wer aus nicht zu übersehenden Schwächen in einem Satz einen Vorteil machen und diesen glaubwürdig verkaufen kann, hat es im Leben etwas leichter.
Wer einen schwarzen Rollkragenpullover trägt, anscheinend auch. Hätte Microsoft Steve Jobs samt seinem NextStep-OS für jene 150 Millionen Dollar, die man 1997 zur Rettung von Apple investierte, eingekauft, «WinOS» wäre zum ersten Monopol geworden, das alle geliebt hätten. Doch für die beiden Superegos Bill und Steve wäre damals kein Unternehmen gross genug gewesen.




Auch in Redmond versteht man es, Spannung aufzubauen, wenngleich in bescheideneren Dimensionen. Wer bis vor einigen Wochen regelmässig die URL www.microsoft.com/pdc aufgerufen hatte (ich kenne minde-s­tens einen, der das getan hat), sah lediglich eine kurze Ankündigung zur nächsten Profes-­sio­n­al Developers Conference (PDC), jener Grossveranstaltung für Entwickler, auf der Microsoft alle zwei bis drei Jahre die nächste Generation der «Microsoft-Plattform» vorstellt. Vor einigen Wochen kam Leben in die Seite. Nicht nur, dass man sich endlich zur Konferenz, die letztes Jahr kurzfristig abgesagt wurde, anmelden kann, man erfährt auch einiges über die Inhalte der über 160 geplanten Vorträge. Sie durchzulesen ist ähnlich aufschlussreich wie das Studieren von Stellenausschreibungen, wenn man bereits vorab etwas über die Strategie der kommenden Jahre erfahren möchte.



Themen wie beispielsweise «A day in the life of a cloud service developer», «Architecting services for the cloud» oder «Developing and deploying your first cloud service» deuten an, dass man es in Redmond mit der bislang nur in Umrissen zu erkennenden grossen Service-Plattform (auch «Cloud» genannt) ernst meint. Auch die «Buzz Words» Windows 7 und Visual Studio 10 tauchen bereits in den Session-Beschreibungen auf. Die Keynote wird erstmals Gates-Nachfolger Ray Ozzie halten, der noch unter Beweis stellen muss, dass er den Softwarekonzern ins 21. Jahrhundert führen kann, und dessen bisherige «Erfindungen» zwar stets irgendwie revolutionär klangen, die grosse Begeisterung aber nicht wirklich auslösen konnten und bis auf Lotus Notes offenbar auch kommerziell kein allzu grosser Erfolg waren. Ein Verkäufer wie Steve Jobs ist er definitiv nicht, dennoch muss er es an diesem Tag schaffen, eine Aufbruchsstimmung zu erzeugen, was keine leichte Aufgabe sein wird. Vielleicht sollte er es auch einmal mit einem schwarzen Rollkragenpullover probieren. Manchmal ist die Verpackung nämlich wichtiger als der Inhalt.




Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Wie hiess im Märchen die Schwester von Hänsel?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER