Editorial

Moore's Information-Hiding-Prinzip


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/11

     

Kaum ein Zukunftsworkshop, in dem nicht Moore’s Law vorkommt. Es scheint ein Naturgesetz zu sein: Die Rechengeschwindigkeit wächst exponentiell. Fast alle Zukunftsvisionen gehen von dieser scheinbar natürlichen Logik des Fortschritts aus. Doch der Eindruck täuscht. Moore’s Law ist nur ein reaktionäres Artefakt nach dem Motto: Das war bei uns hier immer schon so! Es gibt nämlich keine logischen Begründungen, warum es gelten sollte. In der Vergangenheit wurde zudem immer wieder behauptet, dass das exponentielle Wachstum in ca. 15 Jahren an seine Grenzen kommen werde – nur dass diese 15 Jahre schon mehrmals überschritten wurden. Trotzdem scheint das Gesetz noch zu gelten. Dieses eigenartige Phänomen ist ein instruktives Beispiel des für die Informatik seit je fundamentalen Prinzips des Komplexitätsmanagements durch Information Hiding.



Moores Leistung bestand darin, ein implizit in den Köpfen der Experten vorhandenes Wissen mittels einer Formel explizit zu formulieren. Gerade weil sein Gesetz einfach und nicht wirklich neu war, wurde es geglaubt, ohne dass gross nach Gründen gefragt wurde. Zwar haben nachher Kulturwissenschafter und Soziologen das Ganze hinterfragt, aber die eigentlich Beteiligten oder direkt Betroffenen haben es als Tatsache akzeptiert und ihre Planungen darauf aufgebaut. Dadurch gewann Moore’s Law kollektiven Roadmap-Charakter für eine grosse Zahl sehr unterschiedlicher Akteure. Von den Ingenieuren über die IT-Businessleute bis zu den Investoren – alle basierten ihre Zukunftsplanung auf Moore’s Law. Seither steuert seine Dynamik multidimensional das ganze System IT-Business samt allen ökonomischen und sozialen Folgen.




Das funktioniert, weil Moore’s Law von konkreten technischen, kommerziellen und organisatorischen Parametern abstrahiert und die Komplexität der Umsetzungsprobleme verbirgt. Ohne Moore’s Law wäre der Fortschritt mal langsamer, mal schneller, weil er durch die konkreten Realisierungsschwierigkeiten bestimmt würde. Und es bestünde die Gefahr, dass er sich ganz im Sande verliefe. Moore’s Law schafft eine nachhaltige Temperierung des Fortschritts. Als lokales Phänomen ist Ähnliches auch anderswo beobachtbar, zum Beispiel wenn grosse Firmen jedes Jahr ihre Produk­tionskosten um einen weitgehend fixen Prozentsatz senken, weil dies zur Firmenkultur gehört. Moore’s Law aber «dirigiert» ein globales Zusammenspiel vieler unterschiedlicher Akteure und prägt den Markt seit Jahrzehnten.



Entscheidend für diesen «Erfolg» ist, dass die Zielvorgaben (= Zukunftsprognosen) abstrakt sind, dass der Fortschritt partiell messbar ist und dass es viele alternative Möglichkeiten für das Überwinden von Hindernissen gibt. (Für Letzteres spielt die Universalität der Turing-Maschine eine zentrale Rolle, auf der alle Computerarchitekturen aufbauen.) Ausserdem muss es genügend kreative Menschen geben, die anstehende Hindernisse überwinden wollen. Davon gibt es mittlerweile sehr wenige in Europa. Die zukünftige Gültigkeit von Moore’s Law hängt deshalb davon ab, ob es gelingt, Kreativität und nicht nur IT-Aufgaben nach Asien outzusourcen.



Unabhängig davon ist es interessant, aus Moore’s Law Lehren für die Führung von komplexen Fortschrittsprogrammen zu ziehen: Fast immer kommt es auf das richtige Information Hiding an!




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