Editorial

Mehr Verständnis für die Verbandsarbeit!


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/08

     

In der «Handelszeitung» vom 26. März erfuhr die Leserschaft, dass mit dem «ICT Council» in der Schweiz ein neuer Branchenverband gegründet worden sei, dem die grössten Unternehmen des Bereichs angehören (namentlich Also, Cablecom, EDS, Dell, Hewlett-Packard, IBM, Microsoft, Orange, Sunrise und Swisscom). Der neue «ICT Council» soll die gebündelten Interessen der Branchengrössen namentlich gegenüber der Bundespolitik vertreten. Begründet wird die Neugründung unter anderem mit dem seit langem bekannten Argument, dass in der Bundesversammlung die Zahl der Landwirtschaftsvertreter jene des ICT-Bereichs um ein Vielfaches übersteigt. Dabei trage doch die ICT-Branche mit einem Jahresumsatz von insgesamt 25 bis 45 Milliarden Franken pro Jahr zentral zur Prosperität unserer Volkswirtschaft bei: «Kein digitales Mauerblümchen» titelte die «Handelszeitung».



Das bestreitet auch kein Mensch. Problematischer wird es erst, wenn es um konkrete Themen geht, also etwa um die «Letzte Meile» im Telekommunikationsbereich, wo die Telekomfirmen gegenüber der Politik keineswegs mit einer Stimme auftreten. Oder um die Förderung der Informatik in den allgemein­bildenden Schulen, wo es nicht nur um die Ausstattung der Schulen mit Technik, sondern auch um deren sinnvolle Nutzung und die dafür notwendige Lehrerausbildung geht. Und besonders aktuell bei der Förderung des fehlenden Nachwuchses für Informatikberufe, wo grosse Firmen mit schwankender Personalpolitik und Offshoring-Ankündigungen sowie mit ungenügendem Lehrstellenangebot dem Ansehen der Branche nachhaltig schwer geschadet haben. Wenn der neue «ICT Council» hier Verbesserungen bringt, wird das alle nur freuen.




In ihrem Artikel erwähnt die «Handelszeitung» auch die bereits existierenden Verbände des ICT-Bereichs: «ein Konglomerat zahlloser Verbände ... allein bei ICTswitzerland 22 Mitgliederverbände ... der Swico prominenter Abwesender». Offenbar hat der Autor den Unterschied zwischen Fachverband und Wirtschaftsverband nicht verstanden und auch nicht zur Kenntnis genommen, dass ICTswitzerland und Swico in vielen Trägerschaften und Projekten zusammenarbeiten, namentlich in Fragen der Ausbildung. Aus dieser Verbandszusammenarbeit ist auch das jetzt laufende «Jahr der Informatik 2008» (Informatica08) entstanden, was die «Handelszeitung» wie folgt kommentiert: «Die Branche hatte es auf ihrem ureigensten Gebiet mit der kurzfristig aufgegleisten Informatica08 nicht einmal geschafft, alle wichtigen ICT-Unternehmen ins Boot zu holen.» Die fast zwei Jahre (!) dauernden Vorbereitungen für die Informatica08 haben inzwischen ein sehr vielfältiges Programm hervorgebracht (www.informatica08.ch), zu dem ständig noch neue Angebote gemeldet werden – auch neue Sponsoren sind übrigens noch willkommen.



Allen Insidern rund um das ICT-Verbandswesen in der Schweiz ist klar, dass wir zu viele und nicht zu wenige Verbände haben. Erfreulicherweise sind gegenwärtig wichtige Fusionen in Vorbereitung. Aber Sanierungen erfordern sorgfältige Koordinationsarbeit, nicht neue Verbände. Die in wenigen Jahrzehnten aus dem Nichts zu einer Grossbranche gewachsene Informatik ist zukunftsträchtig, aber noch etwas instabil. Etwas mehr Verständnis wäre hier gefragt.




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