Big Brother mit künstlicher Intelligenz
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/06
Wer künftig Museen oder Ausstellungen besucht, sollte sich zu seinem eigenen Vorteil nicht allzu lange dort aufhalten, sich nicht hektisch bewegen und sich den Gemälden nicht zu sehr nähern. Es könnte nämlich sein, dass ein mit einer Überwachungskamera gekoppeltes Computersystem den Kunstliebhaber als potentiellen Dieb entlarvt und umgehend Alarm schlägt.
Beschränkte sich die Videoüberwachung bis anhin darauf, das aktuelle Geschehen vor der Kamera an einen Monitor zu übermitteln und für kurze Zeit aufzuzeichnen, gehen moderne Videoüberwachungssysteme einen Schritt weiter. Sie analysieren laufend die Umgebung und das Verhalten von Personen, um damit auffällige Verhaltensweisen zu entlarven. Auffälliges Benehmen erkennen diese Systeme dadurch, dass sie am Anfang ihres Einsatzes über einen bestimmten Zeitraum das "Normalverhalten" erlernen. Sind diese Systeme zusätzlich mit biometrischen Erkennungsverfahren ausgerüstet, lässt sich neben einem auffälligen Verhalten auch die Identität einer Person feststellen.
Durch Videoüberwachungsysteme werden Bilder von Personen erfasst, gespeichert und weiterverarbeitet. Die Videoüberwachung stellt damit eine Verarbeitung von Personendaten dar, die an klare gesetzliche Leitplanken gebunden ist. Grundsätzlich muss der Inhaber einer Datensammlung nämlich dafür sorgen, dass die Datenbearbeitung rechtmässig, verhältnismässig und unter Wahrung von Treu und Glauben geschieht. Allgemein rechtfertigt sich eine Aufbewahrung von Bildern einer Überwachungskamera nur für kurze Zeit, in der Regel etwa für einige Stunden. Es versteht sich von selbst, dass die modernen analytischen Methoden der Videoüberwachung - wie Verhaltensanalyse oder biometrische Erkennung - zusätzliche Anforderungen an deren datenschutzkonforme Anwendung stellen. Die Einhaltung der Datenschutzstandards ist in diesen Fällen umso wichtiger, aber auch erschwert.
Im Zusammenhang mit der "analytischen" Videoüberwachung stellen sich weitere heikle Fragen. So ist fraglich, ob der Voraussetzung der Richtigkeit der Daten nachgelebt wird. Wie soll sich der Datenbearbeiter vergewissern können, dass Herr Muster tatsächlich ein potentieller Kunsträuber ist und somit die ihn betreffenden Daten richtig sind? Schwierigkeiten stellen sich auch für Herrn Muster, der eine Berichtigung dieser "hypothetischen" Daten verlangen will. Ein weiterer heikler und nicht zu vernachlässigender Punkt ist, ob aus den Videobildern allein oder in Verknüpfung mit anderen Daten Persönlichkeitsprofile gewonnen werden können. Überwachungssysteme, die biometrische Erkennungsverfahren integrieren, sind ohne weiteres dazu in der Lage. Entwickelt sich die Videoüberwachung zur Sammlung von Persönlichkeitsprofilen, kann dies zur Folge haben, dass die Datensammlung vorgängig beim Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten angemeldet werden muss, dass höhere Anforderungen an die Rechtmässigkeit der Datenbearbeitung gestellt werden und dass den Datenbearbeiter weitergehende Informationspflichten treffen.