Consulting mit IBM'scher Gründlichkeit
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/44
IBM will in den kommenden drei Jahren eine Milliarde Dollar aus seinem Budget für Forschung und Entwicklung nicht mehr für traditionelle Informationstechnik, sondern für Forschung im Bereich Consulting und Dienstleistungen ausgeben. Die Umschichtung von Forschungsgeldern ist ein zentrales Mosaiksteinchen in der unter Lou Gerstner vor neun Jahren eingeschlagenen Konzernstrategie, ins Servicegeschäft vorzustossen. Im kommenden Jahr dürften Beratung und Dienstleistungen fast die Hälfte des Konzernumsatzes von "Big Blue" ausmachen.
Im vergangenen Jahr hat IBM 5,29 Milliarden Dollar oder 6,2 Prozent der Einnahmen in Forschung und Entwicklung gesteckt. Davon ging der grösste Happen an "Hard Core"-Wissenschaften wie Materialkunde, Elektronik, Softwareentwicklung und Mathematik. Krishna Nathan, der Leiter des IBM-Labors in Rüschlikon, sieht jetzt den Zeitpunkt für einen Wechsel gekommen: "Die Forschung an Beratungs- und Service-bezogenen Problemen ist ein fundamentaler Wechsel in der Forschungsagenda der IT-Industrie, vergleichbar mit dem Aufkommen von Software als Disziplin Ende der 70er Jahre." IBM hat dazu eine neue Unternehmenseinheit namens "On Demand Innovation Services" gegründet, zu der rund 200 Wissenschaftler zählen. Laut Nathan dürften in der Schweiz rund ein Dutzend Forscher für das Programm verpflichtet werden. Ihnen steht ein Zehntel des Gesamtetats zur Verfügung, also rund 100 Mio. Franken.
Mit ihrem wissenschaftlichen Know-how aus Bereichen wie Mathematik und KI (Künstliche Intelligenz) soll das Team Probleme von und für Consulting-Kunden lösen. Die Forschungsrichtungen sind vorgespurt: Mathematiker könnten Wertschöpfungsketten beschleunigen, indem sie neue Formeln zur Routen-Optimierung aushecken. Experten für Content-Analyse könnten mit KI-Methoden auch unstrukturierte Informationsquellen wie E-Mails erschliessen und Tools zu deren Analyse schaffen. Zunächst soll sich On Demand Innovation Services auf die vier Kernthemen Daten-Management, Geschäftsprozesse, Analytik und experimentelle Ökonomie beschränken. Laut Nathan ist es aber durchaus denk- und wünschbar, dass sich Forscher neben dem funktionalen Know-how auch Branchenkenntnisse zulegen werden. In der Schweiz, so Nathan, wäre das (wen wundert's?) die Banken- und Versicherungsbranche.
Motiviert wurde IBMs Neuausrichtung der Forschung durch die Schaffung der Geschäftseinheit "Business Consulting Services", die sich nach Übernahme der Consulting-Sparte von PricewaterhouseCoopers für 3,5 Milliarden Dollar aufdrängte. Es ist vorgesehen, dass die weltweit acht Research Labs sehr eng mit den Consultants zusammenarbeiten und bei Bedarf auch direkt bei den Kunden eingesetzt werden.
Das sei nicht wirklich neu, bereits in der Vergangenheit habe es solche Kooperationen gegeben, sagt Nathan. Zum Beispiel unterstützten IBM-Mathematiker die Optimierung von Flugzeug- und Crew-Plänen für den Outsourcing-Kunden Air Canada. Das Neue daran sei, dass eine solche Zusammenarbeit in Zukunft zur Routine werde.
Aber Nathan gibt zu, dass der Forschungsauftrag nicht unumstritten sei. Es werde auch kein Forscher gezwungen, sich als Consultant zu betätigen. Doch der direkte Kontakt mit den Kunden habe auch Vorteile: "Viele mögen das sogar, weil sie ein positives Feedback für ihre Arbeit erhalten und ihre Sachen sich auf dem Markt verkaufen lassen".
Der Druck in Richtung Kommerzialisierung hat der Forschung offensichtlich nicht geschadet - seit neun Jahren hält sich IBM wacker an der Spitze bei den weltweiten Patentanmeldungen.