Das Eldorado der IT-Berater heisst Basel II

Bei «Basel II» geht es um das Risiko von Bankkrediten. Das klingt wenig spektakulär, zieht aber einen Rattenschwanz von Nachbesserungen bei den IT-Systemen der Banken nach sich. er einen Rattenschwanz von Nachbesserungen bei den IT-Systemen der Banken nach sich. Basel II tritt zwar erst 2006 in Kraft, doch in der Beraterszene reibt man sich bereits jetzt die Hände.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/44

     

"Basel II", die im Entstehen begriffene Neuauflage der Vorschriften zur Eigenkapitalabdeckung von Risiken in der Finanzindustrie, sorgt bereits vier Jahre vor Inkrafttreten für Aktivismus in der Beraterszene. Viele Schweizer IT-Beratungsfirmen, die für die Finanzindustrie tätig sind, bestätigen, dass Basel II ein grosses Thema ist. Sei es Gigant IBM, der Datenbank- und Business-Intelligence-Spezialist Trivadis oder Finanzspezialist Systor, wo man auch anklopft, von Basel II versprechen sich alle fette Aufträge.



Man braucht kein Hellseher zu sein, um festzustellen, dass die goldenen Zeiten des Beratungsgeschäfts vorbei sind. Die Informationstechnologie war einst ein Wirtschaftswunder, das - davon waren namhafte Wirtschaftstheoretiker überzeugt - immer währen sollte. Doch statt ewig zu boomen, funktioniert die IT heute genauso zyklisch wie die Maschinenindustrie.




Mittlerweile hat man sich daran gewöhnt, dass die blosse Information Rohstoff und Produktionsmittel in einem ist. Das Programmieren in Projekten und andere rein technisch ausgerichtete Tätigkeiten reduzieren sich - wie Hardware letztlich - auf den Status von handwerklichen Commodities. Die Branche selbst fördert diese Entwicklung durch eine immer stärkere Standardisierung und Automatisierung. Die Möglichkeit der Automatisierung von operativen Prozessen durch die IT hat zur Folge, dass die IT selbst automatisiert wird. Dies führt zu einem Rückgang der Investitionen in die IT-Beratung. Der rettende Anker heisst Basel II, auf den die gesamte Beratungsgilde so verzweifelt angewiesen ist. Die fettesten Aufträge werden jetzt vergeben.


Die Bewertung von Risiken

Einer der Kernpunkte der von der Basler Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (www.bis.org) unter dem Begriff Basel II ausgearbeiteten Richtlinien ist eine Bewertung des wirtschaftlichen Risikos von Krediten, das nicht mehr mit einem pauschalen Prozentsatz wie bisher durch Eigenkapital abgedeckt wird, sondern sich am tatsächlichen Risiko orientieren soll. Das hört sich unspektakulär an. Tatsächlich jedoch berührt es die Banken im Innersten, und, besonders wichtig für das Beratungsgewerbe, es betrifft die gesamte Bankenwelt. Basel II wird ab 2006 weltweit in Kraft treten. Die Banken werden im Kernbereich Kreditgeschäft gezwungen, maschinelles Rating und Scoring einzusetzen.



Dies stellt viele Banken vor grosse Herausforderungen, ist jedoch wenig revolutionär. Denn das herkömmliche Paradigma der Informationsverarbeitung, das den Datenstrom als Einbahn beschreibt, von der Erfassung über die Speicherung zur Analyse und Modellierung, könnte beibehalten werden. Die IT-Beratung könnte sich auf die alten Standards berufen: Beispielsweise die Implementierung eines Data Warehouse verkaufen und ein paar neue Bildschirmmasken für ein neues MIS (Management Information System) stricken. In Implementierungsprojekten würde vielleicht wieder mit den Daten aus den Altsystemen gekämpft, und Schnittstellen zwischen alt und neu wären wieder das Thema Nummer eins. Unter dem Strich könnte man meinen, dass zur Lösung von Basel II die alten Konzepte und Ansätze genügen, vielleicht ein bisschen angereichert mit Elementen aus dem Data Mining für das Erstellen der Modelle für das Kredit-Rating.




Einer, der sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Thema Basel II beschäftigt hat, ist Christian Schaefle, Geschäftsführer des Liechtensteiner Softwareunternehmens Prospero: "Das eigentlich revolutionäre Element an Basel II ist die Pflicht, die maschinelle Intelligenz im Kredit-Rating einer rigorosen Dokumentation und einem nachvollziehbaren Reporting zu unterwerfen." Laut Schaefle hat dies zur Folge, dass die Modellbildung zunächst standardisiert und dann automatisiert werden muss.



Für die Automatisierung dieser Prozesse hat Prospero eine Software entwickelt. Das Produkt P.FINAS, das sozusagen Data Mining ohne Data Miner bietet. Laut Wassermann eröffnet die Software Möglichkeiten, die deutlich über das Vermögen einfacher Fuzzy-Logic oder neuronaler Netze hinausgehen: "Die Analogie zum Bergbau (Mining) trifft ironischerweise auch in bezug auf Kostendruck, Rationalisierung und Automatisierung zu. Die Aspekte der blossen technischen Realisierung treten deshalb sogar hier auf den elitären Ebenen der Datenanalyse deutlich in den Hintergrund", sagt Schaefle.



Wie immer in der Geschichte der technologischen Entwicklung eröffnet die Automatisierung eines Prozesses, der bisher als nicht automatisierbar galt, neue Perspektiven - besonders für die Kunden. Die Banken bekommen auf operativer Ebene und im Management gänzlich neue Möglichkeiten der Prozessoptimierung und der strategischen Planung. Das MIS der Zukunft wird dem Management nicht mehr nur Information bereitstellen, sondern eigenständige Entscheidungskompetenz. Schaefle ist überzeugt, dass die Bereiche OLAP/MIS und DSS/Artificial Intelligence zusammenwachsen werden. Zusammen mit dem Softwarehersteller Hyperion will Prospero entsprechende Synergien nutzen.




Infrastruktur - eine Commodity?

Weitgehende Automatismen, wie sie bei Basel II Tatsache sein werden, scheinen den Trend zu bestätigen, dass in Zukunft sämtliche Technologie zur Infrastruktur und letztlich zur Commodity wird. Schaefle ist der Überzeugung, dass die rein technische Beratung verschwinden wird, da der Kostendruck dazu führen wird, dass sich technische Systeme entweder selbst administrieren oder in grossen Hardwarezentren zusammengefasst werden. HP beispielsweise plant, für die Finanzindustrie Computing-on-Demand-Dienste einzuführen, die es ermöglichen sollen, IT-Leistungen so einfach zu beziehen wie den Strom aus der Steckdose. Programmierung und Implementierung könnten demnach zu einer Art Handwerk werden, da auch hier seit Jahren Bestrebungen zur Standardisierung und zur Automatisierung unübersehbar sind.



Doch bis dahin, dürfte es noch eine Weile dauern. Deshalb werden in den nächsten Jahren Erweiterungen der bestehenden Unternehmens-IT-Architekturen implementiert werden. Diese Erweiterungen werden aller Wahrscheinlichkeit nach die Rolle einer Meta-Struktur zu den existierenden Data Warehouses und OLAP-Systemen einnehmen und daher sehr allgemein verwendbare Strukturen und Funktionen bieten. Das Ende jedoch der grossen Bewegung von technischen Implementierungsprojekten ist abzusehen.





Der IT-Berater in der Zukunft

Wer sich in der Beraterszene herumhört, stellt schnell fest, dass zukünftige Beratung ein intensives Verständnis für die Fragestellung aus dem Business erfordert, ein Verständnis, das nicht nur auf Beratungserfahrung beruht, sondern auch auf eigenständiger praktischer Erfahrung. Der Berater wird die Rolle eines Architekten übernehmen. Wie dieser rührt der IT-Berater den Mörtel nicht mehr selbst an - die Technik übernimmt das zu einem grossen Teil selber. Doch muss er die Statik des Gesamtsystems im Auge behalten können und mit seinem technischen Verständnis die Form der IT-Landschaft in einem Unternehmen an die gewünschte Funktion anpassen können.



Die Anforderungen von Basel II, die zu einer Verbindung von künstlicher Intelligenz, OLAP/MIS und Transaktionssystemen führen werden, üben einen ganz massiven Einfluss auf den IT-Beratungsmarkt aus. Und überleben werden vielleicht nur die Beratungshäuser, die - wie ein guter Architekt - Kreativität und Funktionskompetenz in der verantwortlichen Realisierung zweckmässiger und stabiler Formen vereinigen.




Zudem in der Print-Ausgabe: Interview mit Claus-Jürgen Sommer, Business Consultant bei Systor



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