Tot oder lebendig?
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/02
Menschen lassen sich doch immer wieder bei den erstaunlichsten Tätigkeiten beobachten. Sie blättern zum Beispiel seelenruhig in einer Zeitschrift und lesen sogar eine Kolumne, obwohl Papierhefte schon seit langem ausgestorben sein müssten. Überhaupt dürfte es weder Zeitungen noch Bücher in dieser Form mehr geben, und auch aus den Büros wäre das Papier vor geraumer Zeit verschwunden, ginge es nach den Prophezeiungen gewisser Zukunftsdenker. Wie man sich doch täuschen kann. Auch andere Dinge sind kaum totzukriegen: CDs, obwohl es den iPod gibt, Namenskonventionen, obwohl schon lange mehr als acht Zeichen erlaubt sind, proprietäre Systeme trotz offenen Standards und klassische Telefonanlagen trotz VoIP. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und nutzt lieber etwas Bekanntes mit klaren Schwächen als etwas Neues, das er nicht kennt. Könnte man meinen.
Doch könnte es nicht auch sein, dass der Mensch viel mehr ein Meister ist, echte Vorteile altbewährter Lösungen so lange zu verteidigen, bis er davon überzeugt ist, diese nicht zu verlieren, wenn er etwas Neues in seinen Alltag bringt? Nicht, dass ich damit meine Aussagen der letzten Kolumne widerlegen wollte - schliesslich bin ich 2008 nicht viel klüger als letztes Jahr. Ich will sie vielmehr um einen neuen Aspekt erweitern: Wenn etwas, das es schon lange gibt, nicht so einfach wegzudenken ist, sollte man schauen, was dieses Etwas für Vorteile mit sich bringt, die seine Verfechter nicht missen möchten. Nehmen Sie Home-Cinema-Lösungen. Eine tolle, wirklich bestechende neue Bildqualität und viele neue Möglichkeiten: Man kann Filme zeitversetzt schauen, gleichzeitig zwei Filme aufnehmen oder in zwei Räumen zwei unterschiedliche Sendungen laufen lassen, während im dritten Raum über das gleiche System noch Musik abgespielt wird.