Philosophie und Strategie der Kundenpflege

Customer Relationship Management hört nicht mit der Installation einer Software auf. Echter Nutzen ergibt sich nur mit einer durchdachten CRM-Strategie.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/11

     

Kaum ein Software-Anbieter, der sich heute nicht brüstet, seine Geschäftslösung habe nun ebenfalls ein CRM-Modul. Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, hat das Image von Kundenbeziehungs-Management-Strategien in den letzten Jahren enorm gelitten. Der Begriff «CRM» mutiert bei einigen Unternehmen wie der Swiss Life zum Unwort, obwohl CRM intensiv eingesetzt wird.


Gründe für die CRM-Skepsis

Vor dem Hintergrund einer wenig vertraueneinflössenden Konsolidierungswelle im Anbietermarkt stehen viele Unternehmen bei ihrer CRM-Evaluation etwas ratlos da: Oracle kaufte Peoplesoft, Siebel und J.D. Edwards, Microsoft übernahm Navision, weitere Übernahmen sind zu erwarten. Funktional stehen die latente Schwerfälligkeit und der Anpassungsaufwand der etablierten Software-Plattformen wie SAP oder Oracle im Zentrum der Kritik.
In zahlreichen Studien liegt die Zahl der Unternehmen, die ihre Ziele mit CRM zumindest weitgehend erreicht haben, zwischen mageren 20 und 30 Prozent. Dies verdeutlicht die Schere zwischen Anspruch und Machbarkeit und wirft die Frage auf, ob die Kosten einer unternehmensweiten CRM-Strategie in einem vernünftigen Verhältnis zum ungewissen Nutzen stehen. Exorbitante Zeit- und Kostenüberschreitungen führten im Extremfall zum vollständigen Abbruch laufender Projekte und hatten nicht selten ein gerichtliches Nachspiel um die Gelder, die in den Sand gesetzt wurden.


Was ist CRM?

Customer Relationship Management ist zunächst eine völlig untechnologische Grundeinstellung. Sie erfordert eine stringente Ausrichtung der Geschäftsprozesse auf die Belange des Kunden. Und sie muss unternehmensweit gelebt werden – vom Management, aber insbesondere auch von den Mitarbeitern. Nicht an CRM ausgerichtete Unternehmen riskieren, Opfer der eigenen Trägheit zu werden und bezahlen dafür mit sinkender Kundenzufriedenheit, mangelnder Loyalität und unkontrollierbarem Kundenschwund. Man darf aber auch nicht ausser Acht lassen, dass sich die erfolgreichsten CRM-Anwender von unrentablen Kunden verabschieden.


Erfahrungen aus vielen CRM-Projekten haben gezeigt, dass CRM die Business-Prozesse rund um den Kunden möglichst natürlich und wo nötig zeitnah wiedergeben soll. Erfolgreiche Unternehmen richten ihre eigenen Prozesse somit konsequent am Kaufprozess ihrer Kunden aus. Sie identifizieren ungenügend abgestimmte Prozesse und bewerten sie im Vergleich zu ihrer Marktstellung und Bedrohungslage. Auf jeden Fall handeln sie nicht aufs Geratewohl, sondern überwachen kritische Bereiche permanent, um später die Fehler zu eliminieren. Der Einsatz von Technologie ist dabei ein Hilfsmittel. Eine integrierte Unternehmenssoftware, die sich mit grösstmöglicher Flexibilität den individuellen Anforderungen und Zielen einer Organisation anpasst, stellt jedoch massgeblich die Weichen für die Unternehmensperformance.



CRM ist somit nicht Selbstzweck und auch nicht bloss Software zur Produktivitätssteigerung. CRM ist vielmehr Philosophie. Entscheidend ist nicht, ob ein Unternehmen CRM betreibt oder nicht, sondern was es daraus macht, um seine taktische oder strategische Position auf- und auszubauen.




Kernaufgaben des Unternehmens


CRM läuft nicht von selbst

Die CRM-Anbieter wollen uns weismachen, dass mit der Installation ihrer Produkte der Verkauf wie von selbst läuft und die Kunden automatisch zufriedener werden. Mehr Einblick in die CRM-Realität gewährt folgende Betrachtungsweise: Wichtige Kernaufgaben jedes Unternehmens liegen seit Jahrzehnten unverändert in der Gewinnung neuer (Akquisition) und der Pflege der bestehenden Kunden (Loyalisierung). In beiden Phasen lassen sich drei Hauptbereiche definieren: Marketing, Verkauf und Service. Nach unternehmerischen Gesichtspunkten stehen alle Kunden und Interessenten in diesem Spannungsfeld. Ein CRM-System sollte genau diese Aspekte in den Mittelpunkt rücken, mit Informationen unterstützen und die Effizienz verbessern.



- Die Marketing-Massnahmen zur direkten und indirekten Kundenansprache unterliegen heute mehr denn je strikten Effizienzkriterien. Rückläufige Budgets verlangen eine absolut zielgerichtete, erfolgsbasierte Investition aller Marketing-Ausgaben.




- Der Verkauf benötigt Informationen wie Umsatzprognose, Verkaufspipeline, Eroberungsrate und Konversion von Offerten zu Bestellungen. Ein effektives Kundenbeziehungs-Management soll die Planbarkeit der Geschäftsentwicklung optimieren und massgeblich zur Sicherung und zum Ausbau der Unternehmenserträge beitragen.



- Service und Kundendienst werden durch steigende Anfragen über Telefon, Briefkorrespondenz und E-Mail herausgefordert. Kundenzufriedenheit oder gar Kundenbegeisterung beschränkt sich heute jedoch nicht mehr ausschliesslich auf die Qualität und die Konditionen von Produkten. Im Gegenteil: Je austauschbarer die Produkte und je unübersichtlicher die Anbieterlandschaft, desto mehr rücken wertsteigernde Dienstleistungen, verbunden mit kurzen Reaktionszeiten und un­bürokratischer, kulanter Reklamationsabwicklung
in den Vordergrund. Die Probleme der Kunden sollten in diesem Sinn gelöst werden – aber auch dies nicht um jeden Preis, sondern zu genau definierten Kosten. Auch hier kann ein durchdachtes CRM-System helfen.



- Das Management benötigt zeitnahe Informationen über Unternehmensdaten und Vorgänge, gezielte Analysen und umfassende Berichte, nicht zuletzt, um die effiziente Planung künftiger Geschäftsaktivitäten vorzubereiten. CRM muss somit je nach Betrachtungswinkel operativ, kollaborativ und zugleich analytisch sein.


CRM-Technologien

Trotz signifikanter Imageprobleme hat sich sowohl in grossen als auch in mittelständischen Unternehmen die Überzeugung durchgesetzt, dass ein durchdachtes Kundenbeziehungs-Management die Geschäftsentwicklung nachhaltig positiv beeinflusst. Neben der «Philosophie» und einer konkreten Definition strategischer und operativer Zielsetzungen ist die Auswahl der geeigneten Software-Technologie ein wichtiger Erfolgs- oder auch Misserfolgsfaktor in CRM-Projekten. Im Markt für CRM Lösungen haben sich drei unterschiedliche Lösungswege etabliert:



- Standardplattformen: Hier handelt es sich um weitgehend vorkonfigurierte Softwarepakete für den Einsatz in grossen und mittelständischen Unternehmen, die zumeist schon eine Fülle branchenspezifischer Funktionalitäten bieten, sogenannte «Best Practices». Anbieter wie SAP oder Oracle/Siebel decken mit ihrem Sortiment sowohl grosse Branchen als auch einzelne Segmente ab.
Mit funktionell abgespeckten, oft branchenspezifisch aufgesetzten Einstiegslösungen gehen die Hersteller kleinere Unternehmen an. Der vermeintliche Vorteil solcher vertikalen «Out of the box»-Lösungen birgt jedoch auch erhebliche Nachteile: Diese Produkte sind relativ unflexibel. Eine Anpassung an kundenspezifische Anforderungen oder die Einbindung von Informationen aus Fremdsystemen ist zum Teil sehr aufwendig, da die vorkonfigurierte Architektur zunächst wieder aufgebrochen werden muss.



Darüber hinaus belegen Anwenderstudien, dass oft nur ein Teil der Branchen-Funktionalität tatsächlich benötigt wird. Insbesondere KMU bewerten vorkonfigurierte Lösungen daher häufig als überdimensioniert. Andererseits bleibt fraglich, ob ein abgespecktes, lediglich mit Grundfunktionen ausgestattetes Leistungspaket besser in der Lage ist, die auch im KMU durchaus komplexen CRM-Anforderungen zu erfüllen.



- On-Demand-Lösungen: Viele Unternehmen schrecken besonders vor den hohen Investitionen und der langwierigen Implementierungsphase eines CRM-Projekts zurück. In der Folge brachen die Lizenzumsätze der CRM-Anbieter speziell im Neukundensegment in den letzten Jahren zum Teil dramatisch ein. Salesforce.com machte aus der Not jedoch schnell eine Tugend und entwickelte als Gegenbewegung zum Lizenzgeschäft ein «Leasing-Modell». Software mieten statt kaufen – das schien auch Oracle/Siebel, Microsoft und in jüngster Zeit sogar SAP eine sinnvolle Massnahme zur Kompensation rückläufiger Lizenzumsätze.
On-Demand-CRM bietet einen raschen und – zumindest in bezug auf die Erstimplementierung – relativ kostengünstigen Einstieg ins Kundenbeziehungs-Management. Der Einkauf teurer Softwarelizenzen entfällt, der Investitionsaufwand für neue Hardware beläuft sich auf praktisch Null. Jedes Device, das einen HTTP-Befehl absetzen kann, ist einsetzbar – kurzum, ein Browser genügt.
Statt dessen fällt eine monatliche Nutzungsgebühr an, die im Voraus festgesetzt wurde oder sich variabel nach der Nutzung richtet.


So einfach dies klingt, auch dieser Lösungsansatz ist nicht ohne Risiko: Anwender monieren die limitierte Leistungsfähigkeit des «CRM von der Stange». Besonders die Integration individueller Anforderungen und die Einbindung in unternehmenseigene Systeme erweisen sich als schwierig bis unmöglich. Darüber hinaus wurden in zahlreichen Langzeitanalysen deutlich höhere Gesamtkosten als ursprünglich geplant nachgewiesen. Die anfängliche Einsparung im Vergleich zum Lizenzkauf verwandelt sich so zum Teil in Mehrkosten. Nicht zuletzt birgt die Auslagerung geschäftskritischer Informationen immer auch ein Sicherheits- und Verfügbarkeits­risiko: Der mehrfache Ausfall des einzigen Rechenzentrums von Salesforce.com in Kalifornien aufgrund höherer Gewalt hatte zur Folge, dass die weltweite Anwenderschaft zeitweise «keine Kundenbeziehungen mehr hatte».


- Individuallösungen: Immer wieder stossen die spezifischen CRM-Anforderungen eines Unternehmens an die Grenzen der technischen Machbarkeit. Komplexität und Vielschichtigkeit liegen jedoch in der Natur der Kundenbeziehungspflege, denn für den Umgang mit Kunden gibt es im Detail weder allgemeingültige Standard-Regeln noch lässt sich die Strategie eines Unternehmens konform auf andere übertragen – nicht einmal bei gleicher Branchenzugehörigkeit.
Jedes Unternehmen hat seine individuellen Organisationsstrukturen, Arbeitsprozesse, Geschäftsregeln und Gepflogenheiten. Dies alles lässt sich nicht immer ins Korsett einer Standard-Applikation von der Stange zwängen. Als Alternative bieten sich Individuallösungen an, die von Beginn an auf die spezifischen Anforderungen eines bestimmten Unternehmens hin entwickelt werden.


IT-Verantwortliche zucken jedoch schon beim Gedanken an Individualsoftware zusammen. «Individuell» war in der Vergangenheit gleichbedeutent mit mangelnder Zukunftsfähigkeit, Insellösungen und schier endlosem Administrationsaufwand, von den Entwicklungskosten ganz zu schweigen. Hier kann teilweise Entwarnung gegeben werden: Einige Anbieter von Business-Development-Software setzen seit jeher auf vorkonfigurierte offene Module. Ihre Lösungen basieren auf modellierbaren Funktionen oder Geschäftsprozessen mit 50 bis 75 Prozent Standardvorgaben und einem Rest an individueller Anpassung. Auf Basis einer Vorabanalyse wird die Lösung in einem Baukastensystem entwickelt. Durch den Verzicht auf überfrachtete Funktionalität und die Möglichkeit, dennoch mit den Unternehmensanforderungen zu wachsen, bleiben solche Systeme in der Regel schlank und verkürzen dadurch die Roll-out-Phase.


Das Fazit

Auch die leistungsstärkste Technologie kann eine fehlende oder nur vage definierte CRM-Strategie nicht wettmachen. Viele CRM-Softwareanbieter machten in der Vergangenheit nur allzu gerne glauben, dass sich die gewünschten Effekte mit dem Einsatz ihrer Produkte wie von selbst einstellen. Dieser Trugschluss hat wesentlich zum Scheitern vieler Projekte beigetragen.


Aktuelle CRM-Trends




· Integration der Kundendaten über alle Kanäle: Abkehr von CRM-Applikationsinseln. Das Thema Kundendaten-Qualität ist nach wie vor ein wunder Punkt. Erst wenn die Herausforderungen der zentralen Kundendatenbank und der Datenqualität gelöst sind, können darauf aufbauend CRM-Systeme, zum Beispiel fürs Kampagnenmanagement, zielführend und ganzheitlich eingeführt und umgesetzt werden.




· Stärkere Integration von Marketing, Sales und Service: Wie stellt man Marketing, Verkauf und Service so auf, dass durch das Zusammenspiel in der Organisation der Kundenkontakt, die Opportunity, das Angebot und schliesslich der Auftrag zu günstigsten Kosten realisiert werden?



· Konzentration auf Business-Prozesse: Die Chef-Architekten führender Unternehmen beschäftigen sich inzwischen mit «Business Process Management». Die technische Architektur stellt heute die Prozesse in den Mittelpunkt, nicht mehr die Applikationen. Im Idealfall sind diese Prozesse am Kauf- und Wiederkaufprozess der Kunden ausgerichtet.



· Ausbau der branchenspezifischen Vertikalisierung bei den CRM-Lösungen – oder wie Microsoft es formuliert: «Ein weiterer Trend ist die zunehmende Vertikalisierung der angebotenen CRM-Lösungen». Auch Microsoft verfolgt diese Strategie aus nachvollziehbaren Gründen. Hersteller und Anwender wollen kein überladenes CRM, sondern massgeschneiderte Funktionen, die dem Anspruch der jeweiligen Branche entgegenkommen. Die Branchennähe überlässt Microsoft dabei seinen Partnern.


Kundendaten - Schmiermittel für den Unternehmenserfolg

Von jeher werden die finanziellen Angelegenheiten und Produktionsprozesse in den allermeisten Unternehmen von Anfang bis Ende kontrolliert. Das trifft leider nicht auf die Verarbeitung von Kundendaten zu. Die Qualität der Kundendaten ist jedoch der entscheidende Erfolgsfaktor für sämtliche CRM-Systeme. Der Begriff «Kundendatenqualität» klingt allerdings nicht gerade sexy und geniesst daher in der Unternehmensleitung noch wenig Aufmerksamkeit. Datenqualität ist die Gesamtheit der Qualitätsmerkmale eines Datenbestandes betreffend deren Eignung, definierte Erfordernisse zu erfüllen. Im Unternehmen gibt es drei Gründe, auf die Datenqualität zu achten:



· Steigerung der Effizienz: optimierte Prozesse, niedrigere Produktionskosten




· Bessere Strategieentwicklung: besser planbare und überwachbare Prozesse, bessere Entscheidungen, bessere Ausgangslage für Folgeprojekte wie Business Intelligence



· Bessere Zufriedenheit von Kunden, Mitarbeitern, Management und Revisoren


Mit ein Grund für die meist schlechte Datenqualität ausserhalb der Finanz- und Produktionsabteilung: Finanzen und Produktion wurden früher weitgehend autark geführt. Die ursprünglichen IT-Systeme waren lediglich für die angestammten Kernaufgaben der Produktion und Buchhaltung konzipiert. Bei der Betreuung und Bearbeitung von Kunden, Segmenten und Interessenten müssen dagegen viele verschiedene Menschen und Bereiche zusammenarbeiten. CRM bietet hier eine echte Chance, mittels zentraler Sicht und abteilungsübergreifender Kollaboration den Kunden mit seinem Anliegen nicht aus dem Fokus zu verlieren. So gesehen müsste die Kundendatenqualität bei Unternehmensleitern zunehmend an «Sex-Appeal» gewinnen.


Swiss CRM Forum 2007

Das Swiss CRM Forum findet dieses Jahr am 21. Juni und erstmals
im Zürcher Hallenstadion statt. Die Besucher erwarten 50 Aussteller, darunter Alcatel-Lucent, Microsoft,
Oracle, SAP und zahlreiche CRM-Spezialisten. Ergänzt wird die Ausstellung von einem Konferenzprogramm mit drei Tracks und ingesamt 15 Referaten. Ausserdem finden sich vier Networking-
Lounches. Ein besonderes Highlight ist die Präsentation der ZHW-Studie «CRM-Trends 2007».
Während der Zugang zur Aus-
stellung kostenlos ist, kostet
die Teilnahme an der Konferenz 490 Franken (exkl. MwSt.)


Info und Anmeldung unter
www.swisscrmforum.com.


Der Autor

Bozidar Miric ist unabhängiger CRM-Berater und Managing Director der Direct One Group.




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