Damit Fallstudien nicht zu Fallstricken werden


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/06

     

Mit feuchten Händen schüttelt Rolf K. dem Personalleiter die Hand. Seine Stimme zittert, auf seinem Hals kommen rote Flecken zum Vorschein. «Was wird man während des Vorstellungsgesprächs wohl von mir wissen wollen?», denkt er. Rolf bewirbt sich als Entwickler für .Net-
Lösungen bei einem Beratungsunternehmen. Nach zwei telefonischen Interviews hat er nun eine Einladung zum persönlichen Gespräch bekommen. Der Personalleiter und ein technischer Architekt aus dem Fachbereich erwarten ihn. Rolf ist pünktlich und mit Anzug und Krawatte korrekt gekleidet. Er hat ein Buch gelesen, was man beim Vorstellungsgespräch alles sagen darf – und was nicht. Obwohl Rolf sehr nervös ist, verläuft das Gespräch gut. Die roten Flecken und die feuchten Hände verschwinden.




Bis zu dem Moment, als der Personalleiter ein Papier auf den Tisch legt und erklärt, dass Rolf nun noch eine Fallstudie bearbeiten soll. Er soll sich schon mal in die Rolle eines Beraters versetzen und eine Aufgabe lösen, wie sie in einer realen Kundensituation auf ihn zukommen könnte. Rolf merkt, wie sein Herz bis zum Hals klopft, wie sich Schweisstropfen bilden. Darauf war er nicht vorbereitet. Er ist doch Hochschulabsolvent ohne Erfahrung! Wie soll er da mit einer Aufgabe aus dem Alltag eines Beraters umgehen können? Rolf hat 20 Minuten Zeit für die Vorbereitung. Danach soll er sein Ergebnis präsentieren. Er fängt an, die Aufgabe zu lesen, aber er kann sich nicht konzentrieren. Was wird von ihm erwartet? Worauf werden die Gesprächspartner achten?







Es sind mehrere Fragen zu beantworten. Auf einige weiss er auf die Schnelle keine Antwort. Die Zeit ist um. Rolf weiss gar nicht, wo er anfangen soll. Er geht zum Flipchart, fängt an, die Aufgabe vorzulesen – und bricht nach etwa fünf Minuten von sich aus ab.
Enttäuschung auf beiden Seiten. Ein Jobangebot erhält er nicht. Wie hätte er an die Fallstudie herangehen sollen? Was kann er beim nächsten Mal besser machen und worauf kommt es Personalentscheidern bei Fallstudien an?


Arbeitsprobe anhand realistischer Situation

Eine Fallstudie ist in erster Linie eine Art Arbeitsprobe. Viele Unternehmen nutzen dazu entweder eine realistische Situation aus der zu besetzenden Rolle oder konfrontieren den Bewerber mit einer Aufgabe, die völlig losgelöst ist von der künftigen Tätigkeit. Verlangt wird jedoch immer, ein Problem zunächst zu analysieren, zu strukturieren und danach eine skizzierte Lösung zu präsentieren.





Eine solche Fallstudie bietet dem Personalentscheider weitaus mehr Möglichkeiten als das reine Interview, das fachliche und persönliche Profil eines Bewerbers zu analysieren. Gibt es im Gespräch für den Bewerber Möglichkeiten, sein wahres Ich mit Floskeln und Phrasen, sein Nichtwissen mit Auswendiggelerntem zu verdecken, so muss er beim Bearbeiten einer Fallstudie die Karten auf den Tisch legen. Stellt sich also die Frage: Kann man sich auf Fallstudien überhaupt ausreichend vorbereiten? Ja, man kann.


Was Personalentscheider bewerten wollen

Zunächst sollte man wissen, welche Aspekte ein Personalentscheider mit dem Mittel der Fallstudie überhaupt bewerten will. Meist liegt das Hauptaugenmerk auf den folgenden Punkten:




- Fachwissen: Je nachdem, wie speziell die Fallstudie aufgebaut ist, bewertet der Beobachter, wie tief das Fachwissen beim Bewerber vorhanden ist.



- Analytische Fähigkeiten: Wie geht der Bewerber generell mit einer Problemstellung um? Erkennt er das Kernproblem? Welche Mittel nutzt er, um die Informationen zu strukturieren und auszuwerten? Stellt er eventuell noch ergänzende Fragen, bevor er mit seiner eigentlichen Präsentation beginnt, um sicherzugehen, dass er alle Aspekte berücksichtigt hat?




- Strukturierte Arbeitsweise: Wie baut der Bewerber seine Argumentation und seine Lösung auf? Schafft er es, Kernpunkte und Lösung auf den Punkt zu bringen?




- Soziale Kompetenz: Wie sensibel geht der Bewerber auf seine Gesprächspartner ein? Wählt er Formulierungen, die alle verstehen? Lässt er sich von provokativen Fragen aus dem Konzept bringen oder bleibt er sachlich und professionell?




- Kommunikative Fähigkeiten: Spricht der Bewerber laut und deutlich, in einer Sprache, die jeder versteht? Ist er in der Lage, die Präsentation notfalls auch in einer Fremdsprache zu halten? Setzt er sprachliche Impulse oder ist seine Tonlage monoton?




- Selbstbewusstsein: Wie geht der Bewerber unter Druck mit der Situation um, wie arbeitet er unter Zeitdruck? Bleibt er gelassen und konzentriert? Steht er selbstbewusst vor seinem Publikum?




- Präsentationsfähigkeiten: Wie baut der Bewerber seine Präsentation auf? Nutzt er visuelle Hilfsmittel (White Board, Flipchart...)? Wendet er sich seinem Publikum zu? Hält er Blickkontakt? Bezieht er sein Publikum mit ein?





- Anhand dieser Hauptaspekte haben die Personal- und Fachabteilung nach der Präsentation der Fallstudie eine solide Grundlage für die Einstellungsentscheidung. Auch lassen sich Ergebnisse durch die Verwendung einer einheitlichen Fallstudie bei mehreren Bewerbern valide vergleichen.


Die richtige Vorbereitung

Der Bewerber, der diese Aspekte kennt, weiss, worauf es ankommt und was bei dieser Art von Testverfahren evaluiert wird. Er kann sich darauf vorbereiten.
Zunächst einmal gilt es, einen kühlen Kopf zu bewahren, die Aufgabe im Detail durchzulesen und sich auf einem Nebenblatt oder am Rand erste Notizen zu machen. Nach dem Lesen der kompletten Aufgabenstellung sollte der Bewerber die Situation und die gegebenen Informationen strukturieren und die einzelnen Punkte auf einem gesonderten Blatt aufschreiben. Die Struktur der Präsentation könnte so aussehen:



- Wie sieht die Ist-Situation aus? Was ist die Ausgangslage?




- Was ist das Problem, welche Ursachen hat es?



- Könnten eventuell weitere Probleme auftauchen?



- Welche Informationen fehlen unter Umständen?



- Welche Massnahmen sind nötig, um das Problem zu lösen?



- Was muss bei der Umsetzung dieser Massnahmen beachten werden?



- In welcher Reihenfolge sollten die Massnahmen ergriffen werden?



- Welche Schnittstellen gilt es zu beachten?



- Welche Risiken gibt es?



Am Ende sollen die wichtigsten Punkte noch einmal zusammengefasst werden.


Hochschulabsolventen mit detailliertem Fachwissen?

Bleibt als letzte noch die Frage offen: Was ist mit dem Fachwissen? Das ist es in der Tat schwierig. Bezieht sich die Fallstudie auf Themen, bei denen man ohnehin der Experte ist, sollte man sein Fachwissen einfach strukturiert und zielgerichtet einbringen. Es gilt dabei, nicht alles vorzubringen, was man zum Thema weiss, sondern sich auf die gefragten Punkte zu konzentrieren. Beinhaltet die Fallstudie auch Themen, bei denen man sich nicht sicher ist, dann sollte man auf keinen Fall den Fehler machen, seinem Publikum falsche Thesen oder mutmassliche Lösungen zu verkaufen.





Das kommt schnell ans Licht und führt zur direkten Absage. Der Bewerber kann nämlich davon ausgehen, dass die Gesprächspartner die richtigen Lösungen kennen und sich nicht für dumm verkaufen lassen. Ausserdem ist die Fallstudie kein Schauspiel, sondern die Simulation einer realen Arbeits­situation. Was also tun, wenn man sich mit den Technologien oder dem Thema aus der Fallstudie nicht auskennt? Nun, die Ist-Analyse und die Problemstellung kann man dennoch strukturiert vortragen. Das ist schon mal ein grosser Teil dessen, worauf es ankommt. Gäbe es eine Alternativlösung mit einer anderen Technologie oder Methodik, dann sollte man diese vorschlagen und offen ansprechen, dass man eher auf diesem Gebiet der Experte ist. Die Personalentscheider erkennen dann, dass es sich um eine klugen Kopf handelt, der sich auch andere Technologien und Methodiken schnell aneignen kann.


Fazit

Letztlich bleibt noch einmal anzumerken, dass es in den meisten Fallstudien nicht darum geht, die einzige, perfekte Lösung zu präsentieren, denn oftmals gibt es mehrere Lösungen. Es kommt Personalentscheidern vielmehr darauf an, den Bewerber in einer Life-Situation agieren zu sehen. Die Lösung ist dabei, wie wir gesehen haben, nur ein Aspekt.
Und falls es am Ende doch nicht geklappt hat mit dem Jobangebot, dann sollte man sich von den Gesprächspartnern ein ausführliches Feedback geben lassen, woran es lag. Beim nächsten Mal lassen sich dann die gleichen Fehler vermeiden.


Die Autorin

Yasmine Limberger ist beim Systemintegrator Avanade verantwortlich für Marketing und Alliance Management. Sie erreichen sie unter yasminel@avanade.com.




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