Nicolas Guillet: Wo bleibt die Innovation bei Linux?

Linux basiert auf Jahrzehnte alter Unix-Technologie, und Gnome und KDE bieten im besten Fall einen schwachen Abglanz des Windows UI. Echter Innovationen auf technischem Gebiet gibt es nur wenige.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/20

     

Linux basiert auf Jahrzehnte alter Unix-Technologie. Gnome und KDE bieten im besten Fall einen schwachen Abglanz des Windows UI. Durch die vielen Linux-Distributionen wurde das alte Unix-Problem der unterschiedlichen Derivate noch verschlimmert.



Richtig ins Gewicht bei Linux fällt allerdings, dass es Open Source und mittlerweile zum Flaggschiff dieser Bewegung geworden ist. Ausserdem ist es im Prinzip gratis verfügbar, zumindest was die Lizenzgebühren betrifft.




Bezüglich echter Innovationen auf technischem Gebiet sehe ich im Kernel (für den eigentlich der Name "Linux" ausschliesslich verwendet werden sollte) wenig. Im Gegenteil: Die Organisation des Kernels ist bis heute nicht durchgehend modular und wird - allem Hype zum Trotz - von vielen vehement attackiert. Diese Kritiken kommen einerseits aus dem Microsoft-Lager, aber auch von seiten der FreeBSD-Entwickler. Sie bemängeln nicht nur Linux selber, sondern kritisieren auch die Entwickler, indem sie deren Source-Code analysieren sowie die Fehler und die dahinter liegenden Know-how-Schwächen aufzeigen.



Der Kernel ist aber nur ein kleiner Bestandteil einer Linux-Distribution. Daneben gibt es bald einmal tausend andere Module. Doch auch denen gehen herausragende Eigenschaften, sprich "Killer-Features" ab. Funktionen wie Display-Postscript, zu finden bei NeXTStep, fehlen ebenso wie ein voll integriertes objektorientiertes Dateisystem.



Bei Windows hat es zwar auch nie ein echtes "Killer-Feature" gegeben. Frühe Windows-Versionen konnten aber damit glänzen, dass sie eine grosse Anzahl unterschiedlicher Hardware unterstützten und zum ersten Mal ein vernünftiges einheitliches API für die meisten gängigen Drucker zur Verfügung stellten. Trotzdem hat dem aber auch Linux - abgesehen vom Preis - einiges entgegenzusetzen: So bietet es eine erstaunliche Unabhängigkeit von der Prozessor-Architektur und im Vergleich zu Windows eine gute Performance. Auch kommt es mit weniger RAM-Bedarf aus, bietet zusätzliche Einsatzmöglichkeiten auf Mainframes und erlebt derzeit eine starke Marktbeachtung.



Jedermann kann zudem den Source-Code von Linux an seine Bedürfnisse anpassen, was ich aber eher als Nachteil einstufen würde.


Linux-Entwicklungsumgebungen

Ist Linux überhaupt in der Lage, Vorteile für die Entwickler zu bieten? Abgesehen von Webentwicklungen mit PHP oder Perl leben Windows- und Linux-Programmierer in unterschiedlichen Welten. Unter Windows arbeiten nicht nur Visual-Basic-Entwickler mit grafischen Programmierumgebungen, welche mit integriertem Editor, Debugger, Profiler, Hilfe und Code Completion Features aufwarten. Letztere sind sehr praktisch: Sie zeigen beispielsweise bei einem Objekt alle verfügbaren Methoden inklusive deren Parameter an. Es liegt in der Natur der Sache, dass dieses Feature vor allem bei objektorientierten Sprachen Sinn macht.



Unter Linux findet ein erheblicher Teil der heutigen Entwicklung immer noch in C statt. C++ ist erst im Kommen und Java ist - im Vergleich zu anderen Plattformen - weniger stark vertreten. Ausser KDevelop und dem verfehlten und auch nicht besonders erfolgreichen Kylix gibt es keine IDEs, die häufig im Einsatz wären. Ein mehr oder weniger ausgereifter Editor wird bis heute von erstaunlich vielen Entwicklern bevorzugt - schliesslich braucht ein echter Hacker keine Hilfe beim Tippen von Code, Fehler werden keine gemacht und deshalb braucht's auch keinen Debugger und wenn schon einmal die Dokumentation zu Rate gezogen werden muss, ist man mit "man" ja schnell am Ziel.





Linux auf dem Desktop?

Dass sich Linux für Serveranwendungen sehr gut eignet, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Die grosse Frage bleibt, ob oder wann es auch auf dem Desktop einen substantiellen Marktanteil gewinnen kann. Interessant ist diesbezüglich seine Affinität zu Java: Zuerst war Java ebenfalls für Client-Anwendungen auf dem PC gedacht und wurde dann ebenfalls erst auf dem Server zum richtigen Erfolg. Java konnte dann im Markt der kleinen Geräte, beispielsweise Handsets, Microsoft überflügeln. Das gelingt nun auch Linux. Ein Beispiel wäre hier Sharps cooler Zaurus-PDA, der auf einer abgespeckten Distribution basiert. Es scheint, dass die Kombination von PC und Windows einfach zu erfolgreich ist, als dass sie ausgehebelt werden könnte. Mag sein, dass es vermehrt echte Desktop-Applikationen für Linux geben wird. Aber die Benutzerführung und das Feeling bei KDE und Gnome sind qualitativ noch ziemlich weit von Windows entfernt. Dennoch bin ich froh, dass Desktop-Linux in den Bereich des Möglichen gerückt ist. Das drückt mittelfristig den Preis von Desktop-Betriebssystemen und belebt die Konkurrenz, was schliesslich zu mehr Innovation führen dürfte.



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