Das Rüstzeug aus dem Internet

Nach dem Ende des Hypes wird jetzt der gezielte Teil-Einsatz von E-Learning-Werkzeugen praktiziert. Im Vordergrund steht dabei die Vermittlung von Basiswissen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/04

     

E-Learning steht in einer Reihe von Versuchen, Wissen digital und unabhängig von Ort und Zeit zu vermitteln. Was lange als Hype galt und vielfach auch kritisch beurteilt wurde, versucht man heute beispielsweise an der Universität Zürich gezielt in einzelnen Teilen der Ausbildung einzusetzen. Vor allem das Vermitteln von Grundlagen zur Vorbereitung von Klassenstunden scheint sich für das elektronische Lernen zu eignen. Die Marktforscher von IDC bescheinigen der digitalen Wissensvermittlung denn auch eine rosige Zukunft. So soll das umgesetzte Volumen bis ins Jahr 2005 weltweit auf rund 25 Milliarden Dollar ansteigen. Die Gründe liegen laut IDC in der enormen Geschwindigkeit, in der sich der heutige Wissensstand verbreitet. E-Learning soll dabei aber keineswegs die traditionellen Lehrmethoden ablösen, sondern vielmehr ergänzen. Es soll gemäss der IDC-Untersuchung die Werkzeuge dazu liefern, das Wissen jederzeit auf dem aktuellsten Stand zu halten.


Verbreitung durch technischen Fortschritt

Behörden, Schulen und Unternehmen haben die Notwendigkeit von E-Learning längst erkannt, wobei sich die Geschwindigkeit sowie die Kriterien für die Investitionen in das Lernen per Informationstechnologie unterscheiden. Die Economist Intelligence Unit hat in Zusammenarbeit mit IBM eine weltweite Untersuchung über den Einsatz von E-Learning bei den 60 führenden Wirtschaftsnationen durchgeführt. Für die Studie lag das Hauptaugenmerk auf den vier Kategorien Inhalte, Konnektivität, Leistungsfähigkeit und Kultur.




Die Verbreitung und der Fortschritt unterscheiden sich insbesondere in den technischen Voraussetzungen. Länder mit hoher PC-Verbreitung, Breitbandvernetzung sowie mobilen Kommunikationsmöglichkeiten haben natürlich gewisse Vorteile.
Die vordersten Plätze in der E-Learning-Rangliste belegen vorwiegend reiche Länder. Laut Studie liegt das daran, dass Länder mit einer hoher E-Learning-Eignung eine moderne und weit verbreitete IT-Infrastruktur aufweisen. Faktoren, die dazu kommen, sind fortgeschrittene Bildungssysteme sowie wettbewerbsintensive Märkte.
Schweden ist das E-Learning-Land Nummer eins. Auf dem zweiten Platz steht Kanada vor den USA. Es folgen Finnland, Süd-Korea, Singapur, Dänemark, Grossbritannien, Norwegen und auf dem zehnten Platz schliesslich die Schweiz (die komplette Studie, die unter dem Namen "The 2003 E-learning Readiness Rankings" erschienen ist, kann auf dem Web heruntergeladen werden).


Innovative Universität Zürich

Dieser zehnte Platz zeigt, dass hierzulande noch einiges an Potential schlummert. Dies erkennt man auch, wenn man beispielsweise die Aktivitäten der Hochschulen etwas genauer unter die Lupe nimmt. Als Paradebeispiel kann man die Universität Zürich anführen.
Die Uni blickt auf nunmehr fünf Jahre kontinuierliche E-Learning-Förderung zurück. Bereits 1995 wurde ein eigenes E-Learning-Center gegründet, das finanziell auch vom Bund unterstützt wird und auf mittlerweile über 100 unterstützte Projekte zurückblickt, darunter das mehrmals ausgezeichnete Internet-Lernprogramm Ad fontes (siehe Kasten).
Aus diesen Projekten resultierten rund 120 Veranstaltungen, die im aktuellen Wintersemester mit Blended Learning unterstützt wurden - Tendenz steigend. Unter Blended Learning bezeichnet man Lernkonzepte, die eine didaktisch sinnvolle Verknüpfung von traditionellem Klassenzimmerlernen und virtuellem Lernen auf Basis neuer Informations- und Kommunikationsmedien anstreben. "Die Uni Zürich will den Blended-Learning-Anteil im Verhältnis zum Normalunterricht bis 2007 auf 15 Prozent steigern", sagt Eva Seiler Schiedt, Leiterin des E-Learning-Centers der Universität Zürich. Das bedeutet aber auch, dass eine stabile strukturierte Supportstruktur nötig ist. Nebst dem E-Learning-Center gibt es an der Uni zum Beispiel eine neu geschaffene Stelle, die für den Betrieb und die Pflege der Lernplattformen und die Weiterentwicklung von Projekten wie zum Beispiel OLAT (Online Learning and Training) zuständig ist. Ausserdem wurde dort auch die Multimediaproduktion geschaffen. Diese ist zuständig für anspruchsvolleren Content, der mit E-Learning verknüpft werden soll.


E-Learning und Bologna-Reform

Weiter gibt es Instanzen, die in allen Konkordaten E-Learning fördern, insbesondere im Zusammenhang mit der Bologna-Reform. Das Ziel ist dabei, E-Learning in den neuen Lernformen zu verankern, die durch die Einführung der Bologna-Reform entstehen.
Ein Teil der Reform schreibt die Förderung der Mobilität der Studenten und Dozierenden vor. E-Learning bietet die technischen Voraussetzungen, die es überhaupt ermöglichen, dass ein Studierender beispielsweise an einer anderen Universität lernt als er eingeschrieben ist und dafür Kreditpunkte erhält - vorausgesetzt, die Hochschulen können sich auf gemeinsame Master-Anforderungen einigen. Allerdings entfällt durch E-Learning der Besuch von Hörsälen nicht. Der Student reist zwar weniger, aber wenn, dann nur noch mit gezielten Absichten. "Das volle Distance-Learning ist ein sterbender Zweig", sagt Seiler, die beobachten kann, dass von Fernstudienanbietern immer mehr Kontakträume geschaffen werden, wo sich die Studenten treffen.


E-Learning für die Grundlagen

Dass E-Learning als Ergänzung zum herkömmlichen Studium gedacht ist, kann auch Seiler bestätigen: "Überfüllte Hörsäle sind nicht der geeignete Ort für Fakten- und Grundlagenvermittlung. Durch E-Learning können sich die Lernenden selbständig auf den Praxisunterricht vorbereiten. Die Vorlesung dient dann noch zur Besprechung von konkreten Fällen." Viele E-Learning-Angebote sind denn auch auf Selbststudien ausgelegt.
Ein anderes Szenario ist der Einsatz von Groupware. Dabei werden Nachrichten und Dokumente elektronisch ausgetauscht, oft in Begleitung von einem Forum. "Dadurch werden auch die Dozenten entlastet", so Seiler. Ausserdem sind auch synchrone, interaktive Lehrangebote im Aufbau. Die Veterinärfakultäten der Universitäten Bern und Zürich bauen beispielsweise Infrastrukturen für interaktives Teleteaching auf. Das funktioniert ähnlich wie das Projekt Tokio Lecturers (siehe InfoWeek 22/2003), allerdings über Breitbandverbindungen, die nicht über das Web laufen.


In Zukunft für alle

Im Rahmen der Initiative Interaktives Lernen will die Universität E-Learning gezielt in besonders gefragten Fächern fördern. Dazu zählen unter anderem die Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, Publizistik, Betriebswirtschaft, Geschichte, Psychologie oder Germanistik. E-Learning soll aber nicht nur für Studenten Vorteile bringen. "Es gibt viele Möglichkeiten, die Angebote, die für Studierende entwickelte wurden, auch für die Weiterbildung einzusetzen", sagt Eva Seiler. Die Politik der Universität Zürich geht denn auch in Richtung Open Content. "Mit E-Learning wollen wir eine qualitative Verbesserung der allgemeinen Lernmethoden anstreben", so Seiler abschliessend.


Ad fontes lehrt die Archivdurchforstung

Das am Historischen Seminar der Universität Zürich entwickelte Internet-Lernprogramm Ad fontes konnte bereits zum zweiten Mal eine internationale Auszeichnung entgegennehmen. Nach dem Hochschulpreis Mediaprix, den das Projekt im Herbst 2002 einheimste, folgte nun der deutsche Bildungssoftware-Preis "digita 2004", der im Rahmen der Bildungsmesse in Köln verliehen wurde. Der Preis wurde in der Kategorie "Berufliche Aus- und Weiterbildung/Studium" verliehen und würdigt didaktisch und qualitativ hochstehende E-Learning-Arbeiten.



Das innovative Zürcher Projekt lehrt den Umgang mit handschriftlichen Quellen. Es ist als Ergänzung zum Grundstudium gedacht und für alle Interessierten kostenlos. Es soll die wissenschaftliche Neugier wecken und die nötigen Grundkenntnisse für den Archivbesuch vermitteln. Als Beispiel wird das Stiftsarchiv des Klosters Einsiedeln verwendet, das zu den bedeutendsten Privatarchiven Europas zählt. Für das Projekt wurden Dokumente aus einigen Jahrhunderten fotografiert und im Lernprogramm archiviert. Studierende können in einem Online-Lehrgang lernen, wie man sich in einem Archiv zurechtfindet, Schriftstücke sucht, liest und auswertet. Ziel ist es, sich die Grundlagen für die Archivarbeit anzueignen.




Ad fontes ersetzt keinen normalen Unterricht oder Bücher. Es ist vielmehr ein Beispiel dafür, wie das Internet den herkömmlichen Lehrplan ergänzen kann. Der Vorteil liegt in der Interaktivität des Internets, wodurch man sich optimal auf den Archivbesuch vorbereiten kann. Das Programm ist in die drei Bereiche Archiv (Übungen), Tutorium (Grundwissen) und Training (Lesen und Datieren von Quellen) unterteilt. Ausserdem gibt es ein Forum und eine Mailingliste.



Die Jury des "digita 2004" würdigt das Lernsystem als "Programm, das Studierende auf eine beispielgebende Weise an die Quellen des Wissens führt". Je nach Vorwissen und Interesse kann frei im Programm navigiert und zwischen den vernetzten Programmteilen gewechselt werden.



Die Benutzeroberfläche ist einfach und übersichtlich und verzichtet als textorientiertes Lernsystem auf eine Aufbereitung mit multimedialen Elementen. Weitere Kriterien für die Jury waren die auf authentischem Material basierenden praxisnahen Aufgaben und Hilfsmittel. Ad fontes kann online gleich ausprobiert werden.




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