Arbeitsstress macht krank
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/21
Seit bald drei Jahren strauchelt die IT-Branche und somit auch der IT-Stellenmarkt. Nach wie vor klingen Entlassungsmeldungen nicht ab. Die Konsolidierungsphase ist in vollem Gange. Stellen wurden und werden abgebaut - einerseits aus wirtschaftlich notwendigen Gründen, andererseits organisieren viele Unternehmen ihre Strukturen neu, um für den kommenden Aufschwung gerüstet zu sein.
Kein Job scheint in der momentan schwierigen wirtschaftlichen Lage mehr sicher zu sein. Kein Wunder, fühlen sich die IT-Angestellten zusehends unsicher und unter Druck gesetzt. Das aktuelle Thema löste denn auch zahlreiche, teils heftige Diskussionen aus. Seit Monaten melden sich beispielsweise in der Community auf InfoWeek-Online von der Situation direkt Betroffene zu Wort.
Die Arbeitslosen beklagen sich ob der scheinbar aussichtslosen Situation, wieder eine Anstellung zu finden. Und die, die in der glücklichen Lage sind, einer Arbeit nachgehen zu dürfen, klagen über zunehmenden Druck seitens des Arbeitgebers, unbezahlte Mehrarbeit und immer schlechtere Anstellungsbedingungen sowie sinkende Salärniveaus. "Ich habe die Arbeit, muss meinen Kopf hinhalten, bei längeren Systemausfällen Überzeit und unregelmässige Arbeitszeiten in Kauf nehmen, und das alles für einen Hungerlohn", beklagt sich ein Systemadministrator, der in einem KMU angestellt ist. Damit steht er nicht alleine da: "In den letzten Jahren legte mein Aufgabenbereich massiv zu - mehr Verantwortung, mehr Aufwand, mehr Arbeit, aber effektiv weniger Lohn", sagt ein anderer Angestellter, der die Verantwortung für den IT-Betrieb einer Regionalbank trägt. Ein weiterer IT-Fachmann, der in einem grossen Unternehmen angestellt ist, das zahlreiche Arbeitsplätze strich, beschreibt die momentane Situation in seinem Betrieb: "Um die geforderte Qualität und Mehrarbeit zu bewältigen, sind viele meiner Arbeitskollegen im Dauerstress." Mit anderen Worten: Durch das Streichen von Arbeitsplätzen fällt nicht weniger Arbeit an.
Bei den oben beschriebenen Beispielen handelt es sich keinesfalls um Einzelfälle. Die Liste unzufriedener, frustrierter und motivationsloser IT-Worker liesse sich fast unendlich weiterführen. Hinzu kommt die Angst, der nächste zu sein, der wegrationalisiert wird - ein idealer Nährboden für Mobbing.
Aus all diesen Faktoren geht ein Gesundheitsrisiko hervor, das nicht unterschätzt werden darf. Geradezu alarmierend präsentieren sich die jüngsten Zahlen der Schweizerischen Gesundheitsbefragung 2002 (SGB). Aus der Umfrage geht hervor, dass die Arbeitsbedingungen die Gesundheit der Bevölkerung wesentlich beeinflussen. Von den Erwerbstätigen leiden 44 Prozent unter starken nervlichen Anspannungen bei der Arbeit. Dabei ist mit 47 Prozent der Anteil der Männer etwas höher als derjenige der Frauen (41%).
Die Vielzahl der gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die durch nervliche Anspannung und grossen Stress am Arbeitsplatz hervorgerufen werden können, erstreckt sich von körperlichen Beschwerden wie Rücken-, Kopf- oder Brustschmerzen, Herzklopfen über Schlaf- oder Verdauungsstörungen bis hin zu psychischen Störungen wie Reizbarkeit, Nervosität oder Niedergeschlagenheit. Über starke körperliche Beschwerden klagen 38 Prozent der Frauen und 21 Prozent der Männer, die unter sehr grosser nervlicher Anspannung wegen ihrer beruflichen Tätigkeit leiden. Unter den weniger gestressten Erwerbstätigen sind es noch 20 respektive 13 Prozent. Die nervliche Anspannung schlägt sich auch auf das psychische Wohlbefinden nieder. 29 Prozent der Befragten klagen über grosse psychische Probleme.
Nicht nur die zunehmende Mehrbelastung am Arbeitsplatz schlägt auf die Gesundheit der Erwerbstätigen, auch die (zum Beispiel durch Massenentlassungen hervorgerufene) wachsende Unsicherheit in der Arbeitswelt generiert zahlreiche Ängste, die sich negativ auf das Wohlbefinden auswirken.
Laut der SGB befürchten 11 Prozent der Schweizer Bevölkerung, ihre Stelle zu verlieren. Dabei unterscheiden sich Männer und Frauen nicht stark. Am meisten Angst vor dem Verlust der Arbeitsstelle haben Männer im Alter von 45 bis 54 und Frauen im Alter von 35 bis 54 Jahren. 53 Prozent der Erwerbstätigen sind ausserdem der Ansicht, dass es schwierig ist, nach einem Arbeitsplatzverlust wieder eine gleichwertige Anstellung zu finden. Dieser Faktor wirkt sich insbesondere ab 35 Jahren angstverstärkend aus.
Die Auswirkungen auf die Gesundheit durch die Angst vor einem Stellenverlust sind ähnlich wie die arbeitsbedingte nervliche Anspannung. Rund 37 Prozent der Befragten, die grosse Angst haben, ihre Stelle zu verlieren, leiden an körperlichen Beschwerden wie Schlaflosigkeit, Kopf- oder Rückenschmerzen.
Die alle fünf Jahre vom Bundesamt für Statistik durchgeführte Befragung, wertet in der aktuellen dritten Auflage die Aussagen von 19'700 Personen aus. Insbesondere stehen dabei die gesundheitlichen Ansichten, der Lebensstil und die Bedürfnisse an Leistungen der Gesundheitsdienste im Mittelpunkt.
Die Schweizerische Gesundheitsbefragung (SGB) findet laut dem statistischen Mehrjahresprogramm des Bundes seit der Premiere 1992/93 alle fünf Jahre statt. Die Statistik wertet zahlreiche aktuelle Themen aus, darunter arbeitsbedingte gesundheitliche Probleme, Krankenversicherung, gesundheitliche Risikofaktoren wie Übergewicht, Alkohol- und Canabiskonsum oder auch aktives und passives Rauchen. Soeben ist beim BFS (Bundesamt für Statistik) eine Broschüre mit den detaillierten Ergebnissen erschienen. Weitere Informationen sind auf der Homepage des BFS zu finden.