Generalisten und Spezialisten im Clinch

Sind in Unternehmen heute eher IT-Generalisten oder IT-Spezialisten gefragt? Oder vielleicht doch beide? Und ist eine frühe Spezialisierung sinnvoll?

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/22

     

Während die Schulen noch ein möglichst breites Allgemeinwissen vermitteln, wird der Spe­zialisierungsgrad im Rahmen von Berufsausbildung und Studium immer profunder. Prinzipiell steht den meisten Schulabgängern heute die Möglichkeit offen, eine den eigenen Interessen und Talenten gemässe Ausbildung oder Studienrichtung wählen.
Doch auch ein anderer Trend lässt sich derzeit beobachten: Die Wahl der Ausbildungs- respektive Studienrichtung richtet sich nicht selten nach den gerade am Markt gesuchten Berufen. Sollte diese Orientierung an den gegebenen Marktanforderungen bei der Studien- beziehungsweise Ausbildungswahl tatsächlich der richtige Weg sein?


Vom Generalisten zum Spezialisten

Begeht man damit nicht vielmehr gleich auf der ersten Stufe der Karriereplanung einen Kardinalfehler? Sollten BWL-Studenten wirklich die Fachrichtung Controlling wählen, nur weil die Wirtschaftspresse während der Zeit des Hauptstudiums Controllern gute Berufschancen verheisst? Soll das Studienfach nur deshalb gewechselt werden, weil ein anderer Schwerpunkt auf besseren Verdienst hoffen lässt?


Die Antwort ist einfach: Auf gar keinen Fall! Denn Erfolg hat vor allem derjenige, der mit Begeisterung bei der Sache ist und seine Talente voll zum Einsatz bringen kann. Ein Genie wird nicht einfach dadurch zum Genie, dass es die aktuell gefragte Fachrichtung gewählt hat – Genialität liegt, wie der Begriff schon sagt, in den Genen. Darum gilt es vielmehr, diese Talente zu erkennen, zu fördern und später im Beruf erfolgreich und mit Spass an der Sache einzusetzen.





Ermöglicht unser Bildungssystem diesen Ansatz? Sicherlich dient eine Berufslehre beispielsweise zum Informatiker (generalistischer Ausrichtung) als gute Basis für den Berufseinstieg – mehr kann eine solche vierjährige Ausbildung jedoch nicht leisten. Auch ein Informatikstudium bereitet die Absolventen lediglich darauf vor, mit den vermittelten Kenntnissen verschiedener Programmiersprachen und dem angeeigneten, strukturierten Software-Engineering-Modell den Einstieg in die Praxis zu finden. Im Zeitalter des lebenslangen Lernens, vor allem aber in der schnellebigen Welt der Technologie, erscheint dies auch logisch und nachvollziehbar.


Spezialisierung beginnt erst im Beruf

Die eigentliche Spezialisierung beginnt also erst mit dem Eintritt ins Berufsleben. Jetzt entscheidet sich, ob man Standardprodukte oder individuelle Kundenlösungen entwickelt, ob man auf Basis von Java oder .Net programmiert, ob man für interne oder externe Kunden im Einsatz ist. Denn eines steht fest: Ein IT-Beruf ist immer ein Dienstleistungsberuf! Und der Kunde – unabhängig davon, ob er die interne Fachabteilung oder ein externer Enterprise-Kunde ist – bestimmt mit seinen Anforderungen die Richtung.


Was Kunden und Firmen heute brauchen

Natürlich ist jeder CIO daran interessiert, durch Einsatz der neusten Technologien und Produkte die langfristige Wettbewerbsfähigkeit seines Unternehmens zu sichern. Dabei werden die Anforderungen an Systeme und Programme immer komplexer und integrativer, zusätzlich müssen oft die Systeme und Anforderungen Dritter (Kunden, Lieferanten) berücksichtigt werden. Ein Entwickler findet demnach meist eine sehr heterogene IT-Landschaft vor, in die er seine spezielle Lösung einbauen muss.



Daraus liesse sich ableiten, dass Unternehmen heute nach Generalisten verlangen, die sich mit allen Plattformen auskennen – was zu viel verlangt wäre: Das gesamte Portfolio der derzeit verfügbaren Systeme bis ins Detail zu kennen, erweist sich als Ding der Unmöglichkeit. Deshalb sollte man in diesem Zusammenhang den Generalisten als eine Art Dienst­leister betrachten, der alle Systeme zumindest schon einmal gesehen und mit Teilen und Technologien daraus bereits praktisch gearbeitet hat. Somit hat er das benötigte Know-how, um die für den
Kunden optimale Technologie auszuwählen.


Die Spezialisten wiederum sind dann gefragt, wenn die komplexen Kundenanforderungen im Detail und mit der gewählten Technologie in eine Lösung umgesetzt werden, also etwa Schnittstellen exakt definiert und programmiert werden müssen. Spezialisten sind demnach gut ausgebildete Fachleute, die über profunde analytische Fähigkeiten verfügen und sich bereits frühzeitig auf eine Technologie oder ein Entwicklungsframework fokussiert haben. Sie sind in der Lage, komplexe Architekturen und daraus hoch performante, skalierbare Systeme zu entwickeln.




Kein Kunde wird allerdings für eine Dienstleistung zahlen, in die sich der Entwickler erst einmal selbst einarbeiten muss – er verlangt vielmehr eine Lösung, die sich sauber integriert und fehlerfrei arbeitet. Kunden wollen keine Programme mehr – sie erwarten Lösungen.
Und genau das macht den Unterschied: Die Ära der klassischen Programmierer ist vorbei, heute werden Lösungsentwickler gesucht. Denn einfache oder standardisierte Modulentwicklungen erfolgen längst in preiswerten Off-Shoring-Zentren. Um als Entwickler in diesem Konkurrenzkampf zu bestehen, sind sowohl die Bereitschaft als auch die Fähigkeit zu vernetztem Denken unabdingbar.


Fazit

Wer eine zügige Karriereplanung anstrebt, sollte bereits während seiner Ausbildungs- respektive Studienzeit den Bezug zur Praxis suchen und sich möglichst schon auf eine Technologie spezialisieren. Dazu sollten die verschiedenen Technologien gegenüber­gestellt und deren Entwicklung verfolgt werden. Die Grundvoraussetzung ist jedoch in jedem Fall, dass nicht nur der anvisierte Verdienst, sondern vielmehr echte Begeisterung der Motor des eigenen Handelns ist.



Entwickler sollten sich von Zeit zu Zeit durchaus selbstkritisch fragen: Programmiere ich noch, oder entwickle ich schon? Habe ich bei meinem derzeitigen Arbeit­geber die Möglichkeit, mich zum Experten weiterzuentwickeln? Oder springe ich nur in diversen Projekten hin und her, ohne jede Chance auf tiefere Einblicke und profunderes Wissen? Werde ich in meiner fachlichen Weiterbildung durch einen strukturierten Trainingsplan und regelmässige Zertifizierungen unterstützt? Können diese Fragen spontan
mit «Nein» beantwortet werden, dann ist es höchste Zeit für einen Jobwechsel.




Allerdings: Realistisch bleiben! Denn auch bei einem Jobwechsel ist man für den neuen Arbeitgeber nicht gleich automatisch der Spezialist. Zwar wählen viele Personalentscheider ihre Bewerber gezielt danach aus, ob sie eine solide Basis und damit schnelle Einsatzmöglichkeit in der bevorzugten Technologie mitbringen, aber das ist nur ein Teil des Anspruchs. Ein IT-Spezialist muss sich heute auch durch Offenheit, Flexibilität und hohe Lernbereitschaft auszeichnen und ein hohes Mass an Service- und Kundenorientierung mitbringen. Unternehmen suchen IT-Fachkräfte als Partner. Gurus haben dabei keinen Platz.


Die Autorin

Yasmine Limberger ist bei Avanade verantwortlich für Marketing und Alliance Management. Sie erreichen sie unter yasminel@avanade.com.




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