IT-Arbeitsmarkt vor der Kehrtwende
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/07
Die Stimmung in der IT-Branche steigt. Europaweit wird dem Technologiesektor für dieses Jahr eine glänzende Entwicklung vorausgesagt. Gemäss einer Studie, die von Eurocom Worldwide und Schwartz Public Relations herausgegeben wurde, planen 58 Prozent der befragten Unternehmen, in den nächsten zwölf Monaten neue Mitarbeiter einzustellen. Demgegenüber erwarten nur acht Prozent eher einen Rückgang bei den Neueinstellungen. Ein Drittel der rund 300 befragten Entscheidungsträgern aus 20 europäischen Ländern befürchtet, dass die Suche nach Mitarbeitern schwieriger wird, weil qualifiziertes IT-Personal weniger frei verfügbar ist. Vor allem Software-Spezialisten, Projektmanager und Verkaufsmitarbeiter dürften schwer zu finden sein.
Der Wirtschaftsaufschwung bestätigt sich auch in der Schweiz. So hat das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) seine Prognosen für das Bruttoinlandprodukt erhöht. Für das laufende Jahr wird von einem Wirtschaftswachstum von 2 Prozent anstatt der ursprünglich prognostizierten 1,8 Prozent ausgegangen. Der Aufschwung soll sich endlich auch auf den Arbeitsmarkt auswirken. So rechnet das seco damit, dass sich die Erholung auf dem Arbeitsmarkt in diesem Jahr weiter festigen wird. Die Arbeitslosenquote soll im Jahresverlauf 2006 von 3,8 auf 3,4 sinken. Für 2007 werden noch 3,1 Prozent erwartet.
Kaum sind erste Anzeichen einer positiven Wirtschaftsentwicklung zu spüren, beklagen einige Arbeitgeber bereits wieder einen Mangel an IT-Fachleuten. Unmittelbare Konsequenzen davon sind steigende Löhne. Dies bestätigt etwa eine Untersuchung der Unternehmensberatung Towers Perrin, die zusammen mit der deutschen «Computerwoche» die IT-Management-Gehälter bei unserem wichtigsten Handelspartner Deutschland untersuchte.
Das eindeutige Fazit der Studie lautet: Über alle Hierarchiestufen hinweg werden in der IT-Branche wieder höhere Saläre bezahlt. Die Rede ist von einem Plus von 1 bis 2 Prozent in den unteren Stufen und sogar bis zu 3,8 Prozent bei den IT-Führungskräften. Dabei liegt die Schweiz im europäischen Vergleich nach wie vor an der Spitze. Gemäss Studie darf sich ein Unternehmensleiter auf ein Grundgehalt von durchschnittlich 270’000 Euro freuen. Rechnet
man Provisionen, Boni etc. dazu, kommt dieser im Schnitt auf
ein Zielgehalt von 449’000 Euro. Eine Stufe tiefer, bei den Abteilungsleitern, sind es noch 104’000 Euro Jahresgehalt (Zielgehalt 124’000).
Towers Perrin rät Kandidaten, sich bei einem Bewerbungsgespräch auf das Thema Lohn gut vorzubereiten. Während 25 Prozent der IT-Firmen in den
Krisenzeiten Nullrunden eingeführt hätten, sei dieser Trend eindeutig rückläufig. Ausserdem liessen immer mehr Unter-
nehmen Ausnahmeregelungen
für ihre Leistungsträger zu. Bis zu 20 Prozent der Arbeitnehmer können sich deshalb auf überdurchschnittliche Gehaltserhöhungen freuen, so die Studienverfasser.
Auch wenn Geld sicher kein schlechtes Argument ist, um die besten Mitarbeiter bei der Stange zu halten, ist es in den meisten Fällen damit langfristig nicht getan. Personalverantwortliche müssen sich wieder mehr darum bemühen, ihre besten Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden. Denn die positiven Wirtschaftsprognosen bringen Bewegung in den Arbeitsmarkt. Dies zeigt beispielsweise der Schweizer HR-Barometer, der erstmals von der Universität Zürich in Zusammenarbeit mit der ETH die Befindlichkeit der Schweizer Arbeitnehmer untersucht.
Die Resultate sind interessant und alarmierend zugleich. Gemäss der Studie, die rund 970 persönliche Interviews auswertet, überlegt sich ein Viertel der Schweizer Arbeitnehmer ernsthaft die Kündigung. Die Kündigungsneigung ist vor allem bei jüngeren Personen mit einem hohen Ausbildungsabschluss überdurchschnittlich ausgeprägt. Angesichts dieser Ergebnisse könnte man annehmen, dass es um das Arbeitsklima in Schweizer Unternehmen äusserst schlecht bestellt ist. Studien-Mitautor Bruno Staffelbach stellt aber überraschend fest: «Das Arbeitsklima ist besser als man eigentlich als Massenmedienkonsument gemeint hat. Denn mehr als 50 Prozent der Umfrageteilnehmer sind mit ihrer Arbeit sehr zufrieden.» Die Überraschung rührt daher, dass sich die Interessen der Massenmedien an Grossunternehmen orientieren. Meldungen über Massenentlassungen, Umstrukturierungen, Übernahmen usw. stehen dabei meist im Vordergrund. «Die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung ist aber in kleinen und mittleren Unternehmen tätig», so Staffelbach, der an der Universität Zürich den Lehrstuhl für Human Resource Management innehat.
Die kleinen Unternehmen sind es denn auch, die gemäss HR-Barometer von den Kündigungsabsichten besonders stark betroffen sind. Doch auch in Unternehmen, die in der Vergangenheit einen Stellenabbau zu verzeichnen hatten, ist die Kündigungsneigung höher. Dies verdeutlichet, dass ein Personalabbau bei den nicht direkt betroffenen Mitarbeitenden ebenfalls negativ im Gedächtnis haften bleibt. Die Resultate zeigen weiter, dass gerade diejenigen Mitarbeitenden mit guten Chancen auf dem Arbeitsmarkt eine bessere Wirtschaftsentwicklung mit einem Wechsel des Arbeitgebers zu nutzen versuchen.
Ob die vorliegenden Zahlen Anlass zur Sorge geben, ist schwer zu beurteilen. Denn Vergleichszahlen gibt es noch nicht. «Der Barometer ist der Start einer jährlichen Erhebung, spannend wird es erst in den nächsten Jahren», sagt Staffelbach, der sich vor allem für die Veränderungen interessiert. Diese unterliegen auch anderen Faktoren, da sich die Untersuchung im wesentlichen auf die Zufriedenheit am Arbeitsort in Abhängigkeit von persönlichen Voraussetzungen und in Abhängigkeit der Personalpolitik der Firma konzentriert.
Um einem eigentlichen Kündigungstrend entgegenzuwirken, rät Staffelbach den Unternehmen, aktive Personalentwicklung zu betreiben und die Mitarbeiter partizipativ zu führen, indem sie stärker in die Informationsflüsse und Entscheidungen des Unternehmens miteinbezogen werden. Denn die Analyse zeigt, dass Mitarbeitende, die einen partizipativen Führungsstil geniessen, sich seltener eine Kündigung überlegen. Zudem sei es wichtig, dass sich die Unternehmen intensiv mit der Betreuung der Mitarbeiter auseinandersetzten.
Erstmals haben die ETH und die Universität Zürich den Schweizer Human-Relations-Barometer veröffentlicht. Der Barometer wird von einem wissenschaftlichen Forschungsteam unter der Leitung von Gudela Grote, Professur für Arbeits- und Organisationspsychologie der ETH Zürich, und Bruno Staffelbach, Inhaber des Lehrstuhls für Human Resource Management an der Universität Zürich, in einem jährlichen Turnus herausgegeben. Die 2006er Ausgabe misst im wesentlichen das Arbeitsklima in Schweizer Unternehmen. Untersucht werden Themen wie Arbeitszufriedenheit, Motivation, Arbeitsflexibilisierung, psychologischer Vertrag, Personalentwicklung, Organisation des Human Resource Management oder auch Karriereorientierungen. Er stützt sich auf die persönliche Befragung von rund 970 Arbeitnehmenden.
ISBN: 3-03823-228-5; 108 Seiten; NZZ Libro; Fr. 120.-