Personenfreizügigkeit zeigt erste Wirkung

In der Schweiz gibt es bereits jetzt zu wenig ausreichend qualifizierte Informatiker. IT-Profis aus dem EU-Raum finden deshalb immer häufiger den Weg zu uns. Diese drücken aber auch auf die Tarife.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/04

     

«Die erweiterte Personenfreizügigkeit hat dazu geführt, dass die Informatik-Bewerbungen aus dem EU-Raum markant zunahmen», kommentiert Claude Bosshard eine der wichtigsten Erkenntnisse aus der jüngsten Auswertung des Branchenbarometers von SwissPRM. Bosshard ist frisch gewählter Präsident von SwissPRM (Verband schweizerischer Projekt Ressourcen Manager) und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Bosshard und Partner.
Demgegenüber nahmen die Bewerbungen von Schweizer Informatikern – wenn auch nur gering – ab. Die Frage, ob es in der Schweiz nicht mehr genügend Informatiker gibt, bejaht Bosshard ohne zu zögern.






Dass die Auswirkungen der Personenfreizügigkeit in der Schweizer IT-Branche so schnell zu spüren sind, wertet Bosshard dennoch positiv. «Dank der Möglichkeit, dass Ausländer vereinfacht in der Schweiz arbeiten können, bleibt die Informatik von vielen Grossunternehmen in der Schweiz», sagt er. Denn die Menge der benötigten Informatikern könne man im Moment nur durch ausländische IT-Spezialisten kompensieren. Nicht, dass es an der Auswahl fehlen würde, vielmehr mangelt es an der Qualifikation der hiesigen Informatiker. «Die Schweizer Wirtschaft braucht die Leute aus dem EU-Raum, weil diese Branchenwissen aus Banken und Versicherungen mitbringen, verknüpft mit einer guten Ausbildung», so Bosshard. Diese Qualifikationen suche man bei den Schweizern oft vergebens, was auch dazu führe, dass es zunehmend mehr arbeitslose Schweizer Informatiker gebe.


Wertvolles Branchenwissen

Die Länder, aus denen die Spezialisten zu uns kommen, sind in der Hauptsache Deutschland, Österreich und England. Einerseits ist dies auf die Sprache zurückzuführen: Deutsch als Kommunikationssprache oder eben Englisch, die inoffizielle Branchensprache. Andererseits, und dies sei viel wichtiger, so Bosshard, bringen beispielsweise die Deutschen Wissen und Ausbildungen mit, die es in der Schweiz gar nicht gibt. Dabei verwundert dies kaum, wurden doch viele Branchenlösungen im Banken- und Versicherungsumfeld in Deutschland entwickelt. Und gerade diese Branchen sind es auch, in denen die Nachfrage nach IT-Consulting-Services gemäss Branchenbarometer in den letzten sechs Monaten erneut stark zunahmen. Alle anderen Branchen stagnierten mit einer überraschenden Ausnahme: der Industrie. Dabei zieht insbesondere der Maschinenbau sowie der Bereich Elektronik/Steuerungen an. «Die Schweiz exportiert wieder mehr, wovon die Wirtschaft profitiert. Das führt zu mehr Aufträgen und somit auch zu zusätzlichen Bedürfnissen in der Industrie», kommentiert Bosshard die erfreuliche Entwicklung.





Zunahme des IT-Personalbedarfs nach Berufen


Sinkende Tarife trotz hoher Nachfrage

Dies darf aber nicht über die Notwendigkeit hinwegtäuschen, dass Schweizer Informatiker sich Mühe geben müssen. Der Zustrom aus der EU und auch anderen Ländern wird nicht so schnell abflauen. Denn die Schweiz wird gerade in der IT nach wie vor als Hochpreisland angeschaut. «Die Deutschen verdienen bei uns verhältnismässig gut», sagt Bosshard. Dies hat wiederum Auswirkungen auf die Stunden- und Tagesansätze, die gemäss Branchenbarometer trotz steigender Nachfrage tendenziell abgenommen haben. Bosshard erklärt dies schlicht damit, dass Ausländer günstiger arbeiten, wobei auch hier gelte, dass es keine Regel ohne Ausnahme gebe. So können etwa Fachspezialisten mit gutem Versicherungs-Know-how bei uns überdurchschnittlich verdienen, während es in ihrem eigenen Land weniger Projekte sowie einen Überfluss an entsprechend qualifizierten Mitarbeitern gebe.





Bewerber und Stundenansätze


Mangelnde Flexiblilität

Die Ausländer, insbesondere die Deutschen, haben Schweizer IT-Angestellten aber noch etwas voraus. «Die Deutschen haben bedingt durch ihre Sprache ein gewisses Selbstbewusstsein, das bei den Schweizern fehlt», bringt es Bosshard auf den Punkt. Mit anderen Worten: Unsere nördlichen Nachbarn verkaufen sich besser. Ausserdem spricht der SwissPRM-Präsident ein weiteres, in der Branche oft vernachlässigtes Problem an: «Da viele Firmen global agieren, muss ein Informatiker geografisch sehr beweglich sein. Die Ausländer sind in dieser Beziehung erfahrungsgemäss oft flexibler als die Schweizer.»
Um den Anschluss nicht zu verlieren, rät Bosshard den Schweizer Informatikern, sich weiterzubilden und auf bestimmte Branchen zu konzentrieren. Denn gerade das Bedürfnis nach Branchenwissen werde noch mehr zunehmen. Nicht zuletzt auch durch die Tatsache, dass das Offshore-Geschäft einige Aufträge aus der Schweiz etwa nach Indien trägt, sei es wichtig, dass hierzulande Dienstleistungen in Ergänzung zu diesen Offshore-Projekten erbracht werden.


Prognosen

Gemäss den Branchenbarometer-Prognosen für die nächsten sechs Monate wird insbesondere die Nachfrage nach externen Informatikern aus den Bereichen Business Analytiker, Projektleiter und Testmanager sowie auch bei SAP-, Baan-, Siebel- und PeopleSoft-Spezialisten zunehmen. Der Bedarf nach den übrigen Spezialisten stagniert und nimmt bei PC- und Netzwerk- sowie Host-Spezialisten gar ab.
Die Kundenprojekt-Aussichten stehen bei Banken und Versicherungen sowie auch in der Industrie tendenziell gut. In den übrigen Branchen bleibt die Auftragslage stagnierend.
SwissPRM prognostiziert schliesslich für das erste Halbjahr 2006 eine erheblich zunehmende Nachfrage nach externen Informatikern, die stark durch ausländische Mitarbeiter abgedeckt wird.




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