Zur Nutzung der Fuzzy Logic im Marketing
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2010/04
Entscheidungsfragen lassen sich bei anspruchsvollen Managementaufgaben nicht immer mit ja oder nein beantworten. Vielmehr geht es um ein Abwägen unterschiedlicher Einflussfaktoren und die Antwort für eine Problemlösung lautet oft «ja unter Vorbehalt» oder «sowohl als auch». Mit anderen Worten: Die Antwort ist unscharf (fuzzy), sie ist nicht in jedem Fall richtig oder falsch.
Die unscharfe Logik entspricht der menschlichen Wahrnehmung: Sie vermag neben quantitativen Grössen qualitative Einschätzungen mit einzubeziehen. Um Entscheidungsfindung bei vagem Sachverhalt in Informationssystemen zu ermöglichen, müssen Managementmethoden mit unscharfen Konzepten erweitert werden.
Das Forschungszentrum Fuzzy Marketing Methods der Universität Fribourg möchte den Prozess der Entscheidungsfindung im betriebswirtschaftlichen Umfeld und Marketing mit Hilfe der unscharfen Logik verbessern und damit den Unternehmenswert langfristig erhalten und steigern. Ein einfaches Beispiel der Kundensegmentierung soll dies veranschaulichen.
Abbildung 1 zeigt eine scharfe Kundenklassifikation anhand der beiden Bewertungskriterien Umsatz und Treue. Die beiden Kriterien werden in Äquivalenzklassen unterteilt: Beim Umsatz wird der Wertebereich von 0 bis 1000 CHF halbiert, entsprechend werden zwei Klassen bei der Treue gebildet, nämlich eine positive und eine negative Klasse. Diese Partitionierung ergibt die vier Äquivalenzklassen C1, C2, C3 und C4.
Das Kundenbeziehungsmanagement bezweckt, anstelle produktbezogener Argumentationslisten und Anstrengungen, die kundenindividuellen Wünsche und das Kundenverhalten mit einzubeziehen. Sollen Kunden als Vermögenswert aufgefasst werden, so müssen sie entsprechend ihrem Markt- und Ressourcenpotenzial behandelt werden. Mit scharfen Klassen, also traditionellen Kundensegmenten, ist dies kaum möglich, da alle Kundinnen und Kunden in einer Klasse gleich behandelt werden. In Abbildung 2 beispielsweise besitzen Becker und Huber einen ähnlichen Umsatz und zeigen ein ähnliches Treueverhalten.
Trotzdem werden sie bei einer scharfen Segmentierung unterschiedlich klassifiziert: Becker gehört zur Premiumklasse C1 und Huber zur Verliererklasse C4. Zusätzlich wird der topgesetzte Kunde Schweizer gleich behandelt wie Becker, da beide zum Segment C1 gehören. Eine scharfe Kundensegmentierung lässt auch für Kunde Schweizer eine kritische Situation entstehen. Er ist im Moment der profitabelste Kunde mit ausgezeichnetem Ruf, wird aber vom Unternehmen nicht entsprechend seinem Kundenwert wahrgenommen und behandelt.
Die hier exemplarisch aufgezeigten Konfliktsituationen können entschärft oder eliminiert werden, falls unscharfe Kundenklassen gebildet werden. Die Positionierung eines Kunden im zwei- oder mehrdimensionalen Datenraum entspricht dem Kundenwert, der jetzt aus unterschiedlichen Klassenzugehörigkeitsanteilen besteht.
Abbildung 2 illustriert eine unscharfe Kundenklassifikation, wobei für das Bewertungskriterium Umsatz die beiden Zugehörigkeitsfunktionen µgross für einen Umsatz zwischen 500 und 1000 CHF und µklein für einen Umsatz unter 500 CHF gewählt wurden. Entsprechend sind für die beiden Äquivalenzklassen der Treue ebenfalls Zugehörigkeitsfunktionen festgelegt; so beschreibt µpositiv die Mengenzugehörigkeit für herausragende Kundentreue und µnegativ für eine schwache oder schlechte Treue.
Bei der unscharfen Kundenklassifikation kann für einen bestimmten Kunden sein Treuekriterium gleichzeitig positiv und negativ sein; zum Beispiel ist die Zugehörigkeit von Becker zur unscharfen Menge µpositiv 0.66 und diejenige zur Menge µnegativ ist 0.33. Der Treuegrad von Becker ist also nicht ausschliesslich positiv oder negativ wie bei scharfen Klassen. Die Zugehörigkeitsfunktionen µpositiv und µnegativ bewirken, dass der Wertebereich der Treue unscharf partitioniert bleibt. Analog ist der Wertebereich des Umsatzes durch die beiden Zugehörigkeitsfunktionen µgross und µklein unterteilt. Dadurch entstehen Klassen mit kontinuierlichen Übergängen.
Unscharfe Kunden- oder Produktklassifikationen erlauben, der Individualisierung des elektronischen Massenmarktes (Mass Customization) besser gerecht zu werden. Da jeder Kunde im mehrdimensionalen Klassifikationsraum einen individuellen, eventuell aggregierten Kundenwert aufweist, können Differenzierungen im Kundenbeziehungsmanagement vorgenommen werden. Gleichzeitig ist es möglich, Klassen oder Teilklassen von Kunden mit ähnlichem Kaufverhalten oder mit ähnlichen Produktpräferenzen zu extrahieren, um gezielte Marketingkampagnen durchführen zu können.
Die Erläuterungen zur unscharfen Kundensegmentierung und erste erfolgreiche Fallstudien aus dem betrieblichen Alltag untermauern das Potenzial der unscharfen Logik. Zusammengefasst ergeben sich die folgenden Vorteile bei unscharfen Marketingmethoden:
• Für unscharfe Auswertungen und Analysen können die Marketingspezialisten und Anwender ihre gewohnten Begriffe verwenden (zum Beispiel linguistische Variable «Umsatz» mit den Termen «gross» und «klein»). Erweiterte Klassifikationsabfragen (beispielsweise «Extrahiere alle Kunden mit grossem Umsatz und positiver Treue») sind intuitiv und einfach durchführbar.
• Der Einbezug vager oder unvollständiger Sachverhalte in den Entscheidungsfindungsprozess ist möglich. Zum Beispiel erlauben unscharfe Methoden, qualitative und subjektive Einschätzungen der Kundenbeziehungen zu modellieren. Die Berücksichtigung weicher Indikatoren erlaubt, die Entscheidungsfindungsprozesse zu differenzieren und zu verbessern.
• Kunden mit Entwicklungspotenzial werden frühzeitig erkannt. Bei scharfen Klassifikationsgrenzen fallen Kunden mit Potenzial kaum auf, da alle Kunden pro Klasse dasselbe Rating bekommen. Falls ein qualifizierendes Merkmal für die Kundenklassifikation schlecht oder wenig ausgeprägt ist, kann es vorkommen, dass der Kunde eine schlechte Gesamtbewertung erhält. Mit der Hilfe von Mengenzugehörigkeitswerten werden nicht nur Kunden mit Potenzial, sondern auch gefährdete Kunden frühzeitig erkannt.
• Der Trend nach individualisierten Produkten und Dienstleistungen ist speziell im elektronischen Markt ungebrochen. Allerdings sollten individualisierte Angebote und Dienstleistungen fair sein: Nachfrager mit ähnlichem Kundenwert sollten ähnliche Preise oder Rabatte erhalten. Da die Mengenzugehörigkeit (Kundenwert) für jeden Kunden individuell berechnet werden kann, bietet die unscharfe Logik ein erfolgversprechendes Personalisierungskonzept.
Das Potenzial der unscharfen Logik im betriebswirtschaftlichen Umfeld ist gross. Neben Problemstellungen aus dem Marketing lassen sich Fragen des Risikomanagements, der Qualitätssicherung oder der Kreditvergabe ebenfalls mit Unschärfe behandeln. Es bleibt zu hoffen, dass die unscharfe Logik nach dem Erfolg in vielen technischen Anwendungen sich bei den Managementmethoden ebenfalls durchsetzt.
Andreas Meier ist Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität Fribourg. Seine Arbeitsgebiete sind Electronic Business, Daten- und Informationsmanagement.
andreas.meier@unifr.ch , http://diuf.unifr.ch/is/fmsquare
Forschungszentrum Fuzzy Marketing Methods
Das Forschungszentrum Fuzzy Marketing Methods (www.FMsquare.org) der Universität Fribourg wird von den Lehrstühlen Marketing (Prof. Dr. Silke Bambauer-Sachse), Quantitative Wirtschaftsforschung (Prof. Dr. Laurent Donzé) und Wirtschaftsinformatik (Prof. Dr. Andreas Meier) getragen. Es beschäftigt im Moment sechs Doktoranden mit den Forschungsthemen Fuzzy Segmentation of Online Customers, Fuzzy Performance Measurement & Web Analytics, Fuzzy Data Warehousing, Fuzzy Prediction, Fuzzy Recommender Systems und Fuzzy Weblog Extraction.
Im Forschungszentrum FMsquare sind erfolgreiche Fallstudien mit Firmen wie Swisscom, Postfinance, coop Schweiz und weiteren durchgeführt worden. Das Zentrum ist offen für unterschiedliche Zusammenarbeitsformen und interessiert, gemeinsam mit Unternehmen und Organisationen die unscharfen Methoden im Feldversuch auszutesten und zu bewerten. Verschiedene Softwareprodukteteile stehen zur Verfügung und können unverbindlich und kostenlos genutzt werden.