«Es werden grosse Veränderungen auf uns zukommen»

Ob Contactless Payment oder Self Scanning, im Detail-handel verändert sich aktuell einiges. Für Manor und CIO Jürg Bloch sind das keine Fremdworte, im Gegenteil.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2010/03

     

Swiss IT Magazine: Herr Bloch, Sie sind ausgebildeter Detailhandelskaufmann und Informatiker. Optimale Voraussetzungen also, die IT eines Detailhändlers wie Manor zu führen, nicht?


Jürg Bloch: Dass ich über grosse Kenntnisse im Detailhandel und in der IT verfüge, ist sicher kein Nachteil und in meinem sowie dem Interesse des Unternehmens. Mein Prozessverständnis reicht dadurch über die gesamte Wertschöpfungskette. Ich weiss, was unsere Mitarbeiter auf der Verkaufsfläche benötigen und wie die IT ihnen helfen kann.


Wie wird ein Kaufmann zum Informatiker?


Als Kaufmann war ich IT-Nutzer und habe mich, wie viele andere auch, über die IT geärgert. Gleichzeitig habe ich mich aber gefragt, was man besser machen könnte, und bin so in die Informatik «reingerutscht». 1984, bei meinem damaligen Arbeitgeber Rediffusion, begann ich also mit der Entwicklung eines Kassensystems und der Abbildung der Filialprozesse. Berufsbegleitend absolvierte ich etwas später die Ausbildung zum Informatiker.


Vor über 20 Jahren, nach Abschluss Ihrer IT-Weiterbildung, stiessen Sie zum Warenhaus Manor. Wieso dieser Schritt?


Wenn man wie ich im Detailhandel tätig war bzw. ist, dann ist Manor ein grosser Name, ein Unternehmen, für das man gerne arbeiten möchte. Ich habe die Chance damals sofort wahrgenommen, als sie da war. Auch weil es sich um eine attraktive Stelle handelte: Bei Manor wurde erstmals eine unternehmens-übergreifende Abteilung zum Management der IT eingeführt. Ich konnte das Amt des Leiters Benutzerservice übernehmen und war schon bald Vize-IT-Direktor. Zu meinen ersten Aufgaben gehörte damals, ich erinnere mich, die Einführung der ersten PCs. Damit lösten wir langsam die Terminals ab. Zu der Zeit starteten wir in den Manor-Filialen auch den Verkauf der ersten PCs.

Nach acht Jahren bei Manor verliessen Sie das Unternehmen, um 2004 als Direktor Informatik zurückzukehren. Was war geschehen?


Bei Maus-Frères, dem Manor-Mutterhaus, wird das Prinzip der Job-Rotation grossgeschrieben und gefördert. Auch ich nahm nach meinen ersten acht Jahren bei Manor die Gelegenheit wahr, in ein paar andere Unternehmen der Gruppe zu blicken. So führte ich ab 1997 das Möbelhaus Fly in der Schweiz ein und war ab 2001 bei Carrefour für die IT und Administration tätig. Als Anton R. Hafner, der 1989 zusammen mit mir bei Manor angefangen hat, 2004 nach 15 Jahren als Direktor Informatik von Manor in Pension ging, kehrte ich nach Basel zurück und übernahm seine Stelle.


Wie ist der CIO bei Manor ins Business, also in die Geschäftsleitung eingebunden?


Als Direktor IT bin ich Mitglied der Geschäftsleitung und dem stellvertretenden Generaldirektor unterstellt. Ich finde, dass der direkte Zugang in die Entscheidungsgremien und ein Mitspracherecht sehr wichtig sind für einen CIO. Weiter schätze ich es, dass Manor beziehungsweise Maus-Frères ein Familienunternehmen ist. Die Kommunikation ist aufgrund unserer Firmenkultur sehr offen und es gibt viele direkte Kontakte, in alle Abteilungen.


Sind Sie Mitglied in Verbänden?


Für uns sind in erster Linie die IT-Gruppierungen innerhalb grosser, internationaler Retail-Branchenverbände wie beispielsweise die International Association of Department Stores interessant. Dort können wir uns mit anderen IT-Spezialisten grosser Kaufhäuser wie Globus, Lafayette oder Kaufhof austauschen. Konkurrenten sind wir in der IT nur am Rande. Reine IT-Verbände sind zwar auch spannend, doch die Interessen gehen dort sehr schnell auseinander, weshalb wir solche mit einem direkten Fokus auf unser Kerngeschäft bevorzugen.

Wie sieht Ihre IT-Abteilung aus?


In der IT-Abteilung von Manor arbeiten insgesamt 147 Personen. In der Schweiz sind es derzeit 124, davon acht Lernende der Informatik. Weiter gehören zu meinem Team 14 Mitarbeitende von Advanced Retail Solutions, einem IT-Unternehmen aus Graz (Österreich), an dem wir beteiligt sind. Und dann wäre da noch die Manor Software GmbH in Zagreb (Kroatien) mit ihren neun Angestellten.


Die IT von Manor ist komplett hier in Basel in zwei Rechenzentren zentralisiert. In den Filialen ist ausser den Systemen für die kundennahen Prozesse, dazu gehören beispielsweise Kassenserver, nichts mehr. Eines der beiden RZ befindet sich in Kleinbasel, das andere in Grossbasel. Für Nicht-Basler: Eines steht links des Rheins, das andere rechts. Wir arbeiten nicht vollständig redundant, allerdings sind die verschiedenen Systeme so verteilt und ins-talliert, dass auch bei einem Ausfall alles innert kurzer Zeit weiterläuft. Die Daten werden in Echtzeit gespiegelt.


In den beiden RZ betreiben wir je zirka 120 Server, wobei die Hardware inklusive Storage komplett von HP stammt. Zu unserer Server-Landschaft gehören Itanium-Server mit OpenVMS für den Betrieb von Oracle, x86-Server mit Suse Linux, die vor allem für den SAP-Betrieb da sind, und schliesslich Windows-Server. Der grösste Teil der Suse-Linux- und Windows-Server-Umgebung ist virtualisiert und alle Applikationen werden via Citrix publiziert.


Der Blick in Ihr Rechenzentrum zeigt: Sie setzen auf Oracle und SAP.


Ja, wird haben Oracle-Datenbanken und betreiben darauf unsere Supply-Chain-Systeme. Im Bereich Administration setzen wir auf SAP, wir setzen die Module FI/CO/HR und PK ein. Neben Oracle setzen wir je nach Applikation natürlich auch noch weitere Datenbank-Software ein, Microsoft SQL Server beispielsweise. Auf den wichtigen Kassensystemen in den Filialen vor Ort, IBM-AIX-Servern, laufen Datenbanken von Intersystems (Caché), die äusserst stabil und leistungsfähig sind. Das müssen sie auch, schliesslich wickeln wir alle Kassentransaktionen und den elektronischen Zahlungsverkehr über diese Systeme ab.

Neben den Servern im RZ hat Ihr Team bestimmt noch viel mehr Hardware zu betreuen. Wie viele PCs sind beispielsweise bei Manor total im Einsatz?


Insgesamt kümmern wir uns aktuell um rund 3000 PCs, die ihre Anwendungen via Citrix Xenapp aus dem Rechenzentrum beziehen. Die Applikationsvirtualisierung ermöglicht es uns, gegenwärtig in zirka 80 Prozent der Fälle mit fünf bis sechs Jahre alten Dell-PCs zu arbeiten – sie sind immer noch genug leistungsfähig. Diese Clients, auf denen Windows XP SP3 läuft, planen wir noch zwei, drei Jahre unverändert einzusetzen und sie dann auszuwechseln. In diesem Zug werden wir sicher auch eine Migration des Betriebssystems vornehmen, sehr wahrscheinlich auf die neueste Windows-Version.


Die PCs sind aber nur ein kleiner Teil aller von uns betreuten Clients. Bei Manor sind aktuell zusätzlich 2500 mobile Arbeitsgeräte (Handhelds) im Einsatz. Ausserdem kümmern wir uns unter anderem auch um die insgesamt rund 2000 Kassen und EFT-Terminals sowie die rund 700 elektronischen Waagen.


Ist die Einführung von stromsparenderen Thin Clients und der Desktop-Virtualisierung ein Thema?


Theoretisch könnten wir mit unserer aktuellen Virtualisierungslösung mit Citrix Xenapp bereits Thin Clients einsetzen, ohne auf eine Desktop-Virtualisierung umzusteigen, die derzeit kein Thema ist, weil sie sich nicht rechnen würde. Aber auch Thin Clients sind kein Thema. Die Geräte wären bestimmt stromsparender. Betrachtet man aber das Einsparpotential auf die gesamte Manor-Infrastruktur und deren Energieverbrauch, so ist es marginal. Wir versuchen dort Strom einzusparen, wo grosse Infrastrukturen im 24-Stunden-Betrieb im Einsatz sind. Ausserdem bin ich der Ansicht, dass man als Anwender mit einem kompletten PC gegenüber einem Thin-Client viele Vorteile hat, unter anderem mehr Flexibilität.

Über das Netzwerk von Manor haben wir noch nicht gesprochen. Wie sieht das aus?


Unser Netzwerk (WAN) ist das zentrale Nervensystem von Manor. Deshalb setzen wir dafür auf hochwertige Produkte, die alle von Cisco stammen. Logisch betreuen wir das WAN, für die physische Betreuung vor Ort, in den Filialen, Lagern etc. haben wir einen Partner, Swisscom.


Wir telefonieren bei Manor neu alle über das Netzwerk. In den letzten 18 Monaten haben wir sämtliche Stellen mit VoIP ausgerüs-tet. Insgesamt 7000 Geräte wie DECT-Telefone, IP-Telefone – alle von Alcatel – und sogar ein paar alte, analoge Telefone stehen aktuell im Einsatz. Beim Call-Server setzten wir übrigens auf ein Linux-Betriebssystem. Wir versuchen bei geschäftskritischen Applikationen wenn immer möglich auf LINUX zu setzen.


In Zukunft soll auch die Videoüberwachung ins Netzwerk integriert, also komplett IP-basiert werden. Derzeit läuft sie noch getrennt, ein Wechsel ist aktuell schon allein aus Kos-tengründen noch undenkbar. Ich glaube, wir stehen in Sachen IP-Kameras und IP-Video-überwachung erst ungefähr da, wo wir punkto IP-Telefonie vor fünf, sechs Jahren standen. Wir beobachten deshalb alles genau, um dann bereit zu sein, wenn die Technologie in ein paar Jahren reif ist.


Gibt es neben dem Langzeitprojekt IP-Video-überwachung bei Manor noch andere, kurzfris-tigere IT-Projekte?


Die gibt es natürlich. Ein grosses Projekt, das eigentlich ständig läuft, ist, die Prozessoptimierung im Bereich des Textileinkaufs zu verbessern. Konkret wollen wir die Time-to-Market, also die Zeit von der Idee bis zum fertigen Produkt im Warenhaus, stetig verringern. Dazu arbeiten wir an den Schnittstellen zwischen unseren Mitarbeitern hier in Basel, unseren Büros in Fernost und den Herstellern in Asien, aber natürlich auch an neuen Technologien, die die Prozesse beschleunigen können, beispielsweise RFID.


Mit dem Stichwort RFID wären wir auch schon bei einer ganzen Menge anderer IT-Projekte von Manor. Im internen Warenfluss zwischen unseren Verteilzentralen und den Warenhäusern wurden alle Transporteinheiten mit RFID-Etiketten ausgestattet. Dies erlaubt voll automatisierte Warenein- und -ausgänge, sobald diese Transportbehälter und Paletten die RFID-Gates passieren. Für den RFID-Einsatz auf Artikelebene sind wir noch nicht so weit, hier wird es noch etwas dauern, bis wir Lösungen in Betrieb nehmen können.


Ein weiteres aktuelles IT-Projekt von Manor ist Self-Scanning. In sieben unserer Märkte haben wir das neue System «Quick and Easy» bereits eingeführt, weitere sollen demnächst folgen. Manor-Kunden können dort ihre Waren mit einem Gerät während des Einkaufens selber scannen und an einer speziell reservierten Kasse bezahlen. Damit wird die Wartezeit für unsere Kunden an der Kasse massiv reduziert.


Weiter läuft bei uns derzeit noch ein grosses E-Commerce-Projekt. Zusammen mit einem externen Partner wird unser Internetportal derzeit völlig neu aufgebaut. Dieses wird in diesem Sommer mit einem stark ausgebauten Webshop-Angebot in Betrieb genommen.

Wie sieht die IT aus Ihrer Sicht in fünf bis zehn Jahren aus?


Die Zyklen in der IT drehen sich immer schneller. Ich denke in den nächsten zehn Jahren wird bestimmt etwas «Gewaltiges» auf uns zukommen. Wenn ich daran zurückdenke, wie ich in den Achtzigern begonnen habe zu programmieren und wie die IT heute aussieht …


Zum Retail im Speziellen: Immer mehr neue technische Möglichkeiten und Lösungen werden den Einkaufsprozess des Kunden beeinflussen und verändern. Heute schon kann man mit seinem iPhone via Internet direkt im Laden Produkte vergleichen oder unterwegs Einkaufslisten zusammenstellen. Das wird sich noch viel weiter entwickeln. Für uns heisst das, dass wir Kunden und Lieferanten in Zukunft noch enger an uns anbinden müssen. Heute fehlen uns dazu aber noch viele Standardisierungen. Handys beispielsweise verfügen über unzählige Bildschirmgrössen und Betriebssysteme, was die Entwicklung von Lösungen nicht einfach und aufwendig macht.

(mv)


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