ETH Zürich unterrichtet vor Ort an Mittelschulen
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2010/01
Was für eine Informatik soll an unseren Mittelschulen unterrichtet werden?
Juraj Hromkovic: Seit der Maturareform von 1995 wird in den Gymnasien von Ausnahmen abgesehen nur noch das Anwenden von Informatikmitteln (Informations- und Kommunikationstechnik) gelehrt und geübt. Dieses notwendige, aber kurzlebige Anwenderwissen wird fälschlicherweise auch «Informatik» genannt. Es kann mit anderen gymnasialen Fächern wie Mathematik und Physik nicht verglichen werden. Als man 2006 über die Wiedereinführung der Informatik in Form eines gymnasialen Ergänzungsfachs nachdachte, war die Zielsetzung klar: Der Informatikunterricht soll die gleiche Tiefe und Langlebigkeit haben wie die Ausbildung in der Mathematik und den Naturwissenschaften. Das neue Ergänzungsfach soll die mathematisch-naturwissenschaftliche Denkweise mit der konstruktiven Denkweise einer Ingenieurdisziplin verknüpfen. Die ETH Zürich hat eine lange Tradition in der Aus- und Weiterbildung von Informatiklehrkräften. Wie uns 2006 bewusst wurde, genügte die bisherige Lehramtsausbildung jedoch nicht.
Woran fehlte es denn?
Es gab einen Mangel an gut ausgebildeten Lehrkräften, die eine hochwertige Informatik unterrichten konnten. Im Unterschied zu anderen Fächern fehlten geeignete Lehrmittel und Erfahrungen aus einer langjährigen Unterrichtspraxis. Überdies musste der schwer angeschlagene Ruf der Informatik in der Öffentlichkeit verbessert werden.
Welche Ziele hat das Ausbildungs- und Beratungszentrum für Informatikunterricht?
Das Ausbildungs- und Beratungszentrum für Informatikunterricht (ABZ) der ETH Zürich versucht, die vielschichtigen Probleme ganzheitlich zu lösen. Zunächst geht es darum, Lehrkräfte weiterzubilden, vielfältige Unterrichtsmaterialien und Lehrmittel herzustellen und in den Schulen zu erproben, interessierte Jugendliche mithilfe der Informatik-Olympiade zu fördern und Veranstaltungen über die Informatikforschung für die breite Öffentlichkeit anzubieten. Das ABZ gehört zu dem Ende Oktober 2009 eröffneten Kompetenzzentrum für Lehren und Lernen.
Worin besteht der neue Ansatz des ABZ?
Die Qualität der Schule hängt massgeblich von den Lehrpersonen ab. Die Aus- und Weiterbildung von Informatiklehrkräften an der ETH ist für praktizierende Lehrpersonen zu aufwändig. Daher haben wir uns entschieden, mit unseren Ausbildungskonzepten direkt in die Schulen zu gehen und eine fachliche und fachdidaktische Ausbildung vor Ort anzubieten. Diese Weiterbildung umfasst nicht nur Kurse für Lehrpersonen, sondern auch Informatikunterricht in den Klassen der beteiligten Schulen. Der Projektunterricht kann ein paar Wochen bis zu mehrere Semester dauern.
Welches ist das zurzeit wichtigste Vorhaben des ABZ?
Das grösste laufende Projekt des ABZ ist das Weiterbildungszentrum Graubünden. Es handelt sich um ein zweijähriges Vorhaben, bei dem 18 Tage lang Weiterbildungskurse zu unterschiedlichen Bereichen der Informatik erteilt werden. Während zwei Jahren wird zudem das Ergänzungsfach Informatik in einer Klasse an der Schweizerischen Alpinen Mittelschule Davos unterrichtet. Die Lehrkräfte aus Chur, Schiers und Davos können den Unterricht jederzeit besuchen. Das ABZ beteiligt sich ferner an der Weiterbildung von Informatiklehrkräften im Kanton Tessin. Beide Vorhaben werden von der Hasler-Stiftung unterstützt. Wir hoffen, dass diese Beispiele auch andere Kantone dazu anregen, eine Zusammenarbeit mit dem ABZ zu beginnen. Bisher fand die Weiterbildung vor Ort in kleinerem oder grösserem Rahmen in Schulen der Kantone Aargau, Basel, Luzern, Schaffhausen, St. Gallen und Zürich statt.
Wodurch zeichnen sich die Lehrmittel des ABZ aus?
Bei der Entwicklung der Lehrmittel versuchen wir, nicht nur unterschiedliche Gebiete der Informatik abzudecken, sondern auch didaktisch das laut Pisa-Studie grösste Problem – die starke Beziehung zwischen dem Lernerfolg und der Ausbildung der Eltern – anzugehen. Unsere Lehrmittel sind wie ausführliche Leitprogramme aufgebaut, in altersgerechter Sprache geschrieben und somit zum Selbstunterricht geeignet. Anhand des umfangreichen Übungsmaterials kann man beliebig schnell und beliebig oft wiederholen, was man in der Schule nicht verstanden hat. Für die Lehrkräfte enthalten die Lehrbücher fachdidaktische Hinweise und Lösungsvorschläge zu häufig auftretenden Verständnisproblemen.
Und wie steht es mit elektronischen Lehrmitteln?
Unter der Leitung von Prof. Dr. Hans Hinterberger wurden auch elektronische Lehrgänge, so genannte E-Tutorials, entwickelt.
Wie fördert das ABZ die Jugendlichen?
Das ABZ übernahm die fachliche Betreuung der Informatikolympiade vor vier Jahren. Dabei führen wir ein fortlaufendes, ganzjähriges Training mit mehreren Runden und Trainingcamps durch. Mit zwei Silbermedaillen im Jahr 2008 wurde das Informatikteam das erfolgreichste Schweizer Team auf internationalen Olympiaden.
Gibt es auch öffentliche Veranstaltungen?
Mit öffentlichen Veranstaltungen wie der Open Class «Sieben Wunder der Informatik» möchte die ETH auf die wissenschaftlichen Beiträge der Informatik hinweisen. Beliebt sind auch die Programmierkurse für Kinder und Erwachsene. Hinzu kommen viele weitere Vortragsreihen und Projekte.