Beliebiges Endlos-Gestaggel auf allen Kanälen
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2009/12
Unified Communications and Collaboration (UCC) ist Zeitgeist. Der moderne Mensch bearbeitet in allen Lebenslagen iPhone, Blackberry, Laptop oder PC, um unter keinen Umständen den elektronischen Kommunikationsfaden abreissen zu lassen. Ungeachtet, ob er sich gerade in einer wirklichen Sitzung befindet oder beim Tête-à-tête. Wer nicht auf allen Kanälen chattet, mailt, postet, smst und twittert, existiert nicht.
Kein Wunder gibt es heute kaum mehr einen namhaften IT- oder Kommunikationsanbieter, der nicht mit einer aus seinem angestammten Geschäft abgeleiteten Spielart der überall verfügbaren, integrierten Wort-, Bild-, Text- und Datenkommunikation in den Markt drängt. Cisco, Microsoft, IBM, Oracle, HP, Adobe, Alcatel, Siemens, Yahoo, Google, Skype, Swisscom, Orange und jetzt auch Peripheriespezialist Logitech; alle versprechen die einzig wahre «schöne neue Welt» der Zusammenarbeit. Als umworbenem Anwender wird mir ob der Angebotsfülle der Kopf ganz sturm. Offensichtlich geht es nicht nur mir so. Trotz inzwischen schon jahrelangem Berater- und Medien-rummel wird das gesamte UCC-Weltmarktvolumen laut Gartner 2009 gerade einmal 7,4 Milliarden Dollar erreichen. Das ist etwa gleich wenig wie der im Business-Umfeld bis auf weiteres irrelevante SaaS-Hype.
Die Zurückhaltung der Firmen hat ihre Gründe. Zwar ist ihr Interesse an Informationen zu UCC gross, wie etwa die überfüllten Seminare an einer Kundenveranstaltung eines grossen Schweizer Telco gezeigt haben. UCC verspricht für Wissensarbeiter tatsächlich massive Arbeitserleichterungen. Die Skepsis ist aber ebenso gross. Angesichts der Angebotsfülle ist es schwer, das geeignete Produkt auszuwählen. Soll ich mich an die Netzwerker halten, weil mit der absehbaren Überlastung des Internets durch Youtube-HD-Videos einzig fundiertes IP-Know-how eine Hoffnung auf Umfahrungsmöglichkeiten um den Bildli-Stau bietet? An die PBX-Lieferanten, weil nur sie wirklich etwas von Unternehmenstelefonie verstehen? An meinen Bürosoftware-Hersteller, weil seine Applikationen sowieso integriert werden müssen? An einen Infrastrukturanbieter, weil Kommunikationsanwendungen Infrastruktur sind? Oder besser an einen Web-Dienstleister, weil die IT-Zukunft schon bald in einer einzigen rosa Wolke aufgehen wird?
Die Frage, welche Lösung für die eigenen Anforderungen die beste sei, ist allerdings nur zweitrangig. Wichtiger ist es, sich über den Sinn und Unsinn einer niederschwelligen Kommunikation klar zu werden. Denn elektronische Arbeitserleichterung entpuppt sich in der Praxis oft als eigentlicher Zeitvernichter. Beispiel E-Mail: Bei allen nicht mehr wegzudenkenden Vorteilen frisst das Bearbeiten der Mails immer mehr Arbeitszeit.
Die Gleichung ist einfach. Je unkomplizierter kommuniziert werden kann, umso unüberlegter geschieht dies auch. Dehnt man die Möglichkeiten mit nahtlos integrierten Messaging-, Videoconferencing-, Chat- und Zusammenarbeitsfunktionen auf das ganze Unternehmen aus, nimmt zwangsläufig auch die Menge an Unsinn zu. Damit die Kommunikation nicht in ein beliebiges Endlos-Gestaggel ausartet, muss UCC anhand der Funktionen und Aufgaben angegangen werden. Gerade der richtige Umgang mit den vielfältigen Möglichkeiten ist nicht selbstverständlich. Mir kommen in vielen Skype-Konversationen immer wieder Erinnerungen an Tage hoch, die wenig oder gar nichts mit produktiver Arbeit zu tun hatten: «Verstanden. Antworten.» «Verstanden. Und was meinst du? Antworten.» «Verstanden...»