IT-Dienstleister: Abschied vom starren Rollendenken
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2009/11
Wie man Wolken beurteilt, hängt vom Standpunkt des Betrachters ab: Drohen sie, das lange geplante Gartenfest zu vermasseln, sind sie lästig. Bringen sie Niederschlag, um nach längerer Trockenperiode das Wachstum der Vegetation zu fördern, sind sie sehr willkommen. Unabhängig vom individuellen Standpunkt ist allen Betroffenen bewusst, dass solche Wolken dann und wann erscheinen.
Wenn man es weiss, kann man entsprechend vorsorgen. In diesem Fall sollte man deshalb, so der lapidare Schluss, seinen Standpunkt flexibilisieren, um sich rasch anpassen zu können und möglichst mehrere gute Optionen zur Verfügung zu haben. Und schliesslich sollte man dafür sorgen, sich abzeichnende Grosswetterlagen möglichst frühzeitig vorauszusehen und sich dann entsprechend vorzubereiten.
Die IT-Welt setzt sich aus drei Akteursgruppen zusammen: Diejenige mit der Definitionsgewalt in punkto Unternehmensziele, Organisation, Technologien oder Infrastruktur geben – abhängig von Grösse und Marktanteilen - die Hauptmarschrichtungen vor. Die Umsetzer, Vermittler, Partner sind gefordert, diese Entwicklungen möglichst gewinnbringend zu adaptieren und einzusetzen. Und die Nutzer wählen das aus, was Ihnen plausibel, interessant, attraktiv, zwingend erscheint – idealerweise ist dies deckungsgleich mit dem, was ihnen als interessant, attraktiv etc. vermittelt wird.
Soweit zum vereinfachten theoretischen Modell. Praktische Tatsache ist, dass zwischen diesen einzelnen Akteursgruppen Gräben bestehen. Anders lässt sich kaum erklären, dass heute noch in manchem Betrieb veraltete zentrale Serversysteme in Staubsauger-Reichweite der Reinigungskraft betrieben und vom firmeneigenen IT-Freak im Nebenjob unterhalten werden, obwohl die Vorzüge professioneller Betriebsmodelle (und der neuesten Software-Version) seit geraumer Zeit gebetsmühlenartig wiederholt worden sind. Auf der anderen Seite gibt es im Bereich der Informationstechnologie aber auch Erfolgsgeschichten, die realistischerweise so gar nicht hätten geplant werden können. Die Praxis zeigt auch, dass die genannten Akteursrollen nicht ganz so starr sind, wie das Modell auf den ersten Blick vermuten lässt. Umsetzer können schnell zu Definierenden werden – und umgekehrt - wie das Beispiel der in diesem Zusammenhang nur bildhaft zu verstehenden „Wolke“ lehrt.
Nun könnte man sich einfach auf den Standpunkt stellen: That’s business. Die einen haben Erfolg, die anderen eben nicht. Doch, so sehr diese Aussage auch zutrifft, eine vernünftige Basis für ein tragfähiges, nachhaltiges Geschäftsmodell, welches von möglichst sicheren Annahmen ausgehen sollte, ist das natürlich nicht. Und in Zeiten rasch wechselnder Witterungslagen sowieso nicht.
Der Kunde kauft, was er als nützlich empfindet bzw. was seinem nächsten Umfeld als nützlich erscheint (nicht zuletzt auch in emotionaler Hinsicht) und wenn er von der Angemessenheit des Preises überzeugt ist. Dies dürfte das eigentlich statische Element des genannten Modells sein.
Damit Verkaufs- und Kaufabsicht zu einer glücklichen Deckungsgleichheit gelangen, damit also die genannten Gräben überwunden werden können, bedarf es nicht eben wenig: Gut verkaufte, überzeugende Lösungen, einen plausiblen Nutzen, der mit einem konkreten Bedürfnis korreliert und eine gute Kommunikation (in einem weiteren Sinne) – all dies mit Fokus auf den Kunden, der letzten Endes dafür bezahlen soll.
Bei weitem nicht alle als „revolutionär“ angekündigte Technologien und Lösungen jüngeren Datums entsprechen diesen Anforderungen. Unternehmen mit viel „Definitionsmacht“ sind nicht selten primär auf den Erhalt dieser Macht und damit auf das Erst-Besetzen neuer Felder fokussiert. Sie verlieren dabei oft - trotz gegenteiliger Bekenntnisse - die Nutzenfrage aus dem Fokus.
Die Besetzung eines Feldes bzw. die Erschliessung einer neuen „Geländekammer“ allein reicht jedoch nicht aus – es muss erst sichergestellt werden, dass die Kunden folgen können und vor allem folgen wollen. Und wenn sie einmal gefolgt sind, sollten sie auch da bleiben und einen angemessenen Preis dafür bezahlen. Wer seine Kunden mit Preisen ködert, welche in keinster Weise der Kostenrealität entsprechen, muss sich nicht wundern, wenn daraus kein nachhaltiges Geschäft entsteht und das so oft geforderte „Qualitätsbewusstsein“ der Kunden auf der Strecke bleibt.
Die Wirtschaftslage der vergangenen Monate hat den Kostendruck vieler Unternehmen erhöht. IT-Dienstleister, die Ihre Lösungen hinsichtlich Kostenspareffekten plausibilisieren konnten, befanden sich in einer guten Verkaufsposition. Teilweise hat sogar ein eigentlicher Run auf die entsprechenden Lösungs- und Betriebsmodelle stattgefunden. Die in diesem Zusammenhang erfolgte Sensibilisierung der (potentiellen) Klientel gilt es nun nachhaltig zu nutzen, auch wenn sich die düsteren Konjunkturwolken wieder gelichtet haben.
Auf Optionen sollte man nicht warten, Optionen – oder besser: Opportunitäten – sollte man schaffen. Dies bedeutet, dass IT-Dienstleister, ganz unabhängig davon, zu welcher Akteursgruppe sie aktuell zählen, davon wegkommen müssen, einfach zu adaptieren und dabei allenfalls die Konkurrenz im Auge zu behalten. IT-Dienstleister dürfen heute nicht mehr einfach blind darauf vertrauen, dass ihre aktuelle Rolle auch in Zukunft noch genau so gefragt sein wird. IT-Dienstleister dürfen nicht auf Subventionen hoffen. Dies bedingt, dass man aus vielleicht allzu lieb gewonnenen Selbstbildern ausbrechen und neue Betätigungsfelder und Dienstleistungsmöglichkeiten suchen muss – „neu“ kann hier durchaus auch die Verbindung bestehender Ansätze bedeuten. Wenn man nur immer auf Vorgaben reagiert, steigt nicht nur die Abhängigkeit, sondern auch die Wahrscheinlichkeit, dass man irgendwann einmal unverhofft im Regen steht.
Starres Durchlauferhitzen entspricht einem Auslaufmodell bzw. ist nur noch in grossen Volumina mit minimalem Aufwand einträglich – im aktuellen „Age of Cheap“ sowieso. Gefragt ist Veredelung, das Schaffen eines kommunizierbaren Mehrnutzens. Hier liegt noch viel Potential brach. Innovation muss sich nicht zwingend in revolutionären Dimensionen abspielen, sondern ist auch in kleinen Schritten möglich und gewinnbringend. Einmal abgesehen davon, dass es nicht nur darauf ankommt, „was“ man macht, sondern auch „wie“ man es tut, gibt es immer Möglichkeiten, Bestehendes aufzuwerten, noch besser zu machen. Tut man dies, indem man auf echte Bedürfnisse achtet und eingeht, erhöht man seine Erfolgschancen nicht unerheblich.
Die Kunst des IT-Dienstleisters von heute besteht darin, ständig in Bewegung zu bleiben und trotzdem für den Kunden greifbar zu sein – und das ist durchaus auch in einem physischen Sinne zu verstehen. Die Entwicklungen der vergangenen Jahre zeigen, dass die Notwendigkeit zur Bewegung zugenommen hat. Es ist eine Tatsache dass die Komplexität im Betriebs- und Supportbereich verschiedener zentraler Lösungen trotz verbesserter Usability grösser geworden ist. Der Bedarf nach professionellen IT-Dienstleistern wird dadurch nicht kleiner, die Anforderungen, die erfüllt sein müssen, um die genannten Gräben zu schliessen, jedoch auch nicht. Nicht wenige empfinden diese Situation als zermürbend.
Doch: Man kann das Mitschwimmen auf der grossen Welle entweder einfach nur als logische Konsequenz zahlreicher Abhängigkeiten und damit als schlichten Zwang betrachten, oder aber versuchen, sich nicht einfach nur mittreiben zu lassen und dabei womöglich irgendwann unterzugehen. Man sollte erstens darauf bedacht sein, obenauf zu bleiben und zweitens möglichst einen individuellen Kurs wählen, der zwischendurch oder sogar für längere Zeit in ruhigere Gewässer führt.
Dr. Peter Meyer, Partner MIT-GROUP