Digitalisierter Posteingang
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2009/11
Die Schaltermitarbeiter in den 88 Geschäftsstellen der Valiant Bank füllen die Kundendokumente in Papierform aus. Der ausgedruckte Antrag ging früher per Kurier in die Zentrale, wo die Unterschriftskarte gescannt und im Prüfsystem SignBase von SignatureNet abgelegt wurde. Eine Kopie des Dokumentes verblieb in der Regel in der Handakte des Filialmitarbeiters. So entstand im Laufe der Jahre eine Schatten-Papierwirtschaft mit vollen Dokumentarchiven. Trotz Kopie am einzelnen Arbeitsplatz kam es oftmals vor, dass ein Schaltermitarbeiter das benötigte Kundendokument gerade nicht zur Hand hatte. Dann war ein Anruf in der Zentrale nötig, um das Dokument kurzfristig per Fax oder E-Mail zu erhalten. Für die Kunden bedeutete dies teilweise längere Wartezeiten bei der Bearbeitung ihrer Anfragen. Um diese Situation zu ändern, sollten Dossiers künftig digitalisiert und von einem zentralen Dokumenten-Archiv jederzeit und von überall her abrufbar sein.
Im Auftrage der RBA-Gruppe, in der sich 47 Schweizer Regionalbanken, darunter auch die Valiant, zusammengeschlossen haben, machte sich die RBA-Tochter Entris Banking auf die Suche nach einer passenden Lösung.
Mit Content Manager On Demand von IBM stellt der IT-Dienstleister Entris Banking den angeschlossenen Finanzinstituten seit 2006 ein Archivsystem zur Verfügung, in dem sowohl der Host-Output als auch die Eingangsbelege aus dem Zahlungsverkehr eingehen. Für das Scanning, die Klassifikation und die Überführung Papier-basierter Kundendokumente in elektronische Form gab es jedoch lange keine passende Lösung am Markt. Auf Grund der Komplexität der Materie und politischer Entscheidungen brauchte es mehrere Anläufe zum Projekt «DigitFactory», bis schliesslich Software-Entwickler Beta Systems ins Spiel kam.
Der Entscheidung für Beta Systems waren ein Request-for-Proposal Mitte 2007 mit vier Anbietern und ein Proof-of-Concept mit zwei verbliebenen Herstellern Ende April 2008 vorausgegangen. «FrontCollect war im direkten Vergleich am besten und effizientesten einsetzbar», erklärt Michael Zandt, Produktverantwortlicher für die Posteingangslösung bei Entris Banking «und wir mussten auch keine neuen Scanner anschaffen, sondern konnten dank der vom Hersteller geschaffenen Importschnittstelle zur Anbindung von Multifunktionsdruckern die komplette, bestehende Hardware weiternutzen – ein grosser Kos-tenvorteil». An FrontCollect 3.11 wurde nur die übliche Parametrierung geändert. Es gab zwei Erweiterungen: Zum einen wurde eine Schnittstelle gebaut, die das Scannen von dezentralen Geräten aus den Bankfilialen ermöglicht. Zum anderen wurde eine Schnittstelle zwischen FrontCollect und OnDemand realisiert, welche nach der korrekten Archivierung eine OK-Quittung an FrontCollect sendet. Bei Problemen wird eine NOK-Quittung verschickt, welche dafür sorgt, dass der Vorgang wiederholt wird.
Da das Projekt unmittelbar aus der praktischen Anforderung der Bank heraus entstand, waren die späteren Nutzer eng in alle Stufen des Entscheidungsprozesses eingebunden. Auch während der Projektphase bestand das Team aus Entris Banking, Valiant und dem Software-Lieferanten Beta Systems – ein sehr guter Mix aller Beteiligten.
Zudem wechselten zwölf Beschäftigte der Valiant Bank zu Entris Banking nach Gümligen bei Bern und bildeten das Business-Process-Outsourcing-Center (BPO), das sich um die Aufbereitung der Dokumente für das Scanning und die Sondernachbehandlung kümmerte. Los ging es mit acht Dokumentarten, darunter die allgemeinen Geschäftsbedingungen, Kartenanträge, gescannte Ausweise und Schrankfachmeldungen. Das Layout der hierzu gehörenden Dokumente wurde im Verlaufe des Pilotbetriebs für die Erkennung optimiert und die Dokumenteigenschaften in einem Barcode festgehalten. Seit dem Start des Echtbetriebes Anfang 2009 ist der Barcode auf den Dokumenten aufgebracht und ermöglicht die schnellstmögliche Weiterverarbeitung der Kundendokumente im zentralen Posteingangssystem in Gümligen bei Bern.
Am Schalter erzeugt der Valiant-Mitarbeiter heute aus dem Bank-Sys-tem IBIS oder einem von Entris Banking erstellten Doc Wizzard seine Kundendokumente. Diese enthalten bereits einen Barcode mit Angaben, unter anderem zum Bankcode, zur Partner- und zur Kontonummer. Das Dokument wird gedruckt, unterschrieben und sofort am Arbeitsplatz eingescannt. Jeder Scanner erstellt eine Namenkonvention des Files, die mit Bank- und User-Kurzzeichen, IP-Adresse, Seriennummer, Ablagepfad sowie Seitenanzahl, in einer XML-Datei, abgespeichert wird. JPG- und XML-Datensatz werden dann an einen zentralen Share im Posteingangssystem mandantengetrennt eingeliefert. Die Lösung prüft anhand der XML-Daten, ob alle Seiten ordnungsgemäss übermittelt wurden und gleicht die ausgelesenen Indizes automatisch mit dem eigens dafür eingerichteten Datenbestand ab. Nach erfolgreichem Matching, also wenn alle Kundendaten richtig erkannt wurden, gehen die Dokumente inklusive der Indexfiles via Schnittstelle an das Archivsystem OnDemand. Ausserdem ist eine Empfangsquittierung aus OnDemand an die Posteingangslösung programmiert.
Dank der neuen Posteingangs-Lösung von Beta Systems, die der IT-Dienstleister Entris Banking der Valiant Bank zur Verfügung stellt, kann das Finanzinstitut nun also sämtliche Kundendokumente sofort digitalisieren. Kontoeröffnungs- und Kreditkartenanträge, Unterschriftskarten und sons-tige Kundendokumente stehen in weniger als einer Stunde nach ihrer Erstellung in elektronischer Form an beliebigen Arbeitsplätzen zur Verfügung. Für die Valiant Bank bedeutet dies, dass Schattendossiers wegfallen und die Kundendokumente sofort verfügbar sind. Die Mitarbeiter in allen Filialen sind sofort auskunftsfähig. Ausserdem entfallen Kosten für tägliche Kurierdienste und teuren Archivraum.
Die avisierte Erkennungsrate von 85 bis 90 Prozent hat sich in der Praxis bestätigt. Derzeit erkennt die Software neun von zehn Kundendokumenten richtig. Fehlerhafte Dokumente gehen zunächst in die Korrektur und anschliessend, falls notwendig, in die Sonderbehandlung. Dort sitzen an sechs Nachbearbeitungsplätzen die Mitarbeiter des BPO-Center und fordern im Bedarfsfall einen neuen Scan an. Durch die erstellten Reportings kann die Valiant genau ablesen, welche Vorlage warum in die Nachbearbeitung musste und wo sie die eigene Vorarbeit verbessern kann. So lässt sich die Nachbearbeitungsquote durch gründliche Vorbereitung in der Bankfiliale noch verbessern, wenn etwa die Vorlagen nicht geheftet oder seitenverkehrt in den Scanner gelegt werden und auch kein Kaffeefleck einen möglichen Barcode verunstaltet.
Für die Weiterverarbeitung direkt ins Archiv berechnet Entris Banking der Valiant Bank 20 Rappen pro Seite, die Korrektur eines Dokumentes kostet die Bank 30 Rappen, die Sonderbearbeitung 12.80 Franken. Am Ende des ersten Betriebsjahres wird die Valiant Bank rund 850’000 Seiten über das System verarbeitet haben. Bei einem Gesamtprojektvolumen von rund 800’000 Schweizer Franken ergibt dies einen Return on Investment von vier Jahren. Da immer mehr Banken als Mandanten hinzukommen, ist absehbar, dass dieser bei Entris Banking noch früher erreicht wird.
Nachdem die Valiant Bank als grösste Bank der RBA-Gruppe das Pilotprojekt durchführte, ging es im Frühjahr 2009 mit dem zweitgrössten Player Clientis weiter. Das Clientis-Projekt ist so konzipiert, dass die Korrektur-Arbeitsplätze nicht wie bei der Valiant bei Entris Banking, sondern direkt in ausgewählten Clientis-Geschäftsstellen stehen. Dafür wird einfach ein Arbeitsplatz vor Ort eingerichtet, der die Sonderarbeitsplatz-Tätigkeiten von Clientis abdeckt. Clientis und Valiant Bank werden pro Jahr rund eine Million Dokumente über das Sys-tem laufen lassen. Zudem sollen laufend weitere Dokumentenarten in den Prozess eingegeben werden.
Bis Ende 2012 wird Entris Banking ihr bestehendes Bankensystem IBIS durch Finnova ablösen und nacheinander alle Banken der RBA-Gruppe auf die Plattform schalten. Im Zuge dessen werden sich auch die Formate der Dossiers verändern. Die neue Posteingangslösung bietet die notwendige Flexibilität, um während der Übergangszeit parallel auf zwei unterschiedlichen Plattformen zu laufen und die Dokumente dem jeweiligen System zu übergeben. Ist diese Gross-Migration abgeschlossen, sollen auch über die RBA-Banken hinaus weitere Finanzinstitute mit der Posteingangslösung von Beta Systems bedient werden.