Mit Struktur gegen die Datenflut
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2009/11
Während durchschnittlich 18 Prozent der Arbeitszeit wird in Schweizer Büros nach Informationen und Dokumenten gesucht, so eine Untersuchung der Berater von Dr. Pascal Sieber und Partner. Bei sogenannten Wissensarbeitern liegt der Anteil gar bei bis zu 30 Prozent. Mit anderen Worten: Die digitale Datenhaltung ist zu einem zeitfressenden Monster mutiert. Und dessen Appetit wird in den nächsten Jahren kaum abnehmen. Die tägliche Informations-, Mail-, Pow-erPoint-, Berichts- und immer mehr auch maschinell erzeugte Datenflut schwellt ungebremst an. Nicht wenige hat sie bereits überspült. Sie treiben hilflos paddelnd im Informationsmeer. Der IT-Gott bewahre uns vor den immer wieder angekündigten, «entscheidenden» Fortschritten bei der automatischen Spracherkennung. Dann würde auch noch das ganze Telefon-Geplapper die Speicher zum Überlaufen bringen.
Diese Entwicklung führt die vielleicht grösste Crux der Informatik vor Augen: Je einfacher ihre Anwendung wird, umso aufwendiger wird die Beherrschung des Gesamtsystems. Eine Mail ist mit wenigen Klicks verschickt. Alles, was im PC ankommt, kann ohne grossen Aufwand auf die Festplatte gebannt werden. Wir sammeln – unserem aus Urzeiten vererbten Trieb folgend – so viel wir nur können. Jetzt droht uns Daten-Messies der ganze Informationsmüll über den Kopf zu wachsen.
Abhilfe versprechen intelligente Such- und Wiederfinden-Werzeuge. Automatische Kontext- und Bedeutungsanalysen sowie branchenspezifische Tools bringen Struktur in die Stichworttrefferlisten. Clevere Sys-teme versehen die Datensätze automatisch mit Metadaten, welche das Wiederfinden erleichtern. Diese Tools sind sicher nützlich und für die meisten Unternehmen auch sinnvoll. Bloss, die gescheiten Such- und Content-Management-Systeme verschieben das eigentliche Problem auf der Zeitachse nur ein wenig nach hinten. Eine Nadel lässt sich auch in einem strukturierten Heuhaufen nicht wiederfinden.
So bleibt letztendlich nur ein Weg, um das gefrässige Datenmonster längerfristig zu bändigen: Wir müssen es auf strikte Diät setzen. Dabei sollte man sich der Tugenden aus den guten alten Zeiten der Hängeregistraturen und Bundesordner erinnern. Dokumente und Informationen müssen nach einer möglichst einheitlichen Struktur und auf das wirklich Notwendige beschränkt abgelegt werden. Und falls wir uns vom täglichen Infomüll doch nicht trennen wollen, können wir ihn ja einfach in eine separate Mulde kippen. So verdeckt er wenigstens nicht mehr das Wichtige.
So weit so gut. Leider geschieht in der Praxis weder die einheitlich strukturierte Ablage noch die Beschränkung auf das Notwendige von selbst. Ich muss zugeben, auch mir widerstrebt beides. Ich will produktiv arbeiten. Der Aufwand, um die Files sauber zu benennen, am richtigen Ort nicht mehrfach abzulegen und das immer wieder notwendige Durchforsten der Ablageordner nach inzwischen überflüssig gewordenen Dateien sind mühsam und wenig befriedigend. Leider führt aber kaum ein Weg daran vorbei. Auch eine noch so tolle Software erledigt diese Arbeit nicht vollständig automatisch.
Für das Unternehmen heisst dies, dass es einen Verantwortlichen mit entsprechenden Kompetenzen bestimmen muss, der unstrukturierte Mitarbeiter wie mich in die Waden beisst, wenn ich meine Datenpflege einmal mehr vernachlässige. Ich werde ihn in diesem Moment auf den Mond wünschen. Aber dieser Ärger verzieht sich schnell und der Wadenbeisser kann sich dann meiner Achtung sicher sein. Ich habe über die letzten Jahre gelernt, dass ich ohne sein Engagement auf Dauer in meinen Daten vermüllen würde.