Produktivitätsmessung in ICT-Projekten
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2009/10
Die ISBSG verfügt dank ihrer Mitglieder, wozu auch die SwissICT gehört, über eine Datenbank von weit über 6‘000 ICT-Projekten, die weltweit unter einheitlich definierten Kriterien ausgewertet wurden, um Vergleichsdaten zu ICT-Projekten und Dienstleistungen zu bekommen. CIOs, die sich nicht scheuen, können daraus ersehen, wie viel ihr geplantes ICT-Projekt kosten darf und wie lange es dauern wird. Sie können dann diese Daten mit den Angaben ihrer Lieferanten vergleichen. Allenfalls kann man daraus auch ersehen, wie viel es hätte kosten dürfen.
Das Problem tritt meist erst etliche Zeit nach dem Start eines Projektes zutage. Wenn man eine Dienstleistung zum Festpreis einkauft, erkennt man meist zu spät, was man bei der Ausschreibung alles noch nicht wusste, und wie viel sich während der Projektlaufzeit ändert. Lieferanten sind dann sehr innovativ in Erklärungen, was alles nicht im angebotenen Festpreis inkludiert war – und verrechnen dann höhere Stundensätze.
Auch bei Outsourcing ist die Frage ungelöst, was genau geschuldet ist − falls ein Service im SLA vergessen ging, oder falls neue Bedürfnisse auftauchen − und wo tauchen sie nicht auf, wo Märkte und Umfeld so schnell ändern wie heute? Change Requests sind die Folge, und diese kosten viel − nicht nur wegen der eigentlichen Funktionalität, sondern wegen der hohen Transaktionskosten.
Einen Change Request zu genehmigen, bedeutet viel Aufwand für Spezifikation, Diskussion, Preisfindung, Freigabe und schliesslich Kontrolle der Implementierung. Festpreisprojekte tendieren zu vielen Change Requests, oft in derselben Grössenordnung wie das originale Projekt, so dass sogar solche Projekte, die gut geführt werden, am Schluss das Budget nicht einhalten.
Auch SCRUM und andere agile Vorgehensweisen ändern daran nichts – zwar fällt die Steuerung des Projektes leichter, aber es bleibt genauso schwierig, ein Budget zu erstellen, denn die Datenbank der ISBSG zeigt klar, dass die Produktivität durch agile Methoden keinesfalls verbessert wird. Sie fällt allerdings auch nicht ab im Vergleich zu klassisch geführten ICT–Projekten.
ICT–Projekte tendieren dazu, ausser Rand und Band zu geraten. Dies liegt daran, dass keine Metrik genutzt wird, um den Scope zu kontrollieren. Informatiker lieben es nicht, wenn man ihre Arbeit bewertet. Projektmanager und CIOs verfügen aber seit langem über standardisierte Messmethoden, um zu verstehen, was ihre Entwickler eigentlich tun; zum Beispiel Functional Sizing nach ISO/EIC 20926:2003 (Funktionspunktzählung).
Die pro Zeiteinheit erstellte, geänderte, oder installierte Funktionalität wird als Grundlage der Produktivität in einem ICT–Projekt vereinbart und laufend kontrolliert. Statt einem Fixpreis wird ein Produktivitätssatz − Anzahl gelieferte Funktionspunkte pro Zeiteinheit, oder Kosten pro Funktionspunkt − vereinbart. Die Gesamtzahl der abzuliefernden Funktionspunkte kann mit genügender Genauigkeit aus vorhandenen Pflichtenheften und durch Abgleich mit der ISBSG–Datenbank geschätzt werden.
Man weiss schon zu Beginn aus Erfahrung, wie sich der funktionale Umfang entwickeln wird. Je weiter das Projekt in der Analyse, Design, Entwicklung und Test fortschreitet, desto genauer werden die Funktionspunktzählungen, und allfällige Ausrutscher werden schnell erkannt und können behoben werden, bevor Schaden angerichtet wird.
Der Scope Manager braucht in der Regel zwei Tage pro Monat, um den Fortschritt und die notwendigen Changes zu verfolgen und eine unabhängige Bewertung des Projektstandes zu erstellen. Profitieren tun dabei sowohl der Kunde wie der Lieferant, die über eine unabhängige Statusaussage verfügen, und die Kosten respektive das Budget unter Kontrolle behalten. − Dass es auch in der Schweiz Projekte gibt, welche dringend Scope Manager brauchen, kam an der mit dem Workshop verbundenen SwissICT–Nachmittagsveranstaltung nur zu deutlich zum Ausdruck.