Standards im Sourcing
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2009/09
Seit der Jahrhundertwende sind die Wachstumsraten im IT-Service-Geschäft von etwa 10 Prozent zwischen 1990 und 2000 auf knapp 6 Prozent in den letzten Jahren gesunken. Das fehlende organische Wachstum wirkt sich auch auf die Margen der Anbieter aus und lässt sie nach neuen Wachstumstreibern suchen. Gerade in der jetzigen Situation, in der Kunden vielfach bestehende Verträge neu verhandeln möchten, um Kosten zu reduzieren, stehen Anbieter mangels Wachstumschance unter vergleichsweise hohem Preisdruck.
IT-Dienstleister haben zwei Wege aus dieser Situation gefunden. Eine Gruppe positioniert sich als Full-Service-Anbieter, die andere Gruppe differenziert sich mit hoch spezialisierten Service-Angeboten. Alle Anbieter sind jedoch in Zukunft damit konfrontiert, dass immer mehr IT-Dienstleistungen in standardisierten Formaten nachgefragt werden.
So berichtete TPI, eine auf Sourcing spezialisierte Beratungsfirma, von Fällen, in denen Kunden ihre Beschaffung und interne Expertise durch standardisierte Rahmenwerke verbessern konnten. Aufgrund der Standardisierung hat sich nicht nur die interne Kommunikation beim Kunden verbessert, sondern auch die Servicequalität konnte erheblich gesteigert werden.
Bereits haben sich einige Anbieter unter wissenschaftlicher Leitung zusammengeschlossen, um ein standardisiertes Rahmenwerk zu formulieren. Das eSourcing Capability Model (eSCM) beschreibt sowohl für Kunden als auch für Anbieter bewährte Prozesse und Verfahren im Rahmen einer Sourcing-Initiative. Das Modell nennt diverse Verfahren und lässt sich gut als Erweiterung oder Ergänzung zu bestehenden Service-Management-Richtlinien wie ITIL oder BS 15000 einsetzen. Je mehr die Nutzen der Verfahren nachgewiesen werden können, desto höher ist der Maturitätsgrad. Auf diese Weise wird es möglich, Anbieter und Kunden bezüglich dem Reifegrad ihrer Sourcing-Fähigkeiten zu beurteilen.
Eine zunehmende Standardisierung kann mittelfristig die Angebote verschiedener IT-Anbieter besser vergleichbar machen. Die Leistungen von Anbietern werden wahrscheinlich unter dem daraus entstehenden Wettbewerbsdruck nicht nur kosteneffizienter, sondern auch die überprüfbare Qualität wird gesteigert. So könnten sich Liefermodelle entwickeln, die Kunden die Risiken eines eigenen Offshore-Betriebs vermehrt abnehmen und bezüglich Wissenstransfer und Innovation messbare Angebote aufzeigen. Sind entsprechende Leistungen jetzt schon für sehr grosse Kunden verhandelbar, könnten in Zukunft vermehrt auch kleinere Sourcing-Verträge entsprechende Leistungen enthalten. Hinsichtlich des Umfangs von Sourcing-Initiativen können dank stärkerer Standardisierung zunehmend komplexere betriebliche Dienstleistungen für eine Vergabe an externe Leistungsträger erwogen werden. Sehr kleine Betriebe können abwägen, ob einzelne betriebliche Kompetenzen intern aufgebaut werden sollen, oder ob diese durch externe Dienstleister erbracht werden sollen. Die entstehende Abhängigkeit von einem Anbieter kann durch strukturierte Wissenstransfer-Methoden reduziert, oder zumindest hinsichtlich der zu erwartenden Kosten bei einem Anbieterwechsel quantifiziert werden.
Obwohl viele Sourcing-Kunden seit 2000 kontinuierlich ihre IT-Kosten gesenkt haben, wird noch mehr Kostenreduktion erwartet. Hier ist zu prüfen, ob weitere Einsparungen die Fähigkeiten der IT zu stark einschränken, um Geschäftsprozesse zu optimieren. Denn die Entwicklung und das Management erfolgreicher Sourcing-Lösungen erfordern eine funktionstüchtige IT-Abteilung. Damit Einsparungspotentiale aus anderen betrieblichen Funktionen gemeinsam realisiert werden können, müssen Kunden in ihre Sourcing-Fähigkeiten investieren. Der Aufbau von Lieferantenmanagement-Prozessen und -Verfahren bietet sich an. Durch die operativen Risiken, die sowohl aus IT-Sourcing als auch der Auslagerung anderer Geschäftsprozesse resultieren können, treten neben reinen Kosteneinsparungen auch Qualitätsmerkmale eines Anbieters stärker in den Vordergrund.
Ob ein neues Maturitäts-Modell und Anpassungen im Lieferantenmanagement tatsächlich die erhoffte Wirkung zeigen, wird sich weisen müssen. Aber die positiven Erfahrungen vieler Betriebe mit ITIL und wohlstrukturierten Sourcing-Initiativen lassen zumindest auf eine bessere Überprüfbarkeit schliessen. Basierend auf derart gewonnenen Erkenntnissen können Leistungs- und Qualitätsverbesserungen geplant und realisiert werden. Dennoch ist es wichtig, ob der Industrialisierung von einzelnen Dienstleistungen nicht zu vergessen, dass nicht alle Aufgaben extern vergeben werden können. Es wird immer sehr gut ausgebildete Spezialisten beim Dienstleistungsnehmer benötigen, um Anbieter adäquat zu steuern und um Spezial-Projekte durchzuführen, die eben nicht oder noch nicht als standardisierter Service bezogen werden können. Ähnlich wie in der Automobilindustrie könnte sich ein Lieferantennetzwerk aus spezialisierten Zulieferern entwickeln, damit es den Dienstleistungsnehmern gelingt, jetzt Kosten zu sparen und später durch abgestimmtes Lieferantenmanagement flexibel auf Kundenwünsche reagieren zu können.