«Wir sind ein Technologiefolger, kein Front-Runner»

Wieso er trotz Wirtschaftskrise ein grösseres IT-Budget hat und welche Projekte ihn beschäftigen, verrät Mobiliar-CIO Markus Sievers im Gespräch mit dem Swiss IT Magazine.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2009/09

     

Swiss IT Magazine: Wie ist der Bereich IT bei der Mobiliar aufgebaut?
Wir beschäftigen an unseren zwei Standorten Bern und Nyon rund 400 IT-Mitarbeitende. Im wesentlichen sind wir nach dem Konzept «Plan, Build, Run» aufgebaut. Wir haben zum einen ein Architektursegment, das momentan in eine technische und eine Unternehmensarchitektur aufgeteilt ist. Zum anderen haben wir den Entwicklungsbereich – wir entwickeln vorwiegend inhouse und integrieren nicht nur Standardsoftware –, einen Bereich für die Leitung von Projekten und den Betrieb. Im Architektursegment beschäftigen wir rund 30 Mitarbeitende, in der Entwicklung sind es etwa 200 und im Betrieb circa 100. Des weiteren besteht die IT der Mobiliar aus zwei Stabsgruppen: «Governance, Risk Management und Compliance» sowie «IT-Beschaffung». Letzterer ist auch die Funktion «IT-Controlling und Finanzen» angegliedert.


Welche Art Mitarbeitende beschäftigen Sie?
Für unsere IT arbeiten 110 Wirtschaftsinformatiker, 90 Applikationsentwickler, 40 Systemingenieure, 23 Projektleiter, je 10 Telematiker, Business Process Engineers und Datenbankspezialisten sowie Einkäufer und Helpdesk-Mitarbeitende.


Haben Sie Probleme, neue IT-Mitarbeiter zu finden?
Nein, eigentlich nicht. Da wir in Bern aber die einzige Versicherungsgesellschaft sind, müssen wir grossräumiger suchen, wenn wir neue IT-Mitarbeitende mit einer Affinität zu Versicherungen brauchen. Momentan haben wir viele Spontanbewerbungen aus Deutschland. In Nyon profitieren wir zudem vom gesamten Einzugsgebiet Frankreich.


Sie spüren den Informatikermangel nicht?
Bei jungen Nachwuchskräften gestaltet sich die Suche schwieriger. Wir in Bern haben z.B. Mühe, ETH-Abgänger aus Zürich zu bekommen und rekrutieren eher bei den technischen Hochschulen in Burgdorf und Biel. Allgemein kann man aber sagen, dass wir bei jungen Nachwuchskräften je nach Sparte Mühe haben. Auch wir merken, dass der Markt nicht genug Know-how hervorbringt.


In welchen Sparten ist es schwieriger?
Das ist Technologie-abhängig. Wir haben noch relativ viele Cobol-Entwickler – allerdings ist Cobol eine auslaufende Technologie. Ebenso haben wir Mühe, wenn es um die Rekrutierung von Mitarbeitenden mit Engineering-Fähigkeiten geht. Dies aus dem Grund, dass es dafür im Raum Bern einen grossen Markt gibt: Auch die Post, die Postfinance, der Bund und die Swisscom suchen solche Mitarbeitenden.


Wie sieht die IT-Strategie der Mobiliar aus?
Wir sind eher ein Technologiefolger, kein Front-Runner und kein Technologietüftler. Zudem versuchen wir, unsere technologischen Entwicklungen evolutionär zu gestalten. Wir haben die Tendenz zu «buy before make», wenn auch nicht ausschliesslich. Wir arbeiten mit vielen Benchmarks und Vergleichen, versuchen also, zu marktüblichen Kosten zu produzieren, sowohl was die Entwicklung anbelangt als auch den Betrieb.


Zudem verfolgen wir eine Sourcing-Strategie. Wir sind aber noch nicht so weit wie zum Beispiel die beiden Grossbanken in Zürich, die relativ umfangreiche Entwicklungen in Indien haben. Wir arbeiten in Ansätzen mit Near- oder Offshoring und haben erste, aber noch nicht substantielle Erfahrungen gemacht.


Den Plattformen-Betrieb haben wir zum Teil ausgelagert. Zudem haben wird das gesamte Netz outgesourced sowie den Onsite-Support des Workplace und den Mainframe. Dieser steht bei T-Systems, während ein grosser Teil des Netzes und des Workplace-Managements bei Swisscom ist. Ausserdem arbeiten wir noch mit den zwei kleineren Outsourcern in4U und Faigle zusammen. Faigle kümmert sich um unsere Drucker, in4U ist derzeit unser Mailprovider. Im Projekt-Bereich sind IBM und Accenture unsere grössten Partner. Sie helfen uns, neues Know-how in die Firma einzubringen und neue Technologien oder Applikationen zu installieren.

Wieso gerade diese Partner?
Der Entscheid für IBM wurde vor allem aus historischen Gründen gefällt. Vor rund 20 Jahren waren wir eine fast durchgehend «blaue» Firma. Mit Accenture arbeiten wir seit etwa zehn Jahren grösstenteils erfolgreich zusammen und setzen strategische Projekte um. Ausschlaggebend für Swisscom und T-Systems war, dass sie hier vor Ort sind.


Welche Systeme haben Sie im Einsatz?
Das Geschäft der Mobiliar wird grob in einen Nicht-Leben- (Sachversicherungen, Personenversicherungen, Haftpflicht und Rechtsschutz) und einen Leben-Bereich (Lebensversicherungen, Todesfall) unterteilt. Im Nicht-Leben-Bereich haben wir einen Grossteil an Eigenentwicklungen im Einsatz, während wir im Leben-Bereich auf die eingekaufte Software COR-Life zurückgreifen. Die Einführung des neuen Verwaltungssystems inklusive Migration steht kurz vor dem erfolgreichen Abschluss.


In den Bereichen Material- und Vermögensverwaltung, Human Resources und Finanzen verwenden wir SAP.


Wieso haben Sie sich für COR entschieden?
Nach einer Ausschreibung standen am Schluss noch COR und FJA zur Wahl. Da FJA heute zu COR gehört, war die Entscheidung einfach.


Welches Projekt beschäftigt Sie momentan?
Im Bereich Vertrieb sind wir aktuell daran, Siebel CRM einzuführen.


Wir stehen noch relativ am Anfang. Die Einführung von Siebel geht über drei Phasen. Die Software wird im Herbst 2009 produktiv, die vollständige Integration bis hin zur umfassenden Nutzung geht aber über die nächsten drei Jahre. Die Einführung eines CRM bedingt, dass wir die Datenaufbereitung in den Griff bekommen, so dass wir den Kunden auf einen Blick erkennen, eine sogenannte 360°-Kundensicht erhalten. Ausserdem sind Verkaufsunterstützungs-Massnahmen nötig, also analytisches und operatives CRM. So wollen wir Leads generieren oder Aufträge strukturieren, verfolgen und systematisieren können. Das ist für 2011 und 2012 vorgesehen.


Aus welchen Gründen fiel die Wahl auf Siebel?
Am Schluss unserer umfassenden Evaluation standen Siebel und SAP zur Diskussion. Es gab Punkte wie Benutzerfreundlichkeit, die für Siebel gesprochen haben, und Elemente wie die Integration in unsere bestehenden Sys-teme, bei denen SAP punkten konnte. Auch die involvierten Personen sowie die Projektumsetzung haben eine Rolle gespielt. Am Schluss fiel die Entscheidung vor rund einem Jahr relativ knapp zu Gunsten von Siebel aus.

Welchen weiteren Projekte sind nebst der Siebel- und COàR-Einführung gerade aktuell?
Im Sachversicherung-Bereich schliessen wir bald die Implementierung einer eigenen Gesamtlösung im Backoffice ab. Zudem betreiben wir im Infrastruktur-Segment vermehrt Anstrengungen in Richtung integrierte Telefonie.


Wer liefert die integrierte Telefonie?
Die integrierte Telefonie (VoIP und Mobile) betreiben wir in Kooperation mit Swisscom als externem Provider. Die Grundstruktur für Voice over IP haben wir vor etwa zwei Jahren gelegt. Heute haben wir eine einheitliche Telefonie-Infrastruktur über den ganzen Konzern.


Welchen Anspruch haben Sie an die Verfügbarkeit Ihrer Systeme?
Wir haben bislang wesentlich auf unseren eigenen Aussendienst gesetzt, von daher hatten wir einen Verfügbarkeitsanspruch von rund 6x18 Stunden. Momentan investieren wir stark in die Mehrkanalfähigkeit – diese bringt auch einen neuen Verfügbarkeitsanspruch von 7x22 bis 24 Stunden mit sich. Das Call Center für Schadenaufnahme und Assistance hatte schon immer einen Anspruch von 7x24. Dort wird der Betrieb ebenfalls von uns sichergestellt. Die Hauptsysteme müssen nun aber auf erweiterte Verfügbarkeit angepasst werden.


Haben Sie eigene Rechenzentren?
Ja. Der Host steht wie gesagt bei T-Systems und wird dort betrieben. Aber alle Midrange- und Windows-Server haben wir in einem eigenen Rechenzentrum am Hauptsitz. Wir haben ein Disaster-Backup (Spiegelung) ausserhalb unseres Rechenzentrums.


Sie machen also relativ viel selber und setzen wenig auf externe Dienstleister?
Man könnte diesen Eindruck gewinnen. Aber wenn wir das Ganze personenmässig anschauen, zeichnet sich ein etwas anderes Bild: Die Installation des Workplace wird zum Beispiel grösstenteils von Swisscom gemacht. Punktuell hat Swisscom dort bereits mehr Mitarbeitende im Einsatz als wir. Die Mobiliar gibt pro Jahr rund 30 Millionen Franken für Outsourcing aus.


Wie sieht das gesamte IT-Budget der Mobiliar aus?
Das IT-Budget 2009 beträgt rund 126 Millionen Franken und ist somit etwa zehn Millionen höher als im vergangenen Jahr. Wir haben in diesem Jahr ein höheres Budget, weil sich die Mobiliar als Ganzes in einem Investitionszyklus befindet, vor allem im Bereich Mehrkanal-Fähigkeit. Allerdings soll der Kunde auch anders Kontakt mit uns pflegen können, wenn er dies wünscht – also über Telefon, Internet oder Makler. Diese Kanäle sollen ineinandergreifen. Um dies zu erreichen, fahren wir aktuell ein grosses Projektprogramm.


Wir müssen unsere Systeme und die Verfügbarkeit diesem Mehrkanal-Gedanken anpassen. Dazu investieren wir neunstellige Summen über drei bis fünf Jahre. Die IT verantwortet einen grossen Teil dieser Umsetzung.


Was beschäftigt sie momentan am meisten?
Das Hauptthema ist die Auslieferung der Gross-projekte – ganz nach dem Credo «Our work is to deliver». Wir müssen die vom Business geforderten Services liefern, sonst sind wir nicht glaubwürdig und rechtfertigen auch nicht das grosse Budget. Aber auch Rekrutierung und Förderung von guten Mitarbeitenden sind zentrale Themen. Dies ist einerseits bedingt durch den etwas ausgetrockneten Markt und zudem durch die Einführung neuer Technologien. Siebel ist eine neue Welt, bei seiner Integration sind schon internationale Grosskonzerne gescheitert. Dazu brauchen wir Mitarbeitende, die das entsprechende Know-how haben.


Welche Bedeutung hat der Bereich IT innerhalb des Konzerns?
Als CIO bin ich Mitglied der Geschäftsleitung. Traditionell spielt die IT in einem Versicherungskonzern nicht die Hauptrolle, muss aber ihre Dienstleistungen kundenorientiert zur Verfügung stellen. Die Mobiliar hat schon erfahren, dass es mühsam sein kann, wenn die IT nicht rund läuft. Vor rund zehn Jahren war die Erfolgsquote von IT-Projekten nicht immer sehr erfreulich. Vor vier Jahren hatten wir Probleme bei der Einführung einer neuen, selber entwickelten Verkaufsapplikation, u.a. mit der Performance. Die Arbeit auf den Generalagenturen wurde dadurch beeinträchtigt.


Nach diesen Erfahrungen merkt man als Firma, dass man der IT einen gewissen Stellenwert zuschreiben muss. Bei der Mobiliar tun wir dies, indem wir dem Business die Rolle des Auftraggebers übertragen und es dazu zwingen, ganz klar die wesentlichen Elemente zu definieren, die es von einer IT-Lösung erwartet. Die IT muss im Gegenzug sehr genau sagen, was sie liefern kann, in welcher Zeit und zu welchem Preis. Die IT fungiert als Dienstleister, das Business als Auftraggeber. Die Zeiten sind vorbei, in denen das Business vage sagen konnte «Ich möchte gerne dieses oder jenes» und die IT machte, was sie darunter verstand oder was sie aus technischer Sicht gerne selber machen wollte.


(abr)


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